"Nicht selten wird dieses erste Buch als das typografisch gelungenste bis in unsere heutige Zeit bezeichnet": Johannes Gutenberg legte seine Bibel nicht als bloßen Prototyp einer neuen Erfindung an, sondern strebte nach höchster Qualität bei Satztechnik, Typografie und Druck.

Foto: Taschen Verlag

Die Gutenberg-Bibel von 1454, Hardcover in zwei Bänden, herausgegeben und mit einem Begleitheft versehen von Stephan Füssel. € 100,- / 1400 Seiten. Taschen-Verlag, Berlin 2018

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"Wir wissen nicht, wo die Reise der Medien hingeht": Stephan Füssel.

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Im Jahr 2018 jährt sich der Todestag des genialen Medienpioniers Johannes Gutenberg zum 550. Mal. Mit seiner Erfindung der Druckerpresse und des Buchdrucks mit beweglichen Lettern hat der um 1400 in Mainz geborene Gutenberg nicht nur die Mediengeschichte revolutioniert. Er hat, wie es der kanadische Philosoph und Kommunikationstheoretiker Marshall McLuhan formulierte, nachgerade eine neue "Galaxie" geschaffen, die "Gutenberg-Galaxis". 1454 erschien die erste mithilfe der neuen Technik in Gutenbergs Mainzer Werkstatt verfertigte Bibel, welche neuerdings als 1286 Seiten starke Faksimileausgabe im Taschen-Verlag vorliegt.

Dieses erste gedruckte Buch von Bedeutung ist für Herausgeber Stephan Füssel, Inhaber des Gutenberg-Lehrstuhls der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz, nicht nur ein bloßer Prototyp der neuen Erfindung. In seinem Begleitheft schreibt Füssel, die Bibel stelle "sogleich das Meisterstück dieser Werkstatt dar, da es die Satztechnik, die Typografie und den Druck bereits in einer Qualitätsstufe präsentiert, die auf Jahre des Experimentierens und des kreativen Verbesserns schließen lässt. Nicht selten wird dieses erste Buch als das typografisch gelungenste bis in unsere heutige Zeit bezeichnet."

STANDARD: Herr Professor Füssel, wie viele Bibeln haben denn Johannes Gutenberg und seine Mitarbeiter in ihrer Mainzer Werkstatt verfertigt? Und wie viele Exemplare sind davon noch erhalten?

Stephan Füssel: Gutenberg hat insgesamt 180 Stück gedruckt, 49 davon sind erhalten und etwa 22 komplett. Wenn ich "etwa" sage, dann meine ich damit, dass manchmal eine Initiale fehlt, die ein Dieb irgendwann rausgeschnitten hat, aber so, dass die Texte vollständig sind, sind es insgesamt 22 Stück.

STANDARD: Sie haben bei dieser neuen digitalisierten Reproduktion auf das sogenannte Göttinger Exemplar zurückgegriffen. Was waren die Beweggründe dafür?

Füssel: Wir haben das Göttinger Exemplar genommen, weil das im Jahr 2000 schon als Weltdokumentenerbe von der Unesco erkannt wurde. Dieses Exemplar ist das einzige vollständige, auf Pergament gedruckte und von einer Hand kolorierte – das sind die drei relevanten Kriterien.

Wir haben im Kommentar gezeigt, dass es auf ein Musterbuch zurückgeht, nach dem dieses Faksimile ausgestaltet ist. Es war üblich, dass es in solchen handwerklichen Werkstätten Musterbücher gab. Da macht zum Beispiel einer einen Vorschlag, wie man Akanthusranken, ein Ornament in Gestalt von Blättern, herstellt. In dieser Schritt-für-Schritt-Anleitung wird dann auch auf hochinteressante Art beschrieben, wie die Farben zu mischen sind.

Wollte man Gold imitieren, weil die Verwendung von echtem Blattgold zu teuer kam, dann hat man Arsensulfid genommen. Hier denkt man natürlich an die schöne Geschichte von Umberto Eco in Der Name der Rose, dass man die Bücher nicht lesen durfte, indem man vor dem Umblättern den Finger mit Speichel befeuchtete, weil man sonst das Arsen am Zeigefinger hatte. Auch Grünspan wurde verwendet. Man hat Kupfer genommen, auf Bauernhöfen eine Woche lang in die Jauche gelegt und danach den Grünspan abgekratzt und als Farbe eingesetzt. Das Göttinger Exemplar ist im Übrigen bereits in den Jahren 1998 und 1999 hochauflösend, mit 600 dpi, digitalisiert worden.

STANDARD: Ich bin mir bei der Vorbereitung dieses Interviews dessen gewahr geworden, dass es auch in der Wiener Nationalbibliothek eine Gutenberg-Bibel gibt ...

Füssel: Ja, und eine ganz herausragende dazu, weil es ein wunderschönes Papierexemplar ist, das von zwei Händen, von zwei Stilen ausgestaltet wurde.

STANDARD: Wie hat denn der Markt für Bücher dieser Art im Laufe der Zeit ausgesehen?

Füssel: Es gibt ein großes Interesse an den Bibeln, die zum Teil in Privathand sind. Ich kann Ihnen gern ein historisches Beispiel nennen: 1924 wollten die Benediktiner in Melk renovieren, hatten aber nicht genug Geld. Sie entschlossen sich, eine Gutenberg-Bibel zu veräußern, und bekamen dafür 10.000 britische Pfund, was nicht so rasend viel war. Ein Jahr später wechselte die Bibel für 120.000 Dollar, den ungefähr dreifachen Preis, in Philadelphia den Besitzer, und schließlich wurde sie um acht Millionen Dollar nach New Haven verkauft, wo sie auch heute noch liegt. Dass öffentliche Hände so etwas verkaufen, geht heute nicht mehr.

STANDARD: Sie haben sich in vielen Veröffentlichungen intensivst mit Gutenberg beschäftigt. Was hat diesen Mann außer seinem technischen Ingenium sonst noch gekennzeichnet?

Füssel: Gutenberg war das, was man heute einen Marketingunternehmer nennen würde. In dem Jahr, in dem die ersten Bogen ausgedruckt waren, ist er sofort zur Frankfurter Messe gefahren, die schon damals eine Buchmesseabteilung hatte: Die "Buchgasse" gab es seit dem 13. Jahrhundert, und dort hat Gutenberg einige Druckbogen ausgestellt und die Leute zum Staunen gebracht.

In Frankfurt traf er Enea Silvio Piccolomini, Gesandter von Friedrich III. und zugleich Kardinal der Kurie in Rom, der die neue Erfindung sogleich wärmstens nach Rom empfahl. Als Enea zum Papst Pius II. gewählt wurde, sorgte er dafür, dass Drucker angeworben wurden, um in Rom die ersten Druckereien aufzumachen. Die Kirche war daran interessiert, dass man überall in der katholischen Welt den identischen Messetext verwendet. Gutenberg hat mit einer Bibelausgabe gearbeitet, die als Vulgata, als allgemeingültig anerkannt war von Rom, nämlich jene Vulgata, die um 1270 an der Pariser Sorbonne überarbeitet worden war. Auf Gutenbergs Bibel gehen fast alle Druckausgaben der Vulgata bis ins 19. Jahrhundert zurück. Wenn Sie heute eine Vulgata nehmen, steht bei jeder zweiten Anmerkung in den Fußnoten im wissenschaftlichen Apparat "Mainz 1454". Dieses Exemplar ist also nicht nur medienhistorisch, sondern auch theologiegeschichtlich ein Meilenstein.

Gutenberg ist darüber hinaus ins Schulbuchgeschäft eingestiegen und hat eine 24-seitige lateinische Grammatik gedruckt, von der bis heute 28 Auflagen erschienen sind. Und vom Rest des Papiers und des Pergaments hat er noch Ablassbriefe hergestellt, eine Art von Formdrucken, in denen festgehalten wurde, wie viel Geld jemand zur Vergebung seiner Sünden entrichtet hatte. Gutenberg hat damit eine langwährende geschäftliche Entwicklung vorweggenommen: Bis vor zwanzig Jahren waren Formdrucke für kleinere Druckereien ja immer noch der Brotartikel, mit dem man nebenbei etwas verdienen konnte.

Wir haben bei diesen Ablasszetteln Hinweise auf Auflagen von bis zu 160.000 Exemplaren für eine Wallfahrt nach Santiago de Compostela gefunden. Angesichts dieser Zahlen kann man ganz gut nachvollziehen, dass Luther das Ablasswesen für etwas übertrieben hielt.

STANDARD: Um das Schlagwort "Gutenberg-Galaxis" nicht links liegenzulassen: Sind wir in Richtung einer anderen Galaxis unterwegs, so wie damals der Buchdruck eine neue Zeit einläutete?

Füssel: Unbedingt. Wir wissen aber in vielen Fällen als Zeitzeugen, genauso wie die Menschen damals, noch nicht, wo die Reise hingeht. Wenn wir uns vorstellen, dass zwischen 1454 und Luthers Thesenanschlag 1517 mehr als sechzig Jahre vergingen – es hat also zwei Generationen gedauert, bis mit Händen zu greifen war, dass eine kirchlich-gesellschaftliche Entwicklung stattgefunden und das neue Medium seine erste Feuerprobe erlebt hatte.

Ich bin gerade in einem Briefverkehr mit dem US-Internetdenker Jeff Jarvis. Wir planen ein gemeinsames Buch, The Gutenberg Moment, in dem wir uns genau mit diesen Fragen beschäftigen wollen: Was hat sich in jener Phase entwickelt? Was entwickelt sich heute? Und: Wo kann man was miteinander vergleichen? (Christoph Winder, 14.7.2018)