Vorbei die Zeiten, da Salzburg als hermetisch verschlossener Ort der eher starren Traditionspflege galt. Seit der Epoche des Intendanten Gerard Mortier, der Herbert von Karajan beerbt hatte, durchweht die Sommerfestspiele das Bemühen, sich zu öffnen. Es sollen Produktionen durch anspruchsvolle Neubefragung an das Heute angebunden werden. Intendant Markus Hinterhäuser steht in dieser Mortier-Tradition. Er hat sie ja seinerzeit als Erfinder des Salzburger Sub festivals Zeitfluss (gemeinsam mit Tomas Zierhofer-Kin) mitbegründet.

Eröffnung der Salzburger Festspiele im vergangenen Jahr.
Foto: APA/NEUMAYR/MMV

Auch als aktueller Herr über das Programm fühlt er sich einer Dramaturgie verpflichtet, die durch spannende personelle Konstellationen sucht, für die Gegenwart relevante Interpretationen der Klassiker zu animieren. Als markantester Beleg für Hinterhäusers Konzept kann heuer die Zusammenführung von Richard Strauss’ Oper Salome mit Regisseur Romeo Castellucci gelten. Dieser italienische Meister einer so subjektiven wie einfühlsamen Deutungskunst wird dem thematischen Überbegriffen des diesjährigen Festivals, also "Passion, Ekstase und Leidenschaft", eindringliches Bühnenleben verleihen.

Castelluccis Engagement zeigt Hinterhäusers Handschrift. Er will das Publikum nicht unterschätzen. Er schätzt es, indem er es fordert. Und er tut dies auch mit anderen Programmpunkten. Die Zauberflöte – Mozart ist in Salzburg immer ein heikles Unterfangen, da stets wegweisende ästhetische Visionen gefordert werden – legt er in die Hände der anspruchsvollen Regisseurin Lydia Steier. Und auch Tschaikowskis Pique Dame zeigt, dass Hinterhäuser immer danach trachtet, szenische Magie mit der musikalischen zu verschmelzen. Das Zusammentreffen von Theaterdenker Hans Neuenfels und Dirigent Mariss Jansons verspricht insofern jenes Besondere, dessen die Festspiele be dürfen.

Sie sind im Idealfall ja ein künstlerischer Ausnahmezustand. Im Widerstreit zwischen ökonomischen Zwängen und künstlerischem Anspruch sucht Salzburg, Umschlagplatz des Besonderen zu werden, der Fragen der Zeit stellt, auf die es ästhetisch fordernd antwortet.

Konservative Gründung

Als konservative Antwort auf ehemals drängende Fragen der Zeit waren die Festspiele 1920 auch gegründet worden. Die Einsetzung Bayreuths als Festspiel- und Wallfahrtsort hatte in den 1870ern den feier lichen Grundton vorgegeben. Im süddeutschen Richard-Wagner-Kult gipfelte die Tendenz, Kunst in den Stand der Heiligkeit zu erheben. Bayreuth sollte als Festspielstätte dem hässlichen Gewühle der profanen Großstadt enthoben sein. Der deutsche Nationalismus erschuf sich seine antizivilisa torischen Kultplätze. Im Falle Wagners wurde ein völkisch-germanisches Ideologieprodukt obendrein noch mit belebendem Weihrauchduft umfächelt, man denke an Parsifal.

Die Stelle Wagners nahm in Salzburg von Anfang an der lokale Genius Mozart ein. Ideen für ein Mozart-Festspielhaus reichen tief bis ins 19. Jahrhundert zurück. Doch es blieb dem Gründungsideologen und Dichter Hugo von Hofmannsthal vorbehalten, die Idee zu einem Salzburger Welttheater frisch aufzupolieren.

Die Proklamation einer neuen Identität war umso widersprüchlicher, als sie in Hofmannsthals Augen unbedingt österreichisch zu sein hatte. Gleichzeitig wurde der Anspruch gestellt, deutschen Geist und süddeutsche Wesensart auf neobarocke Art und Weise abzubilden.

Österreich war 1918 ein kleiner Reststaat. Zugleich sollte es die Last gesamtdeutscher Identität tragen. Hofmannsthal argumentierte kulturell. Die Festspiele, deren Gründung er den Zuständigen andiente, wollten auch politisch wirksam werden. Mit der Etablierung von Mysterienspielen wie dem Jedermann, später dem Salzburger Großen Welttheater wurde den gut verdienenden und noch besser gelaunten Vertretern der "süddeutschen Stämme" ein bisschen Höllenfeuer unter der Lederhose gemacht: auf den Stufen des Doms, danach auch im Allerheiligsten der Kollegienkirche. Schnöde war der Mammon der hohen Eintrittspreise bereits damals. Karl Kraus dichtete als Festspiel hasser prompt: "Ehre sei Gott in der Höhe der Preise …" Ab Mitte der 1920er wurde die Salzburger Dramaturgie – wenn es denn je eine solche gab – durch den geduldigen und auch ein wenig beliebigen Ausbau des Läuterungsaspekts erweitert. Die Mozart-Oper Don Giovanni wurde dementsprechend in den christlichen Bekehrungsversuch eines Wüstlings um gedeutet. Max Reinhardt baute in die Felsenreitschule die berühmte Faust-Stadt hinein. Immerhin gilt Fausts Seele ja als Einsatz eines Wettspiels zwischen Gott und Teufel.

Hort der Besinnung

Die Festspiele mag nicht nur verstehen, wer will. Begreifen wird sie, wer sich die antimoderne Schlagseite ihrer Gründerväter vergegenwärtigt – und die Umwertung aller Werte seit Ende der Ära Karajan begreift. Tatsächlich bildete Festspiel-Salzburg einen doppelten Hort kultureller Selbst besinnung. Die (real nicht vor handene) "deutsche Kulturnation" wollte ihre weltbürgerliche Offenheit signalisieren. Zugleich sollte das Österreichertum auf seine theatralisch-barocken Wurzeln zurückgeführt werden und eine Brückenfunktion in Europa einnehmen.

Wenn die britische Premierministerin Theresa May heuer auf Einladung der Bundesregierung in Salzburg zu Gast weilt, wird ihr hoffentlich ganz europäisch ums Herz.

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Hat Unvergessliches hervorgebracht: Regisseur Romeo Castellucci.
Foto: Luca Del Pia

Castellucci trifft Salome

Der italienische Regisseur Romeo Castellucci (Bild) hat, was Oper anbelangt, Unvergessliches hervorgebracht: Der Künstler, der heuer in Salzburg die Salome inszenieren wird, bleibt in Erinnerung schon durch Glucks Oper Orfeo ed Euridice bei den Wiener Festwochen. Durch die sensible Integration einer Wachkomapatientin erreichte er höchste Aktualität und Unmittelbarkeit. Castellucci sucht das konzeptuelle Risiko, um in Werken verborgene Gegenwartskraft zu erwecken.

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Bild nicht mehr verfügbar.

In Rossinis "L’Italiana in Algeri" zu erleben: Cecilia Bartoli.
Foto: Reuters

Neuenfels trifft Tschaikowski

Tschaikowskis Pique Dame wird in Salzburg, wie die Zauberflöte, neu inszeniert: Es kehrt Regisseur Hans Neuenfels zurück, der im finalen Jahr der Intendanz von Mortier mit der Fledermaus schockte. Spannend auch Monteverdis L’incoronazione di Poppea: Dem barocken Werk wird Jan Lauwers seine Ideen schenken, während Regisseur Krzysztof Warlikowski Henzes Die Bassariden inszeniert. Heiter wird es bei Rossinis L’Italiana in Algeri mit Mezzo Cecilia Bartoli (Bild).

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Verantwortet das Schauspielprogramm der Salzburger Festspiele: Bettina Hering.
Foto: APA/BARBARA GINDL

Pluralismus im Schauspiel

Bereits zum zweiten Mal verantwortet Bettina Hering (Bild) das Schauspielprogramm der Salzburger Festspiele. Der wiederaufgenommene Jedermann startet am 22. Juli auf dem Domplatz. In ihrem Programm (u. a. mit Hunger nach Hamsun und der Romandramatisierung Kommt ein Pferd in die Bar nach David Grossmann) bemüht Hering sich um einen Pluralismus der Stile. Vor einem Vierteljahrhundert leitete Peter Stein das Schauspiel, mit direkter Bezugnahme auf Max Reinhardt.

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Der deutsche Schauspieler Jens Harzer.
Foto: imago/Ernst Wukits

Penthesilea mit zwei Mimen

Auf der Halleiner Perner-Insel gehen die Festspiele seit der Ära Mortier die größten Schauspielwagnisse ein. Heuer wird dort Frank Castorf Knut Hamsuns denkwürdigen Roman Hunger prismatisch brechen. Zuvor hat im Salzburger Landestheater Kleists Penthe silea Premiere: Johan Simons bricht das wahnwitzige Stück auf ein Duellduett von Sandra Hüller und Jens Harzer (Bild) herunter. Ulrich Rasche wiederum inszeniert Aischylos’ Die Perser. (Ljubiša Tošić, Ronald Pohl, 21.7.2018)