Bild nicht mehr verfügbar.

Im Vergleich zum Glücksspiel resultieren die Quoten bei Sportwetten aus dem Setzverhalten der Wetter. Experten im Voraussagen der Ergebnisse gibt es aber eher selten.

Foto: Getty Images

Immer mehr füllt sich die Spielhalle. An Automaten werden die letzten Eingaben gemacht, schon laufen die ersten Spieler auf das Feld auf. "Hoffentlich geht es unentschieden aus. Am besten drei zu drei", sagt Alex K. (Name von Redaktion geändert) und setzt sich vor die vier Flachbildschirme, die an der Wand angebracht sind. Wie er sind rund fünfzehn andere Besucher an diesem Abend in das Admiral-Wettbüro gekommen. Es spielt Frankreich gegen Belgien, die Quote liegt bei 2,55 zu 3,10. "Nur auf den Gewinner zu wetten bringt nicht viel ein", meint Alex K. Liegt er mit seinem Ergebnis richtig, werden aus seinen zwanzig Euro Einsatz vierhundert Euro.

Alex K. mag das Risiko, die Aufregung, die damit einhergeht. Er wettet regelmäßig auf Fußballspiele, diese Weltmeisterschaft stellt für ihn den Höhepunkt dar, ist allerdings auch sein finanzieller Tiefpunkt: 400 Euro hat er durch die WM-Wetten bisher verloren.

Fünfzehn Prozent mehr Umsatz

Für die Wettanbieter haben sich die vergangenen Wochen hingegen durch und durch bezahlt gemacht. Bwin erzielt durch die WM einen ganzen Monatsumsatz mehr, Bet-at-home rechnet mit einer Umsatzsteigerung zwischen zehn und fünfzehn Prozent. Je nach Spiel könne sich das Wettaufkommen im Vergleich zur WM-freien Zeit verdoppeln.

Zusätzlich sind den Wettanbietern die Ergebnisse bisher zugutegekommen. Die Favoriten Deutschland, Brasilien und Argentinien, auf die wie Alex K. viele andere Wetter ihre Hoffnungen gesetzt haben, sind früh ausgeschieden. Für die Anbieter sind die Siege von Außenseitern in der Regel wesentlich profitabler. Und Großereignisse wie die WM bedeuten neue Kunden, weshalb beim Geld für Werbung nicht gespart wird: 40 Prozent des jährlichen Marketingbudgets investiert Bet-at-home während der WM, bei Bwin liegen die Ausgaben im siebenstelligen Bereich.

Markt stark gewachsen

Bereits im vergangenen Jahr ist der Glücksspiel- und Sportwettenmarkt rasant gewachsen, der Umsatz legte um vier Prozent auf knapp 1,7 Milliarden Euro zu. Die Anbieter finden in Österreich günstige Bedingungen vor: Denn im Vergleich zu Lotterien und anderen Glücksspielen werden bei Sportwetten nur sehr niedrige Abgaben fällig. Sportwetten gehören in Österreich nicht zu den Glücksspielen, sondern werden als Geschicklichkeitsspiele klassifiziert. Sie fallen daher auch nicht unter das Glücksspielmonopol, das der teilstaatliche Konzern Casinos Austria innehat.

Das ist eine Unterscheidung, die einige Suchtspielexperten kritisieren. "Auch Wetten können einen hohen Suchtcharakter bekommen", meint Peter Berger, Psychiater an der Behandlungseinrichtung Spielsuchthilfe in Wien. Besonders im Internet sei das Sportwettenangebot unüberschaubar geworden. Der Zugang werde meist wenig kontrolliert, und die Grenze zwischen Sportwetten und Glücksspiel verschwimme.

Schneller Wechsel zum Glücksspiel

Tatsächlich werden die Gewinne von vielen Glücksspielanbietern von Sportereignissen angetrieben, bestätigt Andreas Kreutzer, Chef des Marktanalyseanbieters Branchenradar. Neue Kunden, die zuerst nur auf Sport wetten, können durch das zweifache Angebot schnell zu den Glücksspielen wechseln. Kreutzer schätzt die Suchtgefahr bei Wetten allerdings als gering ein, es gehe eher um die Unterhaltung und das gemeinsame Zuschauen. Dass sich der ein oder andere beim Spielen übernehme, sei dabei nicht auszuschließen.

Einer dieser anderen ist Simon B. (Name geändert). Der 31-Jährige ist Patient in der Suchtklinik Anton-Proksch-Institut (API) in Wien. Simon B., graue Kappe, T-Shirt und kurze Hose, zockt, seit er 18 ist – zuerst reines Automatenglücksspiel, später dann Sportwetten. "Im Freundeskreis erzählt jeder nur von seinen großen Gewinnen. Das steckt an", sagt er. Simon B. verbrachte teilweise den ganzen Tag in den Wettbüros: Am Vormittag die asiatische, am Nachmittag die russische und am Abend die europäische Liga – kaum ein Spiel ließ er aus. Seine sozialen Kontakte habe er schleifen lassen, später dann seine Arbeit und Wohnung verloren. "Verspielt man das Geld am ersten Tag, ist das Monat lang", sagt er.

Je schneller, desto süchtiger

Rund 0,7 Prozent der österreichischen Bevölkerung weisen ein sogenanntes pathologisches Suchtverhalten auf – das entspricht rund 67.000 Personen, heißt es in der letzten österreichweite Studie zum Thema Glücksspielsucht aus dem Jahr 2011. Besonders betroffen seien 18 bis 35-Jährige, Arbeitslose und Geringverdienende. Das größte Gefährdungspotenzial bestehe bei Glücksspielautomaten, das geringste bei Lotterien.

"Umso schneller ein Spiel abläuft, desto süchtiger macht es", sagt Roland Mader, Leiter der Abteilung Spielsucht am API. Beim Sport seien deshalb vor allem die sogenannten Livewetten gefährlich. Dabei wird auf Ereignisse gewettet, nur wenige Sekunden, bevor sie eintreten – im Fußball etwa auf Eckbälle. "Wetter verlieren schnell den Überblick, wie viel sie schon investiert haben, und entscheiden eher nach dem Bauchgefühl", so Mader.

Live-Wetten de facto verboten

In Wien sind Livesportwetten seit rund zwei Jahren de facto verboten: Gewettet werden darf in den Wettbüros nur mehr auf End- und Halbzeitergebnisse. Tatsächlich bleiben auch die Spieler im Admiral am Dienstagabend nach dem Spielstart von den Automaten fern. Stattdessen haben aber einige nach dem Anstoß ihre Smartphones gezückt und verfolgen die sich ständig ändernden Quoten online. Denn während die Wettautomaten eingeschränkt sind, ergeben sich im Internet beinahe unbegrenzte Möglichkeiten. Gewettet werden kann darauf, wer den nächsten Elfmeter schießt, auf welcher Seite der erste Eckball fällt oder wie viele gelbe und rote Karten es hagelt.

"Die Sucht ist dann erreicht, wenn man die Kontrolle über Geld und Zeit verliert", meint Elisabeth Gizicki-Merkinger von der Beratungsstelle Anonyme Spieler. Wirklich helfen könne am Ende nur die komplette Abstinenz.

Simon B. wird sich deshalb auch das Finalspiel der WM nicht ansehen. "Es ist wie Kopfkino: Gewinnt Kroatien, hättest du nichts lieber als gewettet. Für mich wäre das Selbstmord." (Jakob Pallinger, 14.7.2018)