Mehr als eine Million Menschen lebt in den Lagern um Cox's Bazar an der Grenze zu Myanmar. Zwei Stunden braucht man, um durch die Lager zu fahren.

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Martha Wirtenberger (41) ist Pädagogin. Für das Rote Kreuz schafft sie Räume zum Reden.

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Die Zahlen bleiben unvorstellbar. Über eine Millionen Menschen lebt im weltgrößten Flüchtlingslager, in Cox's Bazar in Bangladesch an der Grenze zu Myanmar. Die meisten von ihnen, 700.000 Menschen, sind seit August aus der Provinz Rakhine in Myanmar gekommen, wo sich ein schwelender Konflikt zwischen den Buddhisten und der muslimischen Rohingya-Minderheit gewalttätig entladen hatte. Viele Rohingya sind nach Bangladesch geflohen.

In Cox's Bazar leben sie nun in Camps. Früher war Cox's Bazar ein Urlaubsort, dann wurde binnen kürzester Zeit auf engstem Raum eine Stadt aus Bambushütten und Plastikplanen errichtet. 700.000 Menschen – so groß wie Frankfurt. Die Uno ist bemüht, eine Rückkehr zu ermöglichen, mit Myanmar gibt es einen Rückkehrplan. Anfang Juli war Uno-Generalsekretär António Guterres im Lager, sprach von Berichten über Tötungen und Vergewaltigungen in Myanmar, sprach von einem "humanitären und menschenrechtlichen Albtraum".

Psychosoziale Hilfe

Für Martha Wirtenberger vom Roten Kreuz bedeutete der Besuch des Uno-Chefdiplomaten, dass ihre Arbeit zwei Stunden später als normal begann. Die Konvois blockierten die Straßen. Die 41-jährige Tirolerin ist seit zwei Monaten vor Ort, um psychosoziale Unterstützung zu leisten. Sie muss Antworten auf die Fragen finden: Wie kann man die aus dem Boden gestampfte Stadt organisieren? Wie verpflegen? Wie kann man den Menschen das Gefühl geben, dass es weitergeht? "Psychische Erste Hilfe" nennt sie das.

Die Hauptsorge, die derzeit im Lager herrscht, ist der einsetzende Monsun, erzählt sie, der Erdrutsche und Erkrankungen auslösen kann.

Ganz unabhängig vom Monsun herrscht in allen Lagern Ungewissheit darüber, wie lange man noch ausharren müsse. Ein Jahr? Zwei Jahre? Es gebe viele Gerüchte, doch aktiv fragt niemand nach. Während am Freitag die Uno vorbereitet, Experten nach Rakhine zu schicken, um zu erkunden, wie man eine Rückkehr organisieren könnte, geht in Cox's Bazar das Leben und Wirtenbergers Arbeit weiter. "Unser Ansatz ist, die Menschen zu stärken und ihnen Hoffnung zu geben." Sie möchte nichts schönreden, betont sie. "Die Menschen haben Dramatisches erlebt und im Camp keinen leichten Alltag. Aber wir versuchen einfach, sie ein bisschen zu erleichtern."

Die Herausforderungen sind groß: Ein Schlüssel ist Beschäftigung. Vor allem Männer äußern oft den Wunsch, arbeiten zu können. Derzeit bietet die Organisation die Möglichkeit an, Fischernetze herzustellen. Außerdem gibt es Näh- und Strickgruppen. Gerade bei Jugendlichen besteht die Gefahr, dass sie unterbeschäftigt sind, auch Bildung ist wichtig.

Trauer normal

Der andere Schlüssel ist, Räume zu schaffen, in denen die Menschen die Möglichkeiten finden, über das Erlebte zu reden – wenn sie das wollen. "Wir zwingen niemanden, seine Geschichte zu erzählen, aber es gibt viele, die erzählen wollen. Wir versuchen, hier zuzuhören." Sie und ihr Team möchten den Menschen vermitteln, dass es normal ist, traurig zu sein. "Oft hilft es, dass die Menschen wissen, dass ihre Reaktionen normal sind."

Die Campbewohner seien jetzt schon viel stärker als früher. Durch Beschäftigung hätten sie in sich neue Ressourcen gefunden. "Es ist wichtig, Raum und Beschäftigung zu bekommen, um nicht überwältigt zu sein von den Erinnerungen und den Unsicherheiten – egal, ob das jetzt der Regen ist oder die Frage: Wie lange noch?"

Wirtenberger war überwältigt von der Gastfreundschaft der Bangladescher. Ein Punkt, den auch Guterres hervorhob: Er lobte "das Mitleid und die Großzügigkeit" – es hätte geholfen, "viele Tausend Leben zu retten". (Anna Sawerthal, 15.7.2018)