Rasit Simsek betet zu Allah.

Heribert Corn

Er lebt seit etwa 20 Jahren in Österreich – und will den Islam besser kennenlernen.

Heribert Corn

Rasit in seinem Friseurladen im fünften Bezirk in Wien.

Heribert Corn

Rasit Simsek steht auf dem Männerklo und macht sich bereit für Gott. Eilig dreht er den Wasserhahn auf und wäscht sich gründlich die Arme und das Gesicht. Gleich ist es vier nach eins – und Allah wartet nicht. Es ist Zeit für Gebet drei von fünf heute, so wie es der Koran vorsieht.

Rasit wirft seinen Turnsack über den Rücken und macht sich auf den Weg zur Abstellkammer. Die Haare hat er zu einem Zopf gebunden, seitlich rasiert, die Konturen seines dichten Barts sind scharf definiert. Er geht vorbei an einigen Kopierern und öffnet die Türe zu einem kahlen Raum.

Rasit nimmt einen türkis-schwarzen Teppich vom Kasten und legt ihn vor sich hin. Er hebt die Hände und beginnt auf Arabisch zu singen, dann kniet er sich hin, die Stirn auf den Boden. Er betet zu Allah. Sure eins, Vers eins bis sieben, ein Schnelldurchlauf durch den Koran.

Ziel: Imame aus Österreich

Rasit hat, gemeinsam mit 39 anderen Studierenden, vor knapp einem Jahr eine Ausbildung zum islamischen Theologen begonnen. Die Kammer, in der er betet, befindet sich nicht in einer Moschee, sondern an der Universität Wien.

Es ist der erste Jahrgang islamischer Theologen, die auf österreichischem Boden ausgebildet werden. Bislang studierten hier arbeitende Prediger ihre Religion und den Koran im Ausland, in Ankara, Sarajevo oder Teheran. Viele wurden aus der Türkei in heimische Moscheen entsandt, obwohl sie weder Deutsch noch die heimische Kultur kannten.

Laut dem Theologen Ednan Aslan, Chef des Instituts für Islamisch-Theologische Studien an der Uni Wien, gibt es hierzulande keinen einzigen muslimischen Verband, der nicht in der einen oder anderen Weise eine Verbindung zum Ausland hat, etwa zu Bosnien, der Türkei oder Saudi-Arabien, viele davon zu politischen Bewegungen.

Leitet das Institut für Islamische Theologie: Ednan Aslan.
Foto: APA/HERBERT PFARRHOFER

Weil dort völlig anders auf die Welt geblickt wird, sind Muslime wie Rasit in österreichischen Moscheen mit einem Islam konfrontiert, der häufig sehr konservativ bis reaktionär ausgelegt und nicht selten politisch missbraucht wird.

Dass es nun den Studiengang Islamische Theologie in Wien gibt, geht auf eine Initiative von Kanzler Sebastian Kurz zurück. 2011 richtet dieser, damals noch Staatssekretär für Integration, das Dialogforum Islam ein, in diesem tauschen sich Politik und Muslime aus. Ein Plan wird ausgearbeitet, ein Teil davon ist der neue Studiengang. Der soll ein Meilenstein für die Integration sein, eine Theologie befördern, die es schafft, die Religion in die Gegenwart zu übersetzen.

Koranzitate im Frisörsalon

Ortswechsel. Ein kleiner Frisörsalon neben dem Wiener Matzleinsdorfer Platz, aus dem Fernsehen dröhnt türkischer Fußball. "Mein Laden", sagt Rasit. Gerade ist niemand da, Rasit nutzt die Zeit, um für die Prüfung morgen zu lernen. Viel Zeit bleibt nicht, bald kommt der nächste Termin. Wie viele seiner Kunden ist auch Rasit gläubiger Muslim.

Rasit kümmert sich im Salon um die Haare und Bärte seiner Kunden, hier philosophiert er – und man könnte sogar sagen, hier predigt er. Er zitiert aus der Bibel und erzählt Geschichten aus dem Koran. Rasit erreicht in seinem Laden viele, die nie in eine Moschee gehen würden. Denn mit dem Gang dorthin nehmen es viele so genau wie die Christen mit dem in die Kirche.

Rasit kommt mit 19 nach Wien, er studiert Betriebswirtschaft, hört wieder auf, arbeitet als Techniker. Nach seinem ersten Krankenstand wird er gekündigt, dann geht er zu Cosmos – ein halbes Jahr später ist die Handelskette pleite. Rasit macht sich daraufhin selbstständig.

Für ihn scheint der Koran eine Anleitung fürs Leben zu sein, er will ein guter Mensch, tolerant, hilfsbereit, respektvoll sein. Wir seien alle leicht zu verführen, die Religion gebe da Halt, sagt Rasit. Das will er vermitteln, an der Uni erhält er das philosophische Rüstzeug dafür. Den Islam legt er so aus, wie sich das hier viele wünschen: offen und humanistisch.

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Jedes Jahr pilgern Millionen Muslime zur Hadsch nach Mekka.
Foto: REUTERS/Suhaib Salem

Im Grunde geht es im Studium darum: Man kann mit dem Koran einen ewigen Krieg gegen Ungläubige rechtfertigen oder das strenge Verbot, auch nur einer Fliege etwas zuleide zu tun. Vom Schwiegersohn des Propheten Mohammed ist überliefert: Der Koran ist stumm, erst der Mensch verleiht ihm eine Stimme.

Doch wer leiht ihm diese Stimme in Österreich?

Geht es nach Integrationsfachleuten und Theologen anderer Glaubensrichtungen, dann sind es noch die falschen. Der Soziologe Kenan Güngör, der im Expertenrat für Integration von Außenministerin Karin Kneissl sitzt, beschreibt es so: In Österreichs Moscheen werde oft das Bild vermittelt, man müsse ein "reiner Muslim" sein. "In dieser Logik gibt es so etwas wie einen österreichischen Muslim gar nicht. Das Bild ist, man muss in der Fremdheit seine Reinheit bewahren." Für Güngör liegt das Problem in den muslimischen Organisationen: "Die meisten verbreiten weltanschaulich hochproblematische Inhalte."

Konservativer Verband

Das Studium sei eine gute Sache – doch ehe in den Moscheen in Wien ausgebildete Theologen predigen, werden noch Jahre vergehen. Denn eine Moschee entscheidet selbst, wer in ihr arbeitet. Durch das 2015 in Kraft getretene Islamgesetz wurde die Situation noch verschärft. Seither hat die Islamische Glaubensgemeinschaft IGGiÖ laut dem Historiker Heiko Heinisch das letzte Wort, wenn es um die Gründung neuer Moscheen geht. Die Glaubensgemeinschaft steht für einen konservativen Islam, Theologie ist für sie die Verwaltung von Religionsgelehrsamkeit.

Anders in Berlin: Dort wurde im Vorjahr eine Moschee gegründet, in der, anders als üblich, Frauen auch ohne Kopftuch beten können, in einem Raum mit Männern. In Österreich ist das undenkbar. Der Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich, Ibrahim Olgun, sagt dagegen, ein muslimisches Gebetshaus, in dem Frauen kein Kopftuch tragen, sei keines.

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Experte Kenan Güngör will der IGGIÖ den islamischen Religionsunterricht wegnehmen.
Foto: dpa/Armin Weigel

"Wir dürfen nicht mehr länger zusehen", sagt Regierungsberater Güngör. Er fordert, der Glaubensgemeinschaft den Religionsunterricht zu entziehen. Es sei verheerend, wem man da Kinder anvertraue. Denn auch Kinder von nicht so religiösen Eltern würden dort mit einem Islam konfrontiert, der in kein liberales Land passe.

Dabei stellen moderate Muslime die Mehrheit im Land. Lebten in der ersten Generation der Zuwanderung die meisten noch stark nach religiösen Vorstellungen, so sind es in der dritten Generation nur mehr drei von 100, wie aus der Studie "Muslimische Diversität: Kompass zur religiösen Alltagspraxis in Österreich" von Ednan Aslan, Jonas Kolb und Erol Yildiz hervorgeht.

So wie Rasit. Er interessiert sich für seine Religion, Imam möchte er aber nicht werden. Er will dank des Studiums vor allem jenen Muslimen besser widersprechen, die den Koran wirr interpretieren. (Andreas Sator, 14.7.2018)