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Eben noch spinnefeind, wird Eritreas Präsident Isaias (Mi.) nun vom äthiopischen Premier Abiy (li.) mit militärischen Ehren empfangen.

Foto: REUTERS/Tiksa Negeri

Kaum eine Woche ohne politische Sensation am Horn von Afrika: Zurzeit stattet Eritreas Präsident Isaias Afewerki Äthiopien einen dreitägigen Besuch ab – es ist das erste Mal seit mehr als 20 Jahren, dass der Staatschef des international isolierten Kleinstaats seinen Fuß auf äthiopischen Boden setzt. "Worte können die Freude nicht beschreiben, die wir derzeit fühlen", sagte der 72-jährige Ex-Befreiungsführer beim Lunch mit seinem Amtskollegen Abiy Ahmed: "Wir sind ein Volk. Und wer immer das vergisst, versteht unsere Situation nicht."

Die Ereignisse am Horn von Afrika werden von Beobachtern mit dem Fall der Berliner Mauer verglichen: ein politischer Durchbruch, wie ihn bis vor wenigen Wochen noch keiner für möglich gehalten hätte. Isaias, der in den vergangenen zwei Jahrzehnten als Äthiopiens Todfeind galt, wurde am Samstag bei seiner Ankunft in Addis Abeba wie ein wiedergefundener Bruder empfangen: Auf den Straßen der Hauptstadt jubelten ihm Tausende von fähnchenschwingenden Äthiopiern zu. Vor einer Woche hatte Premierminister Abiy während einer Stippvisite in Asmara dasselbe erlebt: Auch er wurde von Tausenden in Asmaras Straßen wie ein Befreier begrüßt.

Eiszeit beendet

Die Eiszeit, die nach einem Bruderkrieg um den Grenzverlauf mit 80.000 Toten zwischen den beiden Staaten vor 18 Jahren ausgebrochen war, ist inzwischen offiziell für beendet erklärt: Äthiopien wird seine Soldaten aus dem besetzten Grenzstädtchen Badme abziehen, das ein internationales Schiedsgericht im Jahr 2002 Eritrea zugesprochen hat. Addis Abeba hat sich bisher um den Urteilsspruch nicht gekümmert.

Abiys diplomatische Kehrtwende ist nur eine von zahlreichen überraschenden Weichenstellungen, die der 41-jährige Ex-Offizier in den ersten vier Monaten seiner Amtszeit in die Wege leitete. Der Premierminister entließ tausende politische Häftlinge, ließ das Folterzentrum der Polizei schließen und Oppositionsparteien von der Liste terroristischer Organisationen nehmen, und er kündigte schließlich die Privatisierung verkrusteter Staatsunternehmen an.

Abiy wird in Äthiopien wie eine Art Michail Gorbatschow gefeiert: Die Massendemonstrationen, die das Land noch bis vor einem halben Jahr erschütterten und Tausende von Äthiopiern das Leben kosteten, sind vorbei.

Diplomatischer Coup

Offenbar wurde Abiys diplomatischer Coup hinter den Kulissen schon seit längerem vorbereitet: Erst bemühte sich der Weltkirchenrat um einen Dialog zwischen Eritreern und Äthiopiern. Dann schalteten sich die USA diplomatisch ein. Und schließlich spielten die Arabischen Emirate, die sich derzeit um Stützpunkte im strategisch wichtigen Roten Meer bemühen, eine wichtige – finanzielle – Rolle. Eritrea ist zu bedeutend geworden, um weiter isoliert zu werden.

Beide Staaten können sich von ihrem Annäherungsversuch handfeste wirtschaftliche Vorteile versprechen. Äthiopien wird die beiden nahe gelegenen eritreischen Häfen wieder mitbenutzen können und will sich im Gegenzug bei der Uno dafür einsetzen, dass die Sanktionen gegenüber Eritrea aufgehoben werden. Beide erst 1993 nach einem Referendum voneinander unabhängig gewordenen Staaten haben bereits zahlreiche Vereinbarungen zur Kooperation getroffen: Der Flugverkehr zwischen den Nachbarländern wird wiederaufgenommen, die Telefonverbindungen sind wiederhergestellt und auch die jeweiligen Botschaften wieder besetzt.

Gewiss werden die jüngsten Entwicklungen auch einen Einfluss auf die Zahl der jungen Eritreer haben, die ihrer Heimat den Rücken kehren: Das sollen bisher monatlich rund 5000 Menschen gewesen sein. Als Grund ihrer Flucht gaben die jungen Eritreer meist die unbegrenzt gültige Wehrpflicht in ihrer Heimat an – doch an der wird Präsident Isaias wohl nicht länger festhalten können. Äthiopien wird mit seiner Perestroika wohl nicht allein bleiben. (Johannes Dieterich, 15.7.2018)