Boris Johnsons Zeit als Außenminister ist abgelaufen.

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Kaum hatte US-Präsident Donald Trump ihren Landsitz Chequers verlassen, widmete sich Theresa May wieder ihrer Kernaufgabe: dem Kampf um ihre neue Brexit-Strategie – und damit auch um ihr Überleben im Amt der Premierministerin. Heute, Montag, drohte ihr neues Ungemach: In seiner Zeitungskolumne wollte der zurückgetretene Außenminister Boris Johnson sein Schweigen brechen, ehe er am Nachmittag im Unterhaus eine Rücktrittserklärung abgeben sollte. Hardliner drängen den Brexit-Vormann zum Aufstand: "Eine weitere Chance bekommt er nicht."

Nachdem sie in Chequers einflussreiche Hinterbänkler umgarnt hatte, ging May am Sonntag in einer Zeitungskolumne und live im BBC-Studio in die Offensive: Wer ihr Knüppel zwischen die Beine werfe, riskiere den EU-Austritt; schließlich stehe die Labour-Opposition unter Jeremy Corbyn zur Machtübernahme bereit. Einwände wischte die Premierministerin beiseite: "Viele Leute haben mit dem Herzen abgestimmt. Ich muss kühlen Kopf bewahren und praktisch bleiben."

Damit meint May das Brexit-Weißbuch, dessen Inhalt Johnson und Brexit-Minister David Davis zum Rücktritt veranlasste. Brexit-Ultra Jacob Rees-Mogg nennt das 98-seitige Schriftwerk verächtlich "das Kapitulationspapier". Die Unruhe bei jenen, die vor gut zwei Jahren das Austrittsvotum (52 zu 48 Prozent) anführten, ist mit Händen zu greifen.

Mays Ideen von einem "Assoziationsabkommen", vom Verbleib in einer Freihandelszone für Güter unter einem "gemeinsamen Regelwerk", von der "angemessenen Aufmerksamkeit", die britische Gerichte auch zukünftig den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) widmen sollen – all dies ergibt einen viel weicheren Brexit, als ihn May und ihre Partei bisher mit dem Austritt aus Zollunion und Binnenmarkt verfolgt hatten.

Labour liegt deutlich vorn

Der Kurswechsel ist dem lauter werdenden Einspruch aus der Industrie und der harten Brüsseler Verhandlungsposition geschuldet. Doch Realismus steht bei vielen Tory-Mitgliedern und -Wählern nicht sonderlich hoch im Kurs. Umfragen spiegeln einen alarmierenden Verlust an Vertrauen in die Politik der Premierministerin wider. Erstmals seit Monaten liegt die Labour-Opposition mit bis zu fünf Punkten Abstand vor der konservativen Regierungspartei; Opinium zufolge bekennen sich zudem plötzlich wieder acht Prozent der Briten zur zuletzt kaum noch wahrnehmbaren Ukip. Deren langjähriger Vorsitzender Nigel Farage kündigte kürzlich seine Rückkehr in die aktive Politik an.

Wie früher Farage zog diesmal Johnson ein Lob des US-Präsidenten auf sich: "Boris Johnson wäre ein großartiger Premierminister", meinte Trump in Mays Beisein. Ob dieses Kompliment hilfreich ist? Gebannt wartet das politische London jedenfalls auf die erste Kolumne des gelernten Journalisten, die Johnsons Leib-und-Magen-Blatt "Daily Telegraph" für Montag ankündigte. "Er ist zurück", schrieb die Zeitung bereits am Montag auf ihrer Titelseite.

In seinem Rücktrittsschreiben hatte Johnson den "sterbenden Brexit-Traum" und Großbritanniens zukünftigen Status als "Kolonie" der EU beschworen.

Für eine Herausforderung der Premierministerin bleibt wenig Zeit. Schon in zehn Tagen begibt sich das Parlament in die Sommerferien; bis dahin müsste die Vertrauensabstimmung in der Fraktion über die Bühne gegangen sein, die schon 48 von 316 Tories durch Briefe an den zuständigen Parteiobmann auslösen können.

May will kämpfen

Mays Lager gibt sich kämpferisch – und tatsächlich wirkt unwahrscheinlich, dass sich eine Mehrheit der Unterhausfraktion hinter dem als unzuverlässig und sprunghaft geltenden, zudem mit privaten Problemen behafteten Johnson versammelt.

Vor allem aber müssten der einstige Brexit-Vormann oder der ebenfalls zurückgetretene Brexit-Minister Davis eine Alternative zum neuen Regierungsplan vorlegen. Vielleicht wollen sie Trumps Idee in die Tat umsetzen? Der US-Präsident, verriet May der BBC mit maliziösem Lächeln, habe ihr "geraten, die EU zu verklagen", anstatt mit Brüssel zu verhandeln. (Sebastian Borger aus London, 15.7.2018)