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19 Jahre, Superstar: Kylian Mbappé.

Foto: REUTERS/Kai Pfaffenbach

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Ousmane Dembélé und Samuel Umtiti mit dem Objekt der Begierde.

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Umtiti, ein sehr französischer Name", überschrieb der Chronist Laurent Joffrin kürzlich eine Kolumne. Der Name klingt vielleicht für europäische Ohren noch etwas ungewohnt – in Frankreich hingegen ist Samuel Umtiti heute bekannter als viele medienbewusste Minister; in den Fußballquartetten der französischen Volksschüler gilt er als eine der begehrtesten Karten. Sein Werdegang ist bezeichnend. Der Starverteidiger war mit seinen Eltern im Alter von zwei Jahren aus Kamerun nach Frankreich gekommen und wuchs in einem übel beleumundeten Vorort von Lyon auf, bevor er nun den Bleus mit einem wichtigen Tor gegen Belgien überhaupt erst zum Finaleinzug verhalf.

Man könnte den Namen von Ousmane Dembélé anfügen, der in der schönen Normandie aufwuchs, allerdings in einer "Cité" (Wohnsiedlung), in die sich nie ein Tourist verirren würde. Oder die drei Abkömmlinge der Pariser Banlieue: Kylian Mbappé, der eine Mutter aus Algerien und einen Vater aus Kamerun hat; N'Golo Kanté, aus Mali stammend, oder Paul Pogba, dessen Eltern aus Guinea eingewandert sind.

Geläufige Namen

Ihre Namen sind in Frankreich mittlerweile so geläufig wie Dupont oder Legrand. Sie alle singen die Marseillaise, obwohl etwa Kanté auch die malische Staatsbürgerschaft besitzt. Er hatte sich schon als Jungprofi entschieden, die Landesfarben Rot, Weiß, Blau zu tragen. Viel zu reden gab das nicht. Auch Marine Le Pen, die sich zu mäßigen sucht und den rechtsextremen Front National in "Rassemblement National" verwässert hat, stört sich nicht an der Zusammensetzung der Nationalfarbe Blau. 1998 hatte sich ihr Vater Jean-Marie Le Pen noch lauthals darüber echauffiert. Umso vehementer feierte das offene Frankreich damals auch den WM-Trimph von Zinédine Zidane und seinen Mannen als Sieg des "Black-Blanc-Beur" (Schwarz-Weiß-Arabisch).

Einige Spieler politisierten sich in der Folge, etwa Lilian Thuram, der zu einem wichtigen Exponenten der französischen Antirassismusbewegung wurde.

Entspannte ethnische Debatte

Was damals in der allgemeinen Euphorie rasch vergessen wurde: Ab 1998 wurde der aufmüpfige Stürmerstar Nicolas Anelka kaum mehr einberufen – und zwar, nach verbreiteter Ansicht, weil er sich etwas zu stark auf seine arabischen und islamischen Wurzeln berief und die folgenden Nationaltrainer brüskierte, ja provozierte. Der Fall Anelka zeigte auf, dass der hochgelobte Multikulturalismus der "Bleus" eben doch seine Grenzen hatte.

Heute hat sich die sportlich-ethnische Debatte in Frankreich entspannt. Die jugendlichen Fans, die die WM 1998 noch gar nicht erlebt hatten und während der Finalphase der gestern beendeten WM manchmal zu Hunderttausenden auf die Champs-Élysées strömten, kümmern sich offensichtlich keinen Deut um Herkunft und Hautfarben.

Kleinere Risse im Farbenbild

Pogba, Dembélé oder Kanté gehen ihrerseits so natürlich mit den nationalen Symbolen – Singen der Marseillaise, Schwenken der Trikolore, Aufrufe in den Pressekonferenzen – um, dass allein die Frage nach ihrer Einstellung deplatziert wirkt. Warum soll Kylian Mbappé ein schlechterer Patriot sein als Antoine Griezmann? Mbappé spendete einen Teil seiner Prämien in aller Diskretion guten Zwecken. Freiheit, Gleichheit, vorgelebte Brüderlichkeit.

Gewiss birgt das schöne kunterbunte Farbenbild der Bleus auch weiterhin kleinere Risse. Wer sich mit Banlieue-Bewohnern unterhält, stößt regelmäßig auf die Ansicht, dass Nationaltrainer Didier Deschamps wohl aus unterschwellig rassistischen Gründen auf Real-Madrid-Star Karim Benzema verzichtet habe.

Der Zidane-Effekt

Diese "mauvais garçons", diese unangepassten Jungs, die so talentiert sind, sich aber nicht ins französische Fußballsystem einordnen wollen oder können, gab es 1998 wie 2018. Aber sie sind weniger geworden. Zahllose junge Kicker aus den Vorstädten von Paris, Lyon, Marseille oder den Cités kleiner Provinzstädte haben vom Zidane-Effekt von 1998 zweifellos profitiert: Sie agieren professionell und werden vom Fußballverband (FFF) auch entsprechend gefördert. Allein um das 1998 eingeweihte Stade de France nördlich von Paris, im brenzligen Banlieue-Département Seine-Saint-Denis, sind viele Lokalklubs entstanden, aus denen afrikanischstämmige Profispieler hervorgehen.

Was die Immigration dem französischen Fußball bringt, zeigte sich in dieser WM am Fernsehen: Während der große französische Sender TF1 nur noch die Ausstrahlung der wichtigsten Spiele kaufte und gewährleistete, sicherte sich der Pay-TV-Sender BeIn erstmals das ganze Turnier. BeIn gehört dem Scheichtum Katar und rekrutiert seine französischen Abonnenten vor allem in Einwandererkreisen. "Le foot" ist dort ein Wirtschaftszweig, dazu ein soziales Sprungbrett. Wenn Frankreich in seinen verelendeten, ghettoisierten Banlieue-Zonen patriotische Gefühle weckt, verdankt es das Fußballern wie Mbappé, Umtiti oder Pogba. (Stefan Brändle aus Paris, 15.7.2018)