Aus dem einst stillsten Ort im Großraum Sotschi wurde der schrille Olympiapark an der Imeretinsky-Bucht mit dem Fischt-Stadion im Zentrum.

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In den Bergen über Sotschi ist von dem Rummel, den Olympia einst bringen sollte, vor allem im Sommer wenig zu spüren. An der Küste lärmt nicht nur die Formel 1.

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Ohrenbetäubend dröhnt die Discomusik aus den Lautsprechern der Hüpfburg im Olympiapark von Sotschi. Selbst im gegenüberliegenden Café Boho zucken die Besucher zusammen. Vor zehn Jahren war die Imeretinsky-Bucht noch der stillste Ort im Großraum Sotschi, bevorzugt von Altgläubigen bewohnt, die von der Landwirtschaft und der Zimmervermietung lebten.

Jetzt steht hier der Sotschi-Park mit seinen Hotels und Vergnügungsanlagen. Lärm ist – besonders im Sommer – an der Tagesordnung. Die Besitzer, mit dem ehemaligen Gouverneur der Region und späteren Landwirtschaftsminister Alexander Tkatschow verbandelt, sind zufrieden: Das Geschäft brummt. "In unserem Hotel sind derzeit alle Zimmer ausverkauft", sagt Andrej, der im Sotschi Park Hotel, einem riesigen Hotelkomplex für gut 5000 Gäste, arbeitet. Am Abend leuchtet es rund um die Stadien in den verschiedensten Farben.

Männer und Motoren

Die Investoren der vielen eilig für Olympia hochgezogenen Hochhäuser rund um den Olympiapark haben weniger Grund zur Freude: Viele Wohnungen stehen leer. Und doch ist verblüffend, wie hier binnen kürzester Zeit praktisch eine neue Stadt entstanden ist.

Russland hat die Nachnutzung seiner olympischen Objekte relativ gut gemanagt. Bereits vor Olympia hatte Präsident Wladimir Putin mit Formel-1-Chef Bernie Ecclestone einen Deal ausgehandelt, durch den der Olympiapark einmal im Jahr zur Rennstrecke wird. Eine Woche vor Beginn der Fußball-WM, bei der sechs Spiele in Sotschi stiegen, hatte Putin stolz die Verwaltung des Olympiaerbes zu einem "unbestreitbaren Erfolg" erklärt. "Beide Cluster in Sotschi sind ausgelastet."

Wie so oft in Russland ist die Nutzung der Stadien dabei teils weniger ein Resultat langfristiger Planung als vielmehr kurzfristiger Improvisation. So sollten gleich drei Stadien nach den Olympischen Spielen ab- und in anderen Städten wiederaufgebaut werden. Dann bemerkten die Planer, dass sie die Stadien nicht schadlos demontieren können, und beließen sie an Ort und Stelle. In der Eisarena Schaiba wurde ruckizucki ein Sport- und Erholungszentrum für Kinder eingerichtet, das eigentlich nach Rostow gehende Curlingzentrum erhielt – obwohl nicht voll ausgelastet – seine Funktion aufrecht, während das einstige Shorttrack-Zentrum als Eiskunstlaufschule dient.

KHL-Eishockey vor halbleeren Rängen

Dafür wurde im Eisschnelllaufzentrum Adler Arena Platz für eine Tennisakademie und für rhythmische Sportgymnastik gemacht. Pikanterweise baut nun auch die als Putin-Freundin geltende Ex-Olympiasiegerin und Duma-Abgeordnete Alina Kabajewa direkt neben dem Olympiapark ein konkurrierendes Zentrum für Sportgymnastik auf.

Beim großen Eispalast war die Nachnutzung hingegen von Anfang an klar: Der Kreml verpflanzte ein Eishockeyteam ins subtropische Sotschi, das seither in der KHL spielt, auch wenn die Halle mit rund 5000 Zuschauern pro Match nur halb voll ist.

Fußballverpflanzung

Die Zukunft des Fischt-Stadions, das nach Olympia aufwendig zu einem Fußballstadion umgebaut wurde, wird nun ähnlich dirigistisch geregelt: Da der Fußballklub Sotschi vor einigen Jahren pleitegegangen ist, soll der Petersburger Zweitligaklub Dynamo nach Sotschi umgesiedelt werden. Chef des Vereins ist der putin-nahe Oligarch Boris Rotenberg. Rentabel ist der Betrieb der Stadien noch nicht. Stadt- und Regionalverwaltung sollen in den vergangenen sechs Jahren 33 Millionen Euro investiert haben.

Der Berg-Cluster in Krasnaja Poljana hingegen trägt sich weitgehend selbst. Gerade im Winter ist der Andrang der Touristen auf den Pisten groß. Das Sommergeschäft der Hotelanlagen Rosa Chutor oder Russki Gorki ist zwar mau, findige Hoteliers bieten Gästen aber einen Shuttleservicedienst zum Strand an.

Damit die von Putin zu den Olympia-Investitionen gedrängten Oligarchen ihre Ausgaben wieder hereinbekommen, hat der Kreml kurzerhand Sotschi zu einer der vier Glücksspielzonen in Russland gemacht. Die Casinos in Sotschi prosperieren.

Einzig die milliardenschweren Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur sind wenig effektiv. Die S-Bahn von Sotschi nach Krasnaja Poljana fährt nur noch selten und ist teuer. Die Bewohner nutzen lieber das Auto. Die Umgehungsstraßen von Sotschi nach Adler haben die Staus zwar verringert, aber nicht abgeschafft. An den vielen Engstellen stehen die Einwohner nach wie vor jeden Tag im Hupkonzert. Aber Lärm ist man Sotschi inzwischen gewohnt. (André Ballin aus Sotschi, 15.7.2018)