gianluca wallisch
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Yamaha hat es nicht nötig, auf den Retro-Zug aufzuspringen, die Jungs und Mädels aus Hamamatsu waren schon immer da, Passagiere erster Klasse sozusagen. Etwa mit der legendären Yamaha SR 400 und 500, die – mit wenigen notwendigen Änderungen bzw. Motorisierungen – durchgehend seit 1978 gebaut und verkauft wird. Bloß nicht mehr im EU-Raum, weil der Motor dann doch nicht mehr den Euro-4-Vorschriften entsprechen konnte.

Die SCR 950 ist zwar nicht ganz so alt, es gibt sie erst seit rund zwei Jahren am Markt, doch sie steht plötzlich mit einer Selbstverständlichkeit da, als habe es sie immer schon gegeben. Im Gegensatz zu manch anderem Hersteller ist man bei Yamaha irgendwie kompromissloser, klassisches Design und zeitgemäße Technik in Einklang zu bringen. Und da man davon überzeugt ist, dass das gut funktioniert, hat das japanische Haus eine eigene Produktkategorie dafür erfunden: Sport Heritage. Ach wunderbares Marketing-Sprech!

Black beauty. Wenn bloß diese schiachen orangenen Seitenstrahler nicht wären!
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Tatsächlich hat sie SCR 950 viel Heritage, aber eher weniger Sport. Aber schauen wir uns erst einmal die Erbfaktoren an. Das fängt schon einmal beim Gewicht an: Da folgt man der Devise: Was wie Metall aussieht, ist auch Metall. Das ist schön, das funkelt, das ist massiv, das ist haltbar, das ist aber auch schwer. Über 250 Kilogramm – immerhin vollgetankt und mit Verbandspackerl – bringt die SCR auf die Waage. Damit ist klar: Eine Scrambler, wie das Namenskürzel SCR eventuell insinuieren soll, ist sie nicht. Auch wenn die Bridgestone-Reifen so tun, als ob das Gelände ihr bevorzugtes Habitat sei.

Also bedeutet das Akronym vielleicht eher "Super CRuiser" oder "Sehr Classischer Roadster"? Bingo. Zwar wundert man sich dann noch immer ein bisschen über die singend-vibrierenden Reifen (wie ein Mountainbike auf der hochalpinen Passstraße bergab), doch das ist die wahre Bestimmung dieser Schönheit: die Landstraße – mal kerzengerade, dann wieder sanft geschwungen, aber gern auch ab und zu sehr drehfreudig. Hier kommen die Eigenschaften der SCR 950 am besten zur Geltung.

Sanfte Linien prägen nicht nur die Hügel rund um Wien, sondern auch das Design der SCR 950.
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Nominell hat das V2-Triebwerk mit 942 Kubikzentimeter Hubraum "nur" 54,3 Pferdestärken, dafür aber ein wunderbares Drehmoment von knapp 80 Newtonmeter bei kommoden 3.000 Umdrehungen. Also: Alles, was sich jenseits der 30 Stundenkilometer abspielt, geht locker im vierten, fünften, sechsten Gang – ohne Ruckeln, ohne Stottern, ohne Sprotzen. Dafür mit einem schon serienmäßig suprigen Sound (na klar: V2!) und Good Vibrations (na klar: V2!).

Übertragen wird die Kraft ans Hinterrad mit einem Riemen, auch das passt hervorragend zu einem Cruiser, das ist auch beim amerikanischen Mitbewerb so Standard. Sehr smooth.

Ein bisschen eigentümlich ist allerdings, dass der ganze Motor ziemlich breit baut und die beiden Zylinder in der Längsachse doch sehr deutlich versetzt sind. Dazu ein Luftfilterkasten, der dem rechten Knie deutlich im Weg ist. Das stört jene, die den Knieschluss mit dem Tank suchen (hier aber fahrdynamisch ohnehin unnötig) – und das stört jene aber nicht, die ohnehin dauernd breitbeinig dasitzen.

Zwei Zylinder, in V-Form, 60 Grad, 80 Newtonmeter.
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Wohl auch der recht breiten Bauweise von Motor und Getriebeblock geschuldet ist die noch viel breiter angelegte Fußrastenanlage. Diese ist zwar beim Fahren zwar recht gemütlich, doch im Stadtverkehr und beim Rangieren stört sie doch sehr. Entweder hat man so lange Haxn wie der Kollege Gluschitsch (der manövriert und trippelt da einfach seitlich daran vorbei), oder man haut sich ständig die Schienbeine an oder holt sich Hämatome am Wadl. Am besten also gar nicht erst stehenbleiben.

Beim Fahren freilich ist alles wunderbar und stimmig. Obwohl die SCR 950 von ihren Dimensionen her keinesfalls als "klein" bezeichnet werden kann, fährt sie sich absolut easy wie ein Mopperl. Der Sitz ist ausreichend bequem (wenngleich auf der straffen Seite), und der breite Lenker fällt geradezu direkt in die Hände. So lässt es sich gut dahintuckern auf der Landstraße.

Aufpreis: Lieber das Öhlins-Fahrwerk (Bild) als einen anderen Endtopf. Denn der serienmäßige (Bild) klingt schon recht ordentlich. Finden zumindest wir von der geriatrischen Abteilung der Motorradredaktion.
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Doch gönnen wir den Knochen zwischendurch eine Pause und schauen wir uns die SCR ein bisschen genauer an: Die Gesamterscheinung ist sehr gelungen – wenn man nicht gerade auf kompromisslose Rennhummeln steht. Alle Proportionen passen, alle Dimensionierungen sind nicht nur technisch durchdacht, sondern auch optisch stimmig.

Schweinwerfer, Rücklicht, Blinker: Alles sehr fein, da braucht man nichts zu ändern. Heck: Passt auch... aber wenn man ein bisschen genauer hinschaut, hat Yamaha da schon mitgedacht: Mit einigen wenigen Handgriffen kann der geübte Schrauber, die geübte Schrauberin den Bereich hinter der Sitzbank demontieren und umbauen – oder weglassen. Kein Flexen nötig und auch kein Schweißen. Nondestruktives Plug and Play, das hat Yamaha auch schon bei der XSR 700 und bei der XSR 900 meisterhaft umgesetzt.

Wohin dann mit dem Licht – oder noch wichtiger: Wohin mit dem Kennzeichen? Na zum Beispiel an die Seite, auf Höhe der Hinterradachse. Der Zubehör- und Umbaumarkt bietet zahlreiche fesche Möglichkeiten. Und manche sind sogar in der gestrengen EU zugelassen.

Tank ist nicht gleich Tank

Ein Gustostückerl ist auch der Tank, klassisch in der Form und minimalistisch (so hab ich's eh gern) in Design und Farbgebung: Er ist nämlich geflanscht, wie ich mir habe erklären lassen. Soll heißen: Die Kante zwischen Ober- und Unterbau des Tanks (er kann ja schwerlich aus einer einzigen Stahlplatte gefertigt sein) weist keine scharfe Kante auf, sondern ist bündig verschweißt und verschliffen. Schaut super und sehr hochwertig aus – und seitdem ich das weiß, kann ich gar nicht anders und muss immer schauen, wie "billig" das bei den meisten anderen Motorrädern gemacht ist. Jedenfalls macht Yamaha hier sehr deutlich: Wir sind Liebhaber hoher Fertigungskunst.

Umbau-freundlich: Yamaha denkt bei seinen Sport-Heritage-Modellen mit uns macht das Pimpen von Haus aus leicht.
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Ebenfalls hochwertig sind die Fahrwerkskomponenten bei diesem Testmodell: Die formidablen Öhlins-Feder-Dämpferelemente (leider aufpreispflichtig) stechen sofort ins Auge. Sie sind mannigfaltig verstellbar, da sollte jede/r nach seiner Fasson glücklich werden können, wenn er/sie bereit ist, dafür über einen Tausender zu investieren. (Den Unterschied zum Serienmodell konnten wir mangels Serienmodell für diesen Bericht nicht eruieren.)

Und auch die (ebenfalls aufpreispflichtige) Fußrastenanlage aus dem Hause Billet sowie der Gabelstabilisator sind von erster Güte: Sehr solide, für die Ewigkeit gemacht.

Ordentlicher Sound

Was den Sound betrifft, so ist er absolut in Ordnung, Es gibt hunderte andere Motorräder, die klingen serienmäßig grauenhaft – da geht es gar nicht um die Lautstärke, sondern um den Klang an sich. Die SCR 950 gehört nicht dazu. Krümmeranlage und Endtopf sorgen für sonoriges Brabbeln, passt. Wer es aber noch kerniger will, kann ja in der modellspezifischen Zubehörliste nachschauen und beim Bestellen den Akrapovič auch noch auf die Wunschliste klicken. Oder man sucht ein bisschen im Internet und findet auch andere feine Hersteller.

Die Nußdorfer Weinbauern hoch über Wien fühlten sich von der Yamaha SCR 950 überhaupt nicht gestört, im Gegenteil: Sie beäugten sie freundlich-interessiert. Aufs Foto wollten sie dann aber doch nicht.
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Fazit

Wer tatsächlich Schotterstraßenterminator spielen will, sollte sich eine "echte" Scrambler zulegen. Wer aber "SCR" mit Cruising in Verbindung bringt und eine hochwertige Alternative zu diversen amerikanischen und italienischen Mitbewerbern sucht, wird mit diesem Motorrad glücklich werden. Denn die Landstraße ist das wahre Metier der SCR 950.

Optisch machen die Bridgestones, die Yamaha als "Hochleistungsreifen mit Würfelprofil" bezeichnet, Einiges her. Doch für den überwiegenden Einsatz auf Asphalt finden sich stimmigere Gummis. Am besten, man schaut sich einmal an, womit die großen Reiseenduros so unterwegs sind, vor allem jene bayrischer Bauart. Die haben nämlich alle formidable Bereifungen, die auf Asphalt supersmooth laufen, bei Nässe hervorragenden Grip bieten und auch auf Schotterstraßen nicht ins Schwitzen kommen. Gelände? Dünen? Vergesst es. Braucht niemand.

Finde den Unterschied: Die Yamaha SCR 950 und...
Foto: Yamaha Werk
...Yamaha XV 950 R rollen auf der gleichen technischen Basis.
Foto: Yamaha Werk

Ach ja, fast vergessen: Wer mit der Sitzhöhe von 83 Zentimetern nichts anzufangen weiß oder es aus religiösen oder bloß aus optischen Gründen gern ein wenig tiefer mag: Mit der XV 950 R bietet Yamaha ein weiteres Modell auf fast identischer technischer Basis an.... und so gibt es noch weniger Gründe, sich in den USA umzuschauen nach einem fahrbaren Untersatz. (Gianluca Wallisch, 30.7.2018)


Technische Daten und Preis (Herstellerangaben)

Motor: Luftgekühlt, 4 Ventile, 4-Takt, OHC, 2-Zylinder-V-Motor
Hubraum: 942 ccm
Bohrung x Hub: 85,0 mm x 83,0 mm
Verdichtung: 9,0 : 1
Leistung: 40 kW (54,3PS) bei 5.500 /min
Drehmoment: 79,5 Nm (8,1 mkp) bei 3.000 /min
Schmierung: Nasssumpf
Kupplung: Ölbad, Mehrscheiben
Gemischaufbereitung:Benzineinspritzung
Zündung: Transistor
Startsystem: Elektrisch
Getriebe: sequentielles Getriebe, 5-Gang
Sekundärantrieb: Riemen
Benzinverbrauch: 5 l/100km
CO2 Emission: 115 g/km, Euro 4 kompatibel
Rahmenbauart: Doppelschleifen
Federweg vorne: 135 mm
Lenkkopfwinkel: 29º
Nachlauf: 130 mm
Teleskopgabel: Ø 41 mm
Federung hinten: Schwinge
Federweg hinten: 110 mm
Bremse vorne: 1 Scheibe, Ø 298 mm
Bremse hinten: 1 Scheibe, Ø 298 mm
Reifen vorne: 100/90-19M/C 57H
Reifen hinten: 140/80R17M/C 69H
Gesamtlänge: 2.255 mm
Gesamtbreite: 895 mm
Gesamthöhe: 1.170 mm
Sitzhöhe: 830 mm
Radstand: 1.575 mm
Bodenfreiheit: 145 mm
Gewicht, fahrfertig, vollgetankt: 252 kg
Tankinhalt: 13 Liter
Öltankinhalt: 4,3 Liter

Der Verbrauch ließ sich im Test locker unter 5 Liter/100 Kilometer im gemischten Terrain halten.

Preis: 11.999,00 Euro

Hersteller-Link zur Yamaha SCR 950

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