Chambery – Vor dem ersten Rendezvous mit den Alpen demonstrierte Tour-Champion Chris Froome sein unerschütterliches Selbstbewusstsein. "Wir sind hier, um das Rennen zu gewinnen. Ich fühle mich großartig und bin genau da, wo ich sein wollte", sagte der Brite nach einer lockeren Trainingsausfahrt am ersten Ruhetag der 105. Tour de France.

Ähnlich wie die meisten seiner Rivalen hatte Froome am Sonntag das staubige Kopfsteinpflaster in der sogenannten Hölle des Nordens halbwegs unbeschadet gemeistert, nun freut er sich auf die Stunde der Wahrheit für die Aspiranten auf den Gesamtsieg. "Wir haben uns in den vergangenen Jahren das Wissen erarbeitet, wie man unter Druck fährt", sagte der 33-Jährige, der bei Sky eine Doppelspitze mit dem Waliser Geraint Thomas bildet.

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Greg Van Avermaet wird mit einer blitzblanken Rennmaschine die Alpen befahren.
Foto: reuters/foudrot

"Viele Optionen"

Thomas hat als Zweiter mit 43 Sekunden Rückstand auf den führenden Greg Van Avermaet die beste Ausgangsposition aller Topkletterer – und geht als gleichberechtigter Fahrer in die dreitägige Alpentortur mit dem Höhepunkt hinauf ins mythische Alpe d'Huez am Donnerstag.

"Er fährt wirklich sehr gut. Für uns ist es einfach fantastisch, dass wir dadurch viele Optionen haben", sagte Froome, der eine Minute hinter seinem Teamkollegen liegt. "Es wird eine natürliche Selektion geben", meinte Thomas mit Blick auf die Kapitänsrolle bei Sky. Das Rennen werde entscheiden.

Dieses erbarmungslose Rennen, das die Sieganwärter vor dem Transfer in die Alpen richtig leiden ließ. Das Kopfsteinpflaster in Richtung Roubaix forderte Mensch wie Maschine bis auf Äußerste und brachte den verletzten Australier Richie Porte (Schlüsselbeinbruch) um all seine Chancen. Auch Frankreichs Tourhoffnung Romain Bardet wurde durch etliche Defekte bis an die Grenze seine Kräfte getrieben. "Es ist ein Wunder, dass ich noch immer im Rennen bin", sagte er.

Hoffen auf Spannung

Mit knapp zwei Minuten Rückstand auf Thomas startet der kühne Bardet den Ritt durch die Berge, der ihn wie alle anderen in den Tourhimmel führen soll. "In den ersten drei Tagen nach dem Ruhetag geht es um alles oder nichts. Dann werden wir sehen, wer gut ist und wer nicht", sagte der Niederländer Tom Dumoulin, einer der großen Herausforderer Froomes und diesem beim Giro d'Italia nur knapp unterlegen.

Allgemein ist die Hoffnung groß, dass sich bei dieser 105. Frankreich-Rundfahrt ein lange nicht gesehener Kampf um den Gesamtsieg entzündet. Mehr als ein Dutzend Profis ist mit Ambitionen im Klassement angetreten, und fast alle liegen nach der Quälerei über die Rüttelpisten Nordfrankreichs noch im Rennen. "Jetzt beginnt eine neue Tour", befand der Vorjahreszweite Rigoberto Uran, der am Sonntag deutlich ins Hintertreffen geriet und neben dem Iren Dan Martin die schlechteste Ausgangslage hat.

Während Sky mit dem viermaligen Toursieger Froome taktieren und reagieren kann, ist auch Bergfloh Nairo Quintana gefordert. Der Kolumbianer steckt aber voller Tatendrang. "Der Rest der Tour wird anders. Jetzt kämpfen wir auf dem Terrain, das uns am besten liegt", sagte Quintana aus dem starken Team Movistar, das auch mit den Spaniern Alejandro Valverde und Mikel Landa auftrumpfen könnte.

Van Avermaet, der als Zweiter in Roubaix ankam, wird das gelbe Trikot am Dienstag ausziehen müssen. Eine Woche hielt sich der Belgier an der Spitze des Klassements, seit er das Maillot Jaune nach der 3. Etappe übergestreift hatte.

Geraint Thomas geht als Gesamtzweiter in die Alpen.
Foto: APA/AFP/CLATOT

Auf Schotter den Col de la Croix Fry hinan

Die 10. Etappe von Annecy über 158,5 Kilometer nach Le Grand-Bornand endet zwar noch nicht mit einer Bergankunft, sondern mit einer Abfahrt und einem abschließenden Flachstück. Der Weg dorthin hat es aber mit einer Bergwertung der höchsten Kategorie und dreien der ersten durchaus in sich. Dies gilt vor allem für den Anstieg zum Plateau de Glieres auf dem Col de la Croix Fry nach knapp 70 Kilometern.

Dieser ist zwar relativ kurz, gehört aber aus zwei guten Gründen dennoch zur "Hors Categorie": Mit im Schnitt elf Prozent ist er sehr steil, zudem geht es über 1,8 Kilometer auf einer Schotterpiste bergan – der erste Ausflug der Tour auf eine unbefestigte Straße seit 31 Jahren ist eine Reminiszenz an die Rad-Heroen der Vorkriegszeit. Auch der Doppelpack mit dem Col de Romme (8,8 Kilometer lang, 8,9 Prozent steil) und dem nach einer kurzen Abfahrt folgenden Col de la Colombiere (7,5/8,5) hat es in sich.

Das malerisch am gleichnamigen See gelegene Annecy hat die Tour zum vierten Mal zu Gast. 2009 gewann Alberto Contador hier ein Zeitfahren und machte einen großen Schritt zum Gesamtsieg. Vier Jahre später startete in Annecy die vorletzte Bergetappe der 100. Tour, die mit einem Sieg Nairo Quintanas und der Entscheidung in der Gesamtwertung zugunsten Chris Froomes endete. (sid, red, 16.7.2018)