Eine schwarze Wand diagonal im Raum. Darauf weiße Lettern. Ein Text von David Claerbout, der seine Gäste heranführt an sein Experiment des Verweilens, des Ganzgenauschauens. Das Kunsthaus Bregenz (KUB) sei der vermutlich einzige Ausstellungsort mit wahrhaft geräuschlosen inneren Organen, in dem keine Geräte summen oder rauschen, schreibt Claerbout. Diesen "Ort ohne Zeug" macht der belgische Videokünstler einen Sommer lang zum Rahmen für seine digitalen Projektionen.

Balu darf wieder Bär sein, muss nicht den Tollpatsch mimen. "The Pure Necessity", pure Notwendigkeit, nennt David Claerbout seine Fassadeninstallation.
Foto: Markus Tretter © David Claerbout, Kunsthaus Bregenz

Claerbout fordert heraus. Seine Videoinstallationen entsprechen so gar nicht dem üblichen Konsumtempo. Er serviert keine Cliphäppchen, bietet dafür so etwas wie Geist/Körper-Entspannung fürs Kunstpublikum. Wer hinter die große, schwarze Wand blickt, findet sich auf den ersten Blick im Kino wieder. Gezeigt wird eine Küstenlandschaft. Es ist Ebbe. Es ist still. Schnell wird spürbar, dass die Bilder etwas mit ihrem Publikum machen: Man schaltet zurück.

Am Strand von Dinard spielen Kinder im Wasser, stehen Erwachsene herum. Seltsam bewegungslos – wie das Wasser – erscheinen auch die Menschen. Ist etwas passiert? Wird etwas passieren? Alfred Hitchcock war hier oft auf Urlaub, hat eines der gezeigten Häuser zum Vorbild für das Motel in Psycho genommen. Die großformatigen Grau-Weiß-Bilder wechseln sehr, sehr langsam. 32:32 Minuten beobachtet der Fotograf das Geschehen aus verschiedenen Blickwinkeln.

Ausstellungsansicht von "The Quiet Shore".
Foto: Markus Tretter © David Claerbout, Kunsthaus Bregenz

The Quiet Shore nennt Claerbout das Einkanalvideo, sieht es als Beispiel für die Suche nach Materialität im digitalen Medium. Das Küstenvideo ist wie die weiteren Installationen ein Spiel mit der Wahrnehmung. Was wie eine Küstenszene ausschaut, ist im Studio inszeniert. Kein Bild ist gesehen, jedes ist konstruiert, vermittelt Claerbout. Oder in aktueller Sprache: Jedes Foto ist ein Fake. So ist auch das vertikale Slumhaus in Hongkong, Hauptobjekt der audiovisuellen Installation Radio Piece, digital nachgebaut. Der Sound ist eine technische Sinnestäuschung. Über Mikrofone in den Kopfhörern werden Geräusche transportiert.

Claerbout will damit mentalen Raum erzeugen. Symbolisch für den knapper werdenden Wohnraum in Zeiten von Immobilienblasen.

Alles Konstruktion

Mit dem Hörsinn spielt David Claerbout auch im ersten Stock. Dort lädt er in einem schwarzen Würfel auf eine Reise ein. Die Installation Travel führt durch Park, Wald und Dschungel. Wasser plätschert wie Entspannungsmusik, die man von diversen Wellnessbereichen kennt. Banal, aber intelligent gemacht, sagt Claerbout über die Einlulltöne. Schließlich würde ein Raum suggeriert, der jenseits des Konkreten liegt.

Ein Computerwerk ist auch Olympia, 2016 entstanden und im obersten Geschoß zu sehen. Gezeigt wird eine täuschend echte 3D-Version des nationalsozialistischen Berliner Olympiastadions. Simuliert wird, wie die Natur in einer Zeitspanne von 1000 Jahren das Gebäude erobert.

Teaser zu David Claerbouts Ausstellung in Bregenz.
Kunsthaus Bregenz

Man sieht der Zeit bei der Arbeit zu. Das dauert und erfordert Geduld. Dafür wird man, so verspricht der Künstler, mit meditativer Erfahrung belohnt. Man sieht "wirkliche Zeit in unwirklicher Umgebung vergehen". Mit einer Fassadeninstallation bespielt Claerbout auch den öffentlichen Raum. Wenn es dunkel wird in Bregenz, erwacht im KUB der Dschungel. Über die Glasfassade huschen Tiere: Balu, Baghira und Shir Khan, Hauptdarsteller aus dem Disney-Film Das Dschungelbuch.

Drei Jahre lang haben Claerbout und sein Team, das je nach Projekt aus zehn bis 15 Menschen besteht, die Einzelbilder des Films neu gezeichnet und zu einem Animationsfilm gereiht. Bär, Tiger, Panther dürfen als Tiere über die Fassade des KUB huschen, müssen weder den tanzenden Tollpatsch noch den fürsorglichen Adoptivpanther mimen.

Die Installation ist einerseits Hommage an das Kino und dessen Bildmächtigkeit. Andererseits will Claerbout die Veränderung unserer Gesellschaft aufzeigen. War 1967, als der Film auf die Leinwände kam, Kino noch ein Ort des gemeinsamen Vergnügens – "man verlagerte das Gespräch auf die Leinwand" -, so sei die heutige Gesellschaft geprägt von Individuen, "stumm auf sich selbst zurückgeworfen". Zumindest nachts vor dem KUB werden aus solch Displayfixierten temporäre Gemeinschaften, vereint in der Erinnerung an Balu und Co. (Jutta Berger, 17.7.2018)