In ein Flugzeug zu steigen und um die Welt zu fliegen ist für uns ebenso selbstverständlich wie die Verfügbarkeit von Arzneimitteln. Diese Errungenschaften verdanken wir vor allem der unbeschreiblichen Kreativität und Diversität der Natur. Sie ist es, die uns ein enormes Repertoire an Naturstoffen liefert. Diese Moleküle, aus verschiedenen Atomen aufgebaute molekulare Bauwerke, werden von vielen Pflanzen und Mikroorganismen nur in Spuren produziert. Synthetische Chemiker versuchen die architektonischen Meisterleistungen der Natur im Labor nachzubilden (siehe Bild unten) und ausreichende Mengen für die Entwicklung neuartiger Medikamente zur Verfügung zu stellen. Was die Natur mit höchster Präzision vollbringt, ist selbst für die Spezialisten oftmals nur unter großen Anstrengungen zu realisieren. Welche Parallelen gibt es zwischen der Architektur in der makroskopischen und molekularen Welt?

Herstellung von Naturstoffen im Labor.
Foto: Thomas Magauer

Komplexe Kohlenstoffgerüste

In Analogie zur Planung und Errichtung eines Gebäudes versuchen Chemiker ausgehend von kleinen und einfach erhältlichen Bausteinen ein komplexes, molekulares Gebilde zu generieren. Zunächst bedarf es jedoch einer ausführlichen Syntheseplanung, die auf der Zerlegung des Moleküls in kleinere Fragmente basiert und mit dem Plan eines Architekten vergleichbar ist. Gewisse Stellen der Bausteine, sogenannte funktionelle Gruppen, werden Schritt für Schritt mittels geeigneter Reaktionen modifiziert und transformiert. Aus einem Pool bekannter Reaktionen wird gezielt jene ausgewählt, die die gewünschte Transformation beziehungsweise Bindungsknüpfung ermöglichen sollte. An dieser Stelle ist oftmals viel Optimierung und Entwicklung notwendig. Viele gewünschte Reaktionen sind oftmals nicht verfügbar und müssen erst entwickelt werden. Durch sukzessive Umsetzung und Verknüpfung der Bausteine entstehen so komplexe Kohlenstoffgerüste, die mit dem Rohbau eines Gebäudes vergleichbar sind.

Molekülmodell des Naturstoffs Morphin.
Foto: Thomas Magauer

Die Einbringung der restlichen funktionellen Gruppen, also die Feinarbeiten, liefert schlussendlich den fertigen Naturstoff, zumindest am Papier. Aufgrund der Zunahme der Komplexität des Molekülgerüstes im Laufe der Synthese wird es zunehmend schwieriger, die Erfolgsaussichten der geplanten Reaktionen abzuschätzen. Mit steigender Anzahl an funktionellen Gruppen steigt auch die Häufigkeit, dass nicht nur die gewünschte Position im Molekül reagiert, sondern andere Bereiche des Gerüstes in Mitleidenschaft gezogen wurden. Wochenlange Arbeit kann so in kurzer Zeit zunichte gemacht werden. Die Kunst liegt darin, aus einem großen Repertoire an Reaktionen die richtigen auszuwählen und, falls nötig, auf das Problem zu adaptieren.

Pflanzen als Produzenten von biologisch aktiven Naturstoffen.
Foto: Thomas Magauer

Die Effizienz der Natur im Labor

In Sachen Effizienz ist uns die Natur in vielen Bereichen noch überlegen, jedoch hat die Synthesechemie einen entscheidenden Vorteil: Es ist nicht nur möglich, den Naturstoff nachzubauen, sondern auch voll synthetische Derivate des ursprünglichen Naturstoffes herzustellen. Das ist insofern von Bedeutung, da die Naturstoffe oftmals kein optimales Wirkungsspektrum aufweisen und gewisse funktionelle Einheiten überflüssig oder störend sind. Darüber hinaus ist es aufgrund der geringen Verfügbarkeit vieler Naturstoffquellen oftmals nicht möglich, ausreichende Mengen der gewünschten Moleküle aus natürlichen Quellen zu gewinnen.

Vor allem in der Antibiotikaentwicklung ist die Forschung zentral.
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Mit Unterstützung des österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF) und des Europäischen Forschungsrats (ERC) untersuchen wir innovative Ansätze zur effizienten Herstellung von Naturstoffen (Projekt "Halodrugsyn"). Die Synthesechemie ermöglicht es, die komplexesten architektonischen Meisterleistungen der Natur nachzubauen und neuartige Medikamente der Menschheit zur Verfügung zu stellen. Auch wenn es bereits gelungen ist, viele biologisch aktive Naturstoffe nachzubauen, stellt es weiterhin eine große Herausforderung dar, die Effizienz der Natur im Labor zu überbieten. Erste Erfolge im Bereich der Antibiotikaforschung konnten vor kurzem erzielt und in dem renommierten Fachjournal "Nature Communications" publiziert werden. (Thomas Magauer, 18.7.2018)