Als "ehrgeizigstes Förderprogramm für Forschung und Innovation" bezeichnet die EU-Kommission ihren Vorschlag für das neunte Forschungsrahmenprogramm namens "Horizon Europe". Am Dienstag haben die EU-Forschungsminister in einer informellen Ratssitzung in Wien erstmals darüber beraten.

Der Andrang hielt sich in Grenzen, als Österreichs Wissenschaftsminister Heinz Faßmann und EU-Forschungskommissar Carlos Moedas am Abend die Ergebnisse im Austria Center präsentierten. Das "weltweit größte kollaborative Forschungsprogramm", wie Faßmann betonte, stellt die Weichen dafür, zu welche Themen in den Jahren 2021 bis 2027 mit EU-Geldern geforscht wird. Trocken hört sich das an, aber es geht um nichts Geringeres als: Wie gestalten wir die Zukunft Europas? 100 Milliarden Euro hat die Kommission zu verteilen – wie sie das tun will, wurde heute beraten.

Der Topf ist um 23 Milliarden Euro praller als der des seit 2014 laufende Vorläufers "Horizon 2020". Nicht genug sei das, sagen die Unterstützer einer aktuellen Petition. Eine der Initiatoren, die österreichische Wissenschaftsforscherin Helga Nowotny, fordert ein Budget von 160 Milliarden Euro, um die wachsenden Herausforderungen zu bewältigen – auch angesichts des scharfen Wettbewerbs, der von den asiatischen Ländern ausgehe. So hinke die EU mit Forschungsausgaben von unter zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts Ländern wie Südkorea (4,2 Prozent), China (3,3) oder den USA (2,7) hinterher.

Moedas betonte, dass nicht darüber diskutiert wird, wie groß der Kuchen sei, sondern wie er aufgeteilt werde. Kritikern, denen die Grundlagenforschung zu kurz kommt, lässt Faßmann ausrichten: "Das Klagen ist des Forschers Gruß."

Mission Forschung

Wie schon Horizon 2020 soll auch Horizon Europe auf drei Säulen aufbauen. In Säule eins sollen insgesamt 25,8 Mrd. Euro für Grundlagenforschung zur Verfügung gestellt werden, gefördert durch den Europäischen Forschungsrat (ERC). Mit Mitteln von insgesamt 52,7 Mrd. Euro ist Säule zwei das umfangreichste Element. Hier werden unter dem Titel "Globale Herausforderungen und industrielle Wettbewerbsfähigkeit" fünf große Forschungsfelder gefördert (siehe Grafik).

Neu dabei ist, dass auch "missionsorientierte Forschung" gefördert wird. Dabei sollen Ziele mit hoher gesellschaftlicher Relevanz verfolgt werden. Dazu gehören: Gesundheit, Klimawandel, sicherere Ernährung. Kommissar Moedas betonte, dass es Europäer waren, die die ersten Ebola-Impfungen vornahmen, doch niemand in Europa weiß das. "Das ist nicht Ihr Fehler, es ist unserer." Moedas möchte, dass Europäer stolz auf ihre Forschung sind, die ja zu großem Teil aus Steuergeldern finanziert ist.

Weitgehend neu ist Säule drei, "Offene Innovation", die mit insgesamt 13,5 Milliarden Euro dotiert sein soll. Durch die Einrichtung eines mit zehn Mrd. Euro ausgestatteten "Europäischen Innovationsrats" (EIC) soll Europa zum Vorreiter bei "marktschaffenden Innovationen" werden.

Skepsis bei der Umsetzung

Wie das Programm genau umgesetzt wird, ist noch nicht geklärt, sagt auch Faßmann. "Wer hat mehr Macht bei der Entscheidung, was endgültig in ein 'work program' hineinkommt? Die Kommission oder die Mitgliedstaaten? Welche Rolle spielt das Europäische Parlament? Da wird es noch einige Diskussionen geben." Genau darin sieht Matthias Weber vom Austrian Institute of Technology (AIT) den springenden Punkt. Am Übergang zum neuen Programm sei ein "kräftiges Maß an Veränderung nötig". Weber ist Koordinator des Projekts Bohemia, das im Auftrag der EU-Kommission zukünftige globale Herausforderungen und Forschungs- und Innovationspotenziale Europas definierte, die als Denkanstoß für die Ausgestaltung des kommenden Rahmenprogramms dienen sollen.

"Eine missionsorientierte Forschungs- und Innovationspolitik, bei der es um Veränderungen des Gesellschaftssystems geht, ist sehr anspruchsvoll", sagt Weber. "Die EU hat derzeit nicht die Erfahrung und die Instrumente dazu." Außerdem bräuchte es dafür "radikaleres Denken". Österreich als EU-Ratsvorsitzland käme große Verantwortung zu, um Debatten anzustoßen.

Wie Großbritannien, das ja bis März 2019 den Brexit vollziehen will, in Zukunft in die europäische Forschungspolitik einbezogen wird, ist noch unklar. Überrascht zeigte sich Faßmann von der britischen Delegierten, die sich aktiv einbrachte: "Man könnte sagen: Es gibt hier kein Tomorrow." Er versicherte aber, dass es eine Post-Brexit-Zeit geben werde. Faßmann sieht Vorteile darin, Horizon Europe noch bis Ende der österreichischen Ratspräsidentschaft unter Dach und Fach bringen zu können: "Danach kommen wir in eine Phase von Unsicherheit." Ob das gelingt, ist noch unklar. (Karin Krichmayr, Anna Sawerthal, 17.7.2018)