Sigi Maron – ein so zorniger wie feinfühliger Protestsänger, wie es hierzulande keinen zweiten gab.

Foto: Elke Christiansen

Zu den Eigenheiten der Bigotterie zählt jene, noch die größte Frechheit im Zucker zu ersticken, jede Gemeinheit mit Süßstoff zu bestreuseln. So wird hierzulande aus jedem Schas noch eine Operette, aus einer verbalen Watschen ein von der Etikette vergewaltigtes Kompliment. Dieses Falsche im Falschen trug Sigfrid Maron nicht mit.

Sigi Maron war Protestsänger. Der Umstand, dass er damit meist allein dastand, erzählt viel über den Zustand unseres Landes. Lieber fordert man den Kopf des Überbringers einer schlechten Nachricht, als etwas gegen deren Ursache zu tun. Maron ließ sich deshalb nicht abhalten, der Gesellschaft und ihren politischen Repräsentanten den Spiegel (und den Mittelfinger) zu zeigen. Maron fuhr den sogenannten Mächtigen mit dem Arsch ins Gesicht, mit dem Furor des gerechten Zorns.

Kein Taktieren

Fehlende Gerechtigkeit und der Zorn, den das in Maron freisetzte, waren sein Antrieb. Deshalb schrieb er Lieder. Diese kannten nur die Offensive. Kein defensives Geplänkel, keine verniedlichenden Metaphern, nur die harte Wahrheit, und davon reichlich.

Im Rahmen des Gedenkens anlässlich des hundertjährigen Bestehens der Republik widmet sich die Reihe "Zwickt's mi" österreichischer Popmusik. Einzelne Alben, Songs und Künstler, die die heimische Populärmusik geprägt haben, werden in Erinnerung gerufen und vorgestellt.

Sigfrid Maron wurde 1944 in Gneixendorf in Niederösterreich geboren. 1956 erkrankte er an Kinderlähmung. Gitarre spielen hat er quasi ärztlich verschrieben bekommen, auf die Art lernte er seine linke Hand wieder zu verwenden.

Von Turrini entdeckt, von Heller gefördert, von Kos besucht

Nach der Matura arbeitete der Rollstuhlfahrer als Buchhalter in einem Kurheim, daneben war er Sänger und Gitarrist der Tanzkapelle The Bats. Die Gruppe löste sich Ende der 1960er-Jahre auf, Maron wurde Vater und Solokünstler und schickte Kassetten an die damalige Ö3-Sendung "Musicbox".

Das veranlasste Wolfgang Kos, Maron zu besuchen und gleich ein paar Songs aufzunehmen. Erstes Airplay. Peter Turrini gilt als Entdecker, er verfasste die Liner Notes auf Marons Debüt. Turrini schwärmte Heller vor, der war von Marons Kunst angetan und bat seinen Produzenten Peter Wolf, Maron doch bitte zu produzieren. 1976 erschien sein erstes Album.

Kampflieder von ganz unten

Auf dem Cover von Schön Is' Das Leb'n zeigt sich Sigi Maron im Rollstuhl mit seinen beiden Töchtern. Schon das erste Lied präsentiert einen Künstler, der kompromisslos aus dem Leben berichtete: von ganz unten, Im Sozialbau. Das war das Erste von vielen Kampfliedern, mit denen Maron gegen die Zustände wetterte, immer aus der Sicht der darunter Leidenden, immer aus der Perspektive jener, denen die Perspektive genommen wurde.

Goldene Zeiten für schlechte Architekten: Sigi Maron singt darüber, wie es sich Im Sozialbau so lebt.
Sigi Maron - Topic

Er sang bei der Arena-Besetzung und war in der Friedensbewegung aktiv. Maron war Kommunist, weil keine andere Partei mit seinem Gewissen eine größere Deckungsgleichheit aufwies. Doch sollte man ihn nicht daran festmachen. Klar hat er regelmäßig beim Volksstimme-Fest gesungen, doch was er anprangerte – Rassismus, Ausbeutung, soziales Unrecht –, das hat er nicht als Linker formuliert, sondern als normaler Mensch.

Da Hausmasta – von Marons zweiter LP Laut & Leise. Das Album erschien 1978 unter Beteiligung der Schmetterlinge.
Sigi Maron - Topic

Marons Karriere war wohl eine der ungewöhnlichsten im heimischen Pop. Er veröffentlichte die meisten seiner Alben beim Major Ariola und arbeitete später sogar im Bürojob dort. Als er später aufgrund der Zusammenlegung von BMG und Sony Mitte der Nullerjahre gekündigt wurde, schreib er einen seitenlangen Brief. Er tat darin dasselbe wie in seinen Songs. Er hielt den Chefs den Spiegel vor, zwang ihnen einen Perspektivenwechsel auf. Der Brief ist im Netz hier zu finden.

Schilling für Ray Davies

Musikalisch fand ein erstaunlich großes Publikum Gefallen an der ungeschminkten Sprache Marons. Obwohl er von den ORF-Radios lange boykottiert wurde, hatte er Hits wie die Mitzitant' (1979) oder das wochenlang in den Charts verfangene Geh no net furt, das Ray Davies von den Kinks ein paar österreichische Schilling bescherte, weil der Refrain zu nahe an dessen Don't Forget to Dance gebaut war. Ohnehin ein Irrtum.

Sigi Marons größter Erfolg: 1985 erschien Geh no net furt. Ö3 checkte nichts, Ray Davies freute sich über ein paar Tantiemenschilling.
JollyRoger2408

Von den Topcheckern bei Ö3 als Trennungsballade missinterpretiert, handelt es sich bei Geh no net furt in Wahrheit um einen Suizid mittels Überdosis. Ein anderer Irrtum, ein anderer Hit war Andreas. Ein Cover eines Liedes des italienischen Anarchisten Fabrizio de Andrè, das vom Radio lediglich als Schnulze wahrgenommen wurde.

Mit Ö3 befand Maron sich im Dauerclinch. Berühmt wurde die Anekdote seiner Festnahme, weil er aus dem Rollstuhl heraus auf die Stiegen des Funkhauses gebrunzt hat, wie er selbst sagte. Er tat das aus Solidarität mit dem Liedermacher Charly Kriechbaum.

Der war aus Protest gegen die Ö3-Musikredaktion in den Hungerstreik gegangen. Das muss man sich einmal vorstellen. Maron wurde von der Polizei in die Psychiatrie überstellt, was sein Bild von der Obrigkeit nur bestärkte und bei seinen Konzerten stets zu heiteren Schwänken führte.

Watschen für Ö3 und die SPÖ

Maron spielte mit Konstantin Wecker und arbeitete mehrmals mit Bob Ward zusammen, dem Produzenten des britischen Musikers und Multitalents Kevin Coyne. Angelegt hat er sich mit vielen, darunter waren der damalige Ö3-Chef Rudi Klausnitzer und der Naziarzt Heinrich Gross.

1982 legte er seinem Album Der Tag ist net weit eine Replik auf einen Brief Klausnitzers bei, in dem dieser österreichischen Musikproduzenten quasi einen Radio-Boykott in Aussicht stellte, wenn sie weiterhin "Vulgärtexte" und Lieder mit "extrem unnatürlichen Slang" produzieren würden.

Die Geschichte mit Heinrich Gross bescherte Maron Zorn und der Welt sein Lied Wir sind klein und du bist Gross. Eines der vielen Maronstücke, die die sensible Seite des Sängers zeigen – und eines der härtesten Lieder, die hierzulande je geschrieben wurden.

Eines der härtesten Lieder, die österreichische Popmusik je hervorgebracht hat. Marons Wir sind klein und du bist Gross.
Sigi Maron - Topic

Gegen die SPÖ wetterte er, weil sie Gross deckte, obwohl der in der Nazizeit an der Wiener "Euthanasie"-Klinik Am Spiegelgrund behinderte Kinder für Forschungszwecke missbrauchte und an ihrer Ermordung beteiligt war.

1986 zielte er auf Josef Cap – und traf ins Rote mit dem Schmählied "Pepi" und dem Refrain "Kaunst du di heit no in Spiagel schaun, dei Gsicht hast du längst schon valurn, wos bliem ist, kaunst a boid in Kübl haun, Pepi wos is aus dir wurn?"

Sigi Maron rechnet mit Josef Cap ab: "Pepi, wos is aus dir wurn?"
Rudolf Fußi

Eine Auswahl abseits der bekannteren Lieder bietet das eben erschienene Album Leckt's mi aum Oasch. Es bietet "seine bösesten Lieder 1976–2014". Das ergibt in dieser Sammlung immerhin 26 Stück – allesamt grandiose Zeitdokumente, oft von zeitloser Qualität. Veröffentlicht wird das Doppelalbum von Schallter Records, zusammengestellt haben es Walter Gröbchen und Franz Christian Schwarz.

Die eben erschienene Sigi-Maron-Sammlung mit einladendem Titel.

Das Album Leckt's mi aum Oasch ist ein grandioser Einstieg für Novizen und eine unentbehrliche Erinnerung an alle, die den 2016 gestorbenen Songwriter schon kennen. Und natürlich bietet es jenes Lied, ohne das kein Text über Sigi Maron auskommen kann: die Ballade von ana hoatn Wochn (leckt's mi aum Oasch). (Karl Fluch, 22.7.2018)