Der Wirkstoff Baloxavir marboxil verkürzt laut den Herstellern die Dauer der Virusfreisetzung und verringert die Viruskonzentration.

Foto: Getty Images/iStockphoto

Basel – Oseltamivir, das vom Pharmakonzern Roche unter dem Handelsnamen Tamiflu vertrieben wird, zählt zum meistverkauften Grippemedikament weltweit. Der Nutzen von Tamiflu und anderen Neuraminidase-Hemmern ist aber seit Jahren umstritten – nicht zuletzt deshalb, weil die Hersteller viele Studiendaten unter Verschluss hielten.

Im April 2014 veröffentlichte die Cochrane Collaboration, ein unabhängiges Forschernetzwerk, im Fachblatt "British Medical Journal" ihre Analyse zur Wirksamkeit von Tamiflu. Darin wurden auch bislang unveröffentlichte Daten berücksichtigt. Das Ergebnis: Die Einnahme von Tamiflu reduzierte die Dauer der grippeartigen Symptome bei Erwachsenen von 7 auf 6,3 Tage, bei Kindern war der Effekt noch geringer. Allerdings erhöhte das Mittel bei Kindern und Erwachsenen das Risiko für Übelkeit und Erbrechen um vier bis fünf Prozent.

Nun wollen der Schweizer Konzern Roche und das japanische Pharmaunternehmen Shionogi nachlegen und hoffen auf die Zulassung eines breiter wirksamen Grippemedikaments in den USA. Eine Studie an Influenzapatienten mit hohem Komplikationsrisiko mit dem neuen Wirkstoffe Baloxavir ist – den bislang verfügbaren Daten zufolge – mit positivem Erfolg abgeschlossen worden.

Neuer Wirkstoff besser als Tamiflu

"Baloxavir marboxil ist das erste antivirale Medikament, das einen klinisch bedeutsamen Nutzen bei Patienten zeigt, die am anfälligsten für Grippekomplikationen sind, wie zum Beispiel ältere Menschen und Patienten mit bestimmten Grunderkrankungen", sagt Sandra Horning, Chief Medical Officer und Leiterin der globalen Produktentwicklung von Roche.

Mit CAPSTONE-2 ist vor kurzem die zweite Wirksamkeitsstudie zu dem neuen Medikament beendet worden. Es ging dabei um die Therapie der Influenza bei Hochrisikopatienten. Die Definition der US-Seuchenschutzbehörde CDC für ein hohes Risiko bei Grippe umfasst Patienten mit Asthma, Diabetes, chronischer Lungenerkrankung oder Herzkrankheit sowie ältere Menschen ab 65 Jahren.

"Baloxavir marboxil zeigte auch eine überlegene Wirksamkeit im Vergleich zu Placebo und Oseltamivir in Bezug auf wichtige sekundäre Endpunkte, wie die Verkürzung der Dauer der Virusfreisetzung und die Verringerung der Viruskonzentrationen im Körper. Außerdem verringerte Baloxavir marboxil signifikant die Häufigkeit von grippebedingten Komplikationen verglichen mit Placebo", so das Fazit der Studie. Details würden bei einem wissenschaftlichen Kongress präsentiert werden.

Gefühlt 40 Stunden früher gesund

Baloxavir wurde ursprünglich von dem japanischen Unternehmen Shionogi entwickelt. Der neue Wirkstoff soll früher im Vermehrungszyklus der Influenzaviren ansetzen: Blockiert wird die sogenannte cap-abhängige Endonuclease-Aktivität des Polymerase-Enzyms des Virus. Damit wird im Endeffekt die Synthese neuer Virusproteine durch Behinderung der Entstehung der dafür kodierenden RNA-Erbsubstanzstücke gehemmt.

Das Arzneimittel muss im Gegensatz zu Oseltamivir & Co. nur einmal eingenommen werden. Es soll gegen Influenza-A- und Influenza-B-Viren, auch gegen Erreger, die gegen die älteren Arzneimittelresistent sind sowie gegen Vogelgrippe-Viren wie A (H5N1) oder A(H7N9) wirken. Das Medikament ist in Japan bereits zugelassen, ein Antrag bei der US-Arzneimittelbehörde FDA läuft, bis Weihnachten wird über eine Zulassung entschieden.

Im Oktober 2017 wurde die CAPSTONE-1-Wirksamkeitsstudie an mehr als 1.400 Influenza-Kranken ohne spezielles Risiko mit Baloxavir, Oseltamivir oder Placebo veröffentlicht. Dabei zeigte sich beispielsweise, dass die Virusausscheidung bei mit dem neuen Medikament Behandelten bereits nach 24 Stunden aufhörte, unter Therapie mit Oseltamivir nach 72 Stunden und bei Verwendung von Placebo erst nach 96 Stunden. Die mit Baloxavir Behandelten fühlten sich 40 Stunden früher wieder gesund. Der neue Wirkstoff dürfte den Herstellern zufolge auch seltener Nebenwirkungen verursachen. Kritiker behaupten hingegen, dass der Zusatznutzen im Vergleich zu Tamiflu nur marginal sei. (APA, red, 18.7.2018)