"Die Perlenschnüre lagen zehnfach um den Hals, der kleidsame ungarische Mantel war an der Schulter festgehalten mit unwahrscheinlich großen Diamanten und Edelsteinen (… ) Agraffen, Diademe, Armbänder, Kolliers funkelten in den echten Brokaten und alten Spitzen bei hellem Tageslicht so blödsinnig wie heute der Diamantglanz eines Revuebildes oder die Lichtreklamen der Boulevards."
Leiser Spott angesichts der Dekadenz der Noblessen schwingt in Dora Kallmus' 1931 notierten Erinnerungen mit. 1916 hatte die ungarische Aristokratie die unter dem Künstlernamen Madame d'Ora Arbeitende nach Budapest kommen lassen, um sich in ihrem Krönungsstaat ablichten zu lassen. Mit dem Schmuck wollte man nicht nach Wien reisen, was die Fotografin angesichts der Kriegszeiten und der schwer behängten Adelsdamen verstand. Dennoch war der Glamour und der Sexappeal, den die d'Ora nicht nur bei weiblichen Modellen zu beschwören vermochte, nicht jener von echten Klunkern. Aber dazu später.
Schon früh verstand sich die 1881 geborene Fotografin auf den Zauber fürs Auge, der Objekte anders erscheinen lässt, als sie wirklich sind. Eine Meisterschaft, die sie, Pionierin in einer Männerdomäne, rasch zur gefragtesten Fotografin der Wiener Gesellschaft – von Musikern, Malern, Ärzten, Rechtsanwälten, Bankiers und insbesondere von deren Angetrauten und Töchtern werden ließ. "Männer haben etwas von Austern, Frauen etwas von Pfauen", sinnierte sie 1942 über die Schwierigkeit, auch Männern im Por trät gerecht zu werden.
Hübscher als vorm eigenen Spiegel empfand sich insbesondere die weibliche Klientel auf den Porträts. Dora Kallmus' Geheimnis lag darin, in ihrem Atelier eine herzliche, entspannte und vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen: Zwischen Plauderei und Anprobe verschiedener Kleider, löste sie oft unbemerkt den Auslöser. Einen "Operettenerfolg" dank Fotos, die zu "Schlagern" wurden, nannte Dora Kallmus ihre Wiener Zeit später.
Machen Sie mich schön, Madame d'Ora! heißt denn auch die Ausstellung im Leopold-Museum – eine Anspielung auf den von Alma Mahler übermittelten Wunsch, der eigenen Schönheit mit Retuschen nachzuhelfen. Dem aufgespannten Bogen wird der leichtfüßige Titel jedoch nicht ganz gerecht. Die Schau, eine für Wien adaptierte Kooperation mit dem Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe und dem Photoinstitut Bonartes, reicht weit hinter die Zäsur, die die Verfolgung durch die Nazis und die Ermordung ihrer Schwester Anna in die Karriere der jüdischen Fotografin riss. Nach dem Krieg, während dem sie sich in einem französischen Bergdorf südlich von Lyon versteckte, nahm sie – inzwischen schon über 60 – die Porträtfotografie zwar wieder auf, aber ihre Bildsprache hatte sich, nicht nur vom Surrealismus beeinflusst, verändert.
Berührend sind die Fotos, die d'Ora von Flüchtlingslagern in Wien und Salzburg anfertigt. Von verstörender Eindringlichkeit sind hingegen die in Pariser Schlachthöfen entstandenen, teils in Farbe geschossenen Bilder: gehäutete Tierleiber, ein Haufen voller nasser, blutdurchtränkter Felle von abstrakter Grausamkeit oder sich in der brutalen Szenerie zart berührende Rinderschädel. Der Philosoph Siegfried Kracauer hatte die NS-Tötungsmaschinerie mit der Automatisierung moderner Schlachthäuser verglichen. Menschliche Abgründe stehen zwischen diesem kaum bekannten, nicht minder starkem und bis 1958 reichenden Spätwerk und der Verführungskraft jener fotografischen Ikonen, der Dora Kallmus ihren Ruhm verdankt.
Verführerischer Glamour
Es ist nicht nur die Kunst, mit der sie als Madame d'Ora die Protagonisten der Wiener Salons und die Akteurinnen von Theater und Mode in Szene zu setzen vermochte, die sich in der Ausstellung erzählt (Kuratorinnen: Monika Faber, Magdalena Vukovic). Spürbar wird auch das Selbstbewusstsein einer Frau aus bürgerlichem Haus, der eine künstlerische Laufbahn verwehrt blieb, die nach einer enttäuschten Liebe zu einem verheirateten Mann nie heiratete und schließlich den Weg zur wichtigsten Modefotografin von Paris beschritt.
Dass Dora Kallmus den Glamour, die mit Weichzeichner und Hell-dunkel-Effekten geschaffenen verführerische Oberflächen, allerdings auch für den Mann etablierte, dem ist ein kleines, aber spannendes Kapitel gewidmet: Anders als Clark Gable oder Gary Cooper, die einst als Individualisten des Typs Abenteurer oder Denker dargestellt wurden, setzte sie Chansonnier und Schauspieler Maurice Chevalier als Sexobjekt mit einem Glanzlicht auf seiner berühmten Unterlippe in Szene.
So wie die Damen ließ sie den Star, mit dem sie eine lange Freundschaft verband, mit der Kamera kokettieren, betörend mit gesenktem Kopf in die Kamera lächeln oder Gesten vollführen, die eigentlich weiblichen Porträts vorbehalten waren: 1925 titelte eine seiner Bühnenshows suggestiv Pour vous Mesdames. Aus männlicher Unnahbarkeit wurde ein Mann zum Anfassen. (Anne Katrin Feßler, 18.7.2018)