Vor 120 Jahren wurde nicht nur das Österreichische Archäologische Institut (ÖAI) in Wien gegründet, sondern auch seine Zweigstelle in Athen. Die ersten Direktoren der Zweigstelle waren gleichberechtigt der bedeutende Epigrafiker Adolf Wilhelm, eine Koryphäe auf seinem Gebiet, dessen Veröffentlichungen noch heute als grundlegend zitiert werden, und der vielversprechende, aber früh verstorbene Archäologe Wolfgang Reichel, dessen Schwerpunkt die Erforschung der ägäischen bzw. mykenischen Bronzezeit war.

Adolf Wilhelm, der erste Direktor der Zweigstelle Athen, 1931 bei der Arbeit im Epigrafischen Museum von Athen.
Foto: Archiv ÖAW

Ein Institut nimmt Form an

Bereits kurz nach der Gründung des ÖAI schenkte das Königreich Griechenland der österreichischen Regierung einen Baugrund zur Errichtung eines Institutsgebäudes in Athen. Nach knapp dreijähriger Bauzeit wurde es am 4. März 1908 in Anwesenheit des griechischen Königs Georg I. feierlich eröffnet. Der Bau wurde durch eine Stiftung Kaiser Franz Josephs I. ermöglicht und vom deutsch-griechischen Architekten Ernst Ziller, dessen zahlreiche Bauten die Architektur Griechenlands im 19. und frühen 20. Jahrhundert prägten, im neoklassizistischen Stil geplant.

Die Zweigstelle des Österreichischen Archäologischen Instituts zur Zeit der Eröffnung des neuerrichteten Institutsgebäudes um 1908.
Foto: Archiv ÖAW-ÖAI

Im Stil der Zeit prägten im frühen 20. Jahrhundert Forschungen zur antiken Kunstgeschichte die klassische Archäologie. Österreichische Archäologen um Rudolf Heberdey, der zwischen 1904 und 1909 an der Zweigstelle des ÖAI in Athen tätig war, gehörten dabei zu den Pionieren der Erforschung der Skulpturen auf der Athener Akropolis.

Camillo Praschniker beim Studium der Metopen am Parthenon.
Foto: Archiv ÖAW-ÖAI

Bereits 1911 war die erste in Österreich promovierte Archäologin Ada von Netoliczka Stipendiatin in Athen. Sie war als Expertin antiker Kleidung anerkannt. Damals ein Novum, da für Frauen ihrer Generation ein Studium an der Universität kaum möglich war – erst 1897 wurden Frauen als ordentliche Hörerinnen an der philosophischen Fakultät zugelassen.

Wichtige Ausgrabungsorte

Bereits mit der Gründung der Zweigstelle Athens wurden zu ihrer Stärkung Ausgrabungsprojekte auf der kaum bekannten und wenig erschlossenen nordwestlichen Peloponnes begonnen, zunächst in Lousoi, später auch in Elis und Aigeira. Bis heute sind die Forschungen in Lousoi und Aigeira ein wichtiger Schwerpunkt der Athener Zweigstelle.

Eine der prägendsten Persönlichkeiten der Zweigstelle Athen war Otto Walter, der das Institut in der Zwischenkriegszeit bis zur Schließung 1944 leitete. Walter genoss bei seinen Athener Kollegen höchstes Ansehen und behielt seine humanistische und liberale Einstellung auch in schwierigsten Zeiten. Ihm zu Ehren richteten seine griechischen Weggefährten in der Griechischen Archäologischen Gesellschaft eine Gedächtnisfeier zu seinem 100. Geburtstag aus, eine außerordentliche Würdigung, die nur sehr wenigen Forschern zu Teil wurde.

Otto Walter mit seiner Frau Olga. Auf dem Rücksitz Adolf Wilhelm und Wilhelm Dörpfeld.
Foto: Archiv ÖAW-ÖAI

Erst 1964 wurde die Zweigstelle Athen wiedereröffnet, aufgebaut und geleitet zunächst von Veronika Mitsopoulos-Leon und seit 2001 von Georg Ladstätter. Mit der Wiederaufnahme der Ausgrabungen des Instituts in Elis (in Kooperation mit der Griechischen Archäologischen Gesellschaft bereits ab 1960 bis 1980), Aigeira (seit 1972) und Lousoi (seit 1981) erfolgte die Anknüpfung an erfolgreiche Traditionen, wobei zunehmend interdisziplinäre und ganzheitliche Schwerpunkte im Mittelpunkt der Forschungen stehen.

Aigeira, Stadt des Achäischen Bundes

Hoch über dem Golf von Korinth liegt die antike Stadt Aigeira, deren sichtbar zutage liegende Ruinen bereits von Erzherzog Ludwig Salvator beschrieben worden waren, aber keine besondere Beachtung gefunden hatten. Geleitet von den Schriften des Pausanias gelangte Otto Walter im August 1915 nach Aigeira.

Das Theater von Aigeira und die Grabungen im öffentlichen Zentrum der hellenistischen Stadt mit Blick über den Golf von Korinth.
Foto: ÖAW-ÖAI / christian kurtze

Bereits am ersten Tag der Ausgrabung machte Walter den spektakulärsten Fund, einen hellenistischen Marmorkopf bester Qualität, der zu einer weit überlebensgroßen Statue des Göttervaters Zeus gehörte und heute an prominenter Stelle im Athener Nationalmuseum ausgestellt ist:

Der "Zeus" von Aigeira – der bisher spektakulärste Fund der Ausgrabungen.
Foto: Archiv ÖAW-ÖAI

Die Geschichte Aigeiras beginnt bereits im späten Neolithikum (im 6. Jahrtausend v. Chr.) und ist reich an Höhepunkten, insbesondere in der Späten Bronzezeit (12. Jahrhundert v. Chr.). Die große Blütezeit Aigeiras liegt ohne Zweifel im Hellenismus (3. bis 1. Jahrhundert v. Chr.): Die bis dahin überschaubare Kleinstadt wurde dank eines umfangreichen Bauprogramms, das wahrscheinlich aus Mitteln des Achäischen Bundes finanziert wurde, um das 14-Fache vergrößert. Dabei wurde eine massive Befestigungsmauer rund um die Stadt errichtet und zahlreiche neue öffentliche Bauten, die prunkvoll ausgestattet waren. Während die öffentlichen Bauten gut erforscht sind, weiß man dagegen kaum etwas über die Befestigungsmauer sowie die Organisation und das Alltagsleben dieser fast 50 Hektar großen Stadt.

Genau darauf zielen die neuen interdisziplinären und ganzheitlichen Forschungen des ÖAI ab, die versuchen, die Stadt unter sozialen, geografischen, historischen, ökologischen und städtebaulichen Gesichtspunkten zu erfassen und das Alltagsleben ihrer Bewohner darzustellen. Auch die Befestigungsmauer wird derzeit im Rahmen eines Projekts des Wissenschaftsfonds (FWF) erforscht.

Lousoi, Kleinstadt abseits urbaner Zentren

Etwa 50 Kilometer landeinwärts von Aigeira liegt südlich des Bergmassivs Aroania (Chelmos) die antike Kleinstadt Lousoi. An der steilen Nordseite des Berges entspringt der berühmte Fluss Styx, über den in der griechischen Mythologie die Seelen der Verstorbenen in den Hades geschifft wurden. Lousoi selbst liegt in einem fruchtbaren Hochtal, dessen idyllische Natur verständlich macht, weshalb das gebirgige Hochland von Arkadien bereits in der antiken Dichtkunst als entrückte pastorale Landschaft gerühmt wurde.

Das Hochtal von Lousoi mit dem Heiligtum der Artemis im Bildhintergrund.
Foto: ÖAW-ÖAI / christoph baier

In der Antike erlangte Lousoi insbesondere durch sein traditionsreiches Heiligtum, der Artemis Hemera, an Bedeutung, das bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert von den beiden ersten Direktoren der neu gegründeten Zweigstelle Athen erforscht wurde. Ein derzeit laufendes FWF-Projekt befasst sich im Speziellen mit der Frühzeit dieses Heiligtums. Die neueren Forschungen widmen sich zudem verstärkt der Frage nach der räumlichen Struktur der Kleinstadt, die in unmittelbarer Nachbarschaft zum Heiligtum lag und ihre Blüte zwischen dem 4. und 2. Jahrhundert v. Chr. erlebte.

Die Ruine eines hellenistischen Monuments in der idyllischen Landschaft im Gebiet des antiken Lousoi.
Foto: ÖAW-ÖAI / Niki Gail

Neben neuen Ausgrabungen im öffentlichen Zentrum der Stadt sind es vor allem zerstörungsfreie Verfahren, wie etwa geophysikalische Prospektionen oder die Analyse von Bewuchsmerkmalen mithilfe von Satellitenbildern, die Einblick in die im modernen Gelände kaum sichtbare antike Bebauungsstruktur geben. Im Zusammenspiel geistes- und naturwissenschaftlicher Disziplinen lässt sich auf diese Weise nach und nach rekonstruieren, wie die Siedlung abseits der großen urbanen Zentren der Antike im Laufe der Jahrhunderte wichtige Elemente antiker griechischer Stadtkultur aufnahm und in ihren eigenen Ausdrucksformen verarbeitete.

Kolonna auf Ägina, wichtiges Handelszentrum nahe Athen

Ein weiteres Projekt, bei dem die Zweigstelle des ÖAI Athen im Rahmen einer Kooperation beteiligt ist, ist die Ausgrabung der Universität Salzburg in Kolonna auf der Insel Ägina. Die im saronischen Golf vor Athen liegende Insel war besonders in der Frühen und Mittleren Bronzezeit des 3. und 2. Jahrtausends v. Chr. als Handelszentrum und Umschlagplatz von großer Bedeutung ebenso wie in der archaischen und frühklassischen Zeit (7. Jahrhundert bis erste Hälfte 5. Jahrhundert v. Chr.). Äginetische Erzeugnisse wie etwa Koch- und Trinkgeschirr wurden weithin geschätzt und erreichten eine für die damalige Zeit erstaunliche Verbreitung: So gelangte die Keramik in prähistorischer Zeit etwa bis nach Troja, in archaischer Zeit sogar bis nach Nordafrika und Südfrankreich.

Sonnenaufgang auf der Ausgrabung in Kolonna auf Ägina.
Foto: ÖAW-ÖAI / Walter Gauß

Die Zweigstelle Athen im 21. Jahrhundert

Die Zweigstelle des ÖAI Athen führt nicht nur eigene Forschungsprojekte durch, sondern unterstützt die österreichische Archäologie, Altertumsforschung und Byzantinistik auch als Serviceeinrichtung in Griechenland, etwa bei der Durchführung von Behördenanträgen zum Erwirken von Genehmigungen.

Ausgrabungen und Forschungen in Griechenland durchführen zu können ist sehr begehrt und gleichzeitig gewissen Beschränkungen hinsichtlich der Lizenzerteilung unterworfen. Jedes Land kann maximal drei eigenständige Ausgrabungsprojekte gleichzeitig sowie drei weitere Projekte in Zusammenarbeit mit griechischen Institutionen durchführen. Alle Ausgrabungslizenzen sind an ein fünfjähriges Forschungsprogramm gebunden, das jährliche Ausgrabungen in der Dauer von maximal sechs Wochen vorsieht und nach Maßgabe darüber hinaus Zeit für die Aufarbeitung und Restaurierung der Funde einräumt. Es ist selbstverständlich das Bestreben aller Lizenzträger, in Übereinstimmung mit dem griechischen Antikengesetz ihre Forschungsergebnisse rasch zu veröffentlichen.

Ein eigenes Stipendienprogramm der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ermöglicht Forschern und Forscherinnen zeitlich befristete Forschungsaufenhalte in Athen. Die Ausschreibungen für das aktuelle Stipendium laufen bereits. Die Zweigstelle dient außerdem als Repräsentanz österreichischer archäologischer Forschung im Ausland und führt gemeinsam mit der österreichischen diplomatischen Vertretung kulturpolitische Aktivitäten durch. (Walter Gauß, Christoph Baier, Christa Schauer, 19.7.2018)