Strengere Waffengesetze senken die Mord- und Suizidrate, zeigt eine Studie der Medizinischen Universität Wien. Gesellschaftliche Verunsicherungen dürften das Gegenteil bewirken

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Wien-Wieden, Ende Mai dieses Jahres: Eine 35-jährige Frau wird von ihrem Exfreund auf offener Straße erschossen. Der 38-Jährige gibt mehrere Schüsse ab und nimmt sich anschließend selbst das Leben.

"Wenn ein Mittel verfügbar ist, dann wird es genützt", sagt Daniel König von der Medizinischen Universität Wien. König publizierte kürzlich mit Kollegen eine Studie, die zeigt, dass Fälle wie dieser seit 2008 wieder im Steigen begriffen sind: Der spezifische Anteil an Morden, die durch Schusswaffen verübt wurden, steigt signifikant. Und die Abwärtskurve bei schusswaffeninduzierten Suiziden ist deutlich abgeflacht.

Existenzängste durch Krise

Damit wurde ein genereller Rückwärtstrend abgebremst, der in diesem Bereich seit 1997 deutlich erkennbar war. Zu diesem Zeitpunkt trat ein strengeres Waffengesetz in Kraft. Die Studie zeigt auch, dass hier ein Zusammenhang besteht: Die Anzahl der neu ausgestellten Waffenbesitzkarten pro Einwohner ging kontinuierlich zurück. Gleichzeitig sanken die Mord- und Suizidrate.

Bis zur Wirtschaftskrise 2008. Seither ist die Mordrate im Gesamten die einzige Variable, die nach wie vor stark im Sinken begriffen ist. Aber sowohl der starke Rückgang an neu ausgestellten Waffenbesitzkarten wurde abgebremst als auch der Rückgang bei den Suiziden. Bei Morden spielen Schusswaffen insofern eine signifikante Rolle, als der Anteil der Schusswaffenmorde seit 2008 jährlich um etwa zehn Prozent gestiegen ist.

Verunsicherungen

"Die allgemeine Verunsicherung in der Bevölkerung durch die Wirtschaftskrise könnte dazu geführt haben, dass 2008 der Rückwärtstrend bei den Neuzulassungen von Waffen gestoppt wurde", sagt König im Gespräch mit dem STANDARD.

Maßnahmen, die die soziale Gerechtigkeit befördern, in Kombination mit strengeren Waffengesetzen – dass diese einen Effekt haben, hätte man seit 1997 beobachten können – wären notwendig, um den Trend wieder umzukehren, meint König. Letztere sollen in der Tat noch diesen Herbst leicht verschärft werden, wenn die EU-Waffenrichtlinie umgesetzt werden muss.

Der Faktor Geschlecht konnte in der Studie zwar nicht explizit berücksichtigt werden. Aber man wisse aus anderen Untersuchungen, dass vor allem Männer dazu tendieren, Probleme gewaltvoll zu lösen, sagt König.

Verbale Deeskalation

Ein Plus an Neuzulassungen gab es außerdem 2015, als die Anzahl der Asylanträge in Österreich stark gestiegen ist. Auch hier sei die Bevölkerung durch "aufgebauschte Medienberichte" derart verunsichert worden, dass mehr Waffen gekauft wurden, sagt König.

Egal, ob es sich um eine reale oder irreale Bedrohung handle – die Wirkung bleibe. "Wir wissen auch, dass bei Suiziden die Angst vor einem Arbeitsplatzverlust stärkere Auswirkungen hat als der Verlust selbst." Verbale Deeskalation sei diesbezüglich angesagt.

Dass immer mehr Gewalttaten mit Stichwaffen verübt werden, überrascht König nicht: "Es geht immer um die Verfügbarkeit." Ein Argument, Schusswaffen möglichst außer Reichweite zu halten. (Vanessa Gaigg, 18.7.2018)