Inhalte des ballesterer Nr. 133 (August 2018) – Seit 19. Juli im Zeitschriftenhandel und digital im Austria-Kiosk

SCHWERPUNKT DIE FERNSEHLIGA

AN DEN BILDSCHIRM GEFESSELT
Wie die TV-Gelder die Bundesliga verändern

BESCHEIDENE ZWEITE REIHE
Die zweite Liga setzt auf Sparsamkeit

"WIR WOLLEN SOLIDARISCH VERTEILEN"
Bundesliga-Vorstand Ebenbauer im Sommergespräch

Außerdem im neuen ballesterer:

WELTMEISTER TRANSKARPATIEN
Bei der WM-Alternative in London

ALTER HUND MIT NEUEN FLECKEN
Die Clapton-Fans gründen ihren eigenen Verein

STÜRMER MIT A4-ZETTEL
Die Karriere von Wilhem Kreuz

SLOWAKISCHE DREHSCHEIBE
Das Transferdreieck Jos-Trencin-Gent

AUFSTEIGER NÜRNBERG
Der Club ist wieder da

AUFSTEIGER MAGDEBURG
Krügels Erben sind zweitklassig

MAMBA AUF DEM GOLAN
Die Revolution der Drusen

PARMAS BOY
Gedenken an Matteo Bagnaresi

UND DANN KAM DIEGO
Eine neapolitanische Liebesgeschichte

TRIKOTS OHNE NAMEN
Ein Anstoß zu Sturms Transfers

GROUNDHOPPING

Matchberichte aus Chile, Deutschland, Russland und Spanien

Cover: Ballesterer

Bereit für die deutsche Bundesliga: Außenverteidiger Phillipp Mwene (li) erfüllt sich seinen großen Traum.

Foto: APA/Pfarrhofer

Wien – Das Restaurant in der Kandlgasse in Wien-Neubau besitzt den Charme dekorativer Willkür. Sein Besitzer, Prince Pallikunnel, hat an der Kreuzung zur Wimbergergasse unter der Marke Prosi ein Imperium aufgebaut, das außerdem einen asiatisch-afrikanischen Supermarkt und einen Beauty-Salon umfasst. Phillipp Mwene, der an einem der Tische an seinem Mango-Lassi nippt, kennt sich im Grätzl aus. Bis 2006 befand sich hier das Restaurant Hakuna Matata seines Vaters John, der aus Kenia stammt. Der Swahili-Ausdruck bedeutet wörtlich übersetzt: Es gibt keine Sorgen.

"Ich kann mich noch gut an die Straßenfeste, die hier stattgefunden haben, erinnern", sagt Mwene. Der heute 24-Jährige ist einige U-Bahn-Stationen entfernt in der Leopoldstadt aufgewachsen. Wenn er die Türen der Altbauwohnung in der Großen Stadtgutgasse mit dem Fußball bearbeitete, schickte ihn die Mutter, eine Steirerin, zum Kicken in den Innenhof. "Sie ist Krankenschwester im AKH", sagt Mwene. "Das war praktisch. Wenn ich vom Training mit Blessuren nach Hause gekommen bin, hat sie mich sofort verarzten können." Als ihn Ende April die Transferanfrage des 1. FSV Mainz 05 erreichte, sei das ein Erfolg für die ganze Familie gewesen. "Der Papa hat mich, als ich im Austria-Nachwuchs gespielt habe, jeden Tag zum Ernst-Happel-Stadion gebracht und wieder abgeholt. Da muss ich mich noch einmal bedanken", sagt Mwene und klopft seinem Vater, der ihn an diesem Mittwochvormittag im Mai begleitet hat, auf die Schulter. Der hat sich derweil einen weißen Spritzer bestellt. "Ich feiere immer noch", sagt er.

Zukunftsängste

Lange hat John Mwene die Profiambitionen seines Sohnes, der sich als rechter Außenverteidiger regelmäßig knapp gegen seine Mannschaftskonkurrenten durchsetzte, nicht ganz ernst genommen. "Als nach einem Spiel der U16-Nationalmannschaft die Scouts vom VfB Stuttgart mit uns reden wollten, habe ich mir zum ersten Mal gedacht: Das kann etwas werden", sagt er. Phillipp Mwene wechselte 2010 als 16-Jähriger in die Akademie des deutschen Bundesligisten. "Einfach war das nicht für ihn", sagt der Vater, "denn er ist ein Mama-Bua."

Während sich seine ältere Schwester in Wien zur Lehrerin ausbilden ließ, gab Mwene den Eltern das Versprechen, in Stuttgart die Matura zu machen. 2013 kam er im Amateurteam des VfB unter, in dem er sich für die Kampfmannschaft zu empfehlen hoffte. Stattdessen stand er nach drei Jahren vor dem Abstieg in die vierte Spielklasse. Sein damaliger Berater, der ihm diverse Wechseloptionen in Aussicht gestellt hatte, erwies sich als unzuverlässig. "Ich habe lange nicht gewusst, wo und ob es weitergeht", sagt Mwene.

Entgegen den Erwartungen

Schließlich holte ihn Tayfun Korkut, der Mwene in der Stuttgarter Jugend trainiert hatte, als neuer Cheftrainer des 1. FC Kaiserslautern in die Pfalz. Eigentlich war er im Kader des Zweitligisten als Ersatz für Außenverteidiger Mensur Mujdza eingeplant. Der aber fiel schon zu Beginn der Saison 2016/17 verletzungsbedingt aus, und Mwene etablierte sich entgegen den Erwartungen als Stammspieler.

Auch Korkuts Rücktritt nach wenigen Monaten und weitere Trainerwechsel änderten an dieser Position nur kurzfristig etwas. Michael Frontzeck, zuletzt Betreuer von Mwene am Betzenberg, lobte gegenüber der Presse wiederholt dessen Torgefährlichkeit und Laufstärke. In der Rückrunde der abgelaufenen Saison machte Mwene auch mit einer Gelb-Anfälligkeit von sich reden. "Vielleicht war es der Situation geschuldet, in der wir uns befunden haben", sagt er. "Im Abstiegskampf haut man sich in jeden Zweikampf noch einmal anders hinein."

Ligaaufstieg

Den Abstieg der Pfälzer hat Mwene nicht verhindern können, sein Einsatz aber hat das Interesse der Konkurrenz geweckt. Schon vor Ende der Saison lagen mehrere Angebote deutscher Zweitligisten vor, auch Rapid fragte an. Für Bundesligist Mainz sprachen aus Mwenes Sicht die Ligazugehörigkeit und das, was er eine familiäre Atmosphäre nennt. "Die Entscheidung ist mir nicht leichtgefallen", sagt er. "Bei einigen Fans ist mein Wechsel nicht gut angekommen, auch weil zwischen Kaiserslautern und Mainz eine regionale Rivalität herrscht. Das kann ich verstehen." Wenn Mwene davon spricht, mit 24 den einzig richtigen Schritt für seine Karriere zu setzen, meint er damit auch: Es ist vielleicht seine letzte Chance auf einen Platz in der höchsten Liga. Mwene sieht sich selbst als harten, beständigen Arbeiter. "Ich will als jemand in Erinnerung bleiben, der immer Gas gegeben hat", sagt er.

Dass ihm Mainz-Trainer Sandro Schwarz keine Garantie auf Einsatzminuten gegeben hat, ist für Mwene daher kein Problem. "Ich muss meinen Stärken vertrauen", sagt er. "Der Trainer und der Sportdirektor gehen davon aus, dass ich gut in ihr System passe. Sie wollen offensive Außenverteidiger haben, die Flanken schlagen."

Langfristiges Vertrauen

Wie er mit dem Niveauunterschied zwischen zweiter und erster Liga zurechtkommen werde, könne er noch nicht sagen. Technisch versierte Spieler wie er, das habe ihm Schwarz in Aussicht gestellt, täten sich in der Bundesliga oft leichter. "Man hat mehr Platz und Zeit, weil sich alle intelligenter bewegen", sagt Mwene, der bei einer Größe von 1,70 Meter auf ein Gewicht von 66 Kilogramm kommt. "Es wird weniger gekämpft."

Mwenes Vertrag läuft bis 2021. In Mainz spielt er mit dem zweifachen österreichischen Teamspieler Karim Onisiwo zusammen. Mwene, der alle U-Nationalteams durchlaufen hat, trifft in der Bundesliga außerdem auf seine früheren Kollegen Michael Gregoritsch, Florian Kainz und Alessandro Schöpf. "Natürlich bleibt das große Ziel, in die Nationalmannschaft einberufen zu werden", sagt Mwene. Lieber aber denke er Schritt für Schritt. Mit Mainz, das in der vergangenen Saison knapp der Relegation entkam, gehe es um einen Tabellenplatz im Mittelfeld. "Und für mich ist es wichtig, meine Einsätze in der Bundesliga zu bekommen", sagt er. Von dort sehe man eben weiter.

Am Boden

Die zermürbenden Jahre in Stuttgart haben Mwene Zurückhaltung gelehrt. "Es ist wichtig, die Balance zu finden: nicht den Kopf hängen zu lassen, wenn es mal schlecht läuft, und nicht abzuheben, wenn gerade alles funktioniert", sagt er. In einem Auswärtsspiel mit Kaiserslautern im März, berichtet Mwene, habe ihn ein Gegenspieler nach einem Foul wiederholt rassistisch beleidigt. Mwene gab dem Schiedsrichter Bescheid, es folgten eine persönliche Entschuldigung von Trainer und Sportdirektor der gegnerischen Mannschaft. Der Spieler selbst aber habe sich nicht gemeldet. "Es ist traurig, dass es so etwas heute noch gibt", sagt Mwene.

Vor dem Trainingsbeginn in Mainz bleiben Mwene noch einige Tage in Wien, wo er seine früheren Mannschaftskollegen Tarkan Serbest und Ismael Tajouri trifft. Außerdem steht die Hochzeit seiner Cousine in der Steiermark an. "Ich versuche, so oft wie möglich nach Österreich zu kommen", sagt Mwene. "Aber je weiter es nach oben geht, desto seltener ist das möglich." Restaurantbesitzer Pallikunnel, der am Tisch Platz genommen hat, will Mwene bei einem Straßenfest Ende Juni für dessen bisherige Karriere den "Prosi Excellence Award" verleihen. Dass der Ausgezeichnete für die Preisverleihung nicht wird anreisen können, scheint ihn zu wundern. Doch Mwene arbeitet in Mainz auf neue Ziele hin. (Mareike Boysen, 19.7.2018)