Wien/Berlin – Mehr als 5.000 deutsche Wissenschafter haben Berichten mehrerer Medien zufolge Artikel in dubiosen wissenschaftlichen Fachzeitschriften publiziert. In Österreich waren die "Zeit im Bild 2" und die Wochenzeitung "Falter" an den Recherchen beteiligt. Man habe im Zuge dessen mehrere Hundert Fälle mit Österreich-Bezug entdeckt, hieß es seitens des ORF auf APA-Anfrage.

Die Forscher deutscher Hochschulen, Institute und Bundesbehörden veröffentlichten demnach oft mit öffentlichen Geldern finanzierte Beiträge in wertlosen Online-Fachzeitschriften pseudowissenschaftlicher Verlage, ergaben am Donnerstag veröffentlichte Recherchen von NDR, WDR, dem Magazin der "Süddeutschen Zeitung" und weiterer Medien. Grundlegende Regeln der wissenschaftlichen Qualitätssicherung würden von solchen Verlagen nicht beachtet.

Rund 400.000 Forscher betroffen

Weltweit sind den Enthüllungen zufolge 400.000 Forscher betroffen. Den Medienrecherchen zufolge weitete sich das seit einigen Jahren bekannte Phänomen pseudowissenschaftlicher Verlage in jüngster Zeit massiv aus. So habe sich die Zahl solcher Publikationen weltweit seit 2013 verdreifacht, in Deutschland sogar verfünffacht.

Den Berichten zufolge nutzen pseudowissenschaftliche Verlage den auf Wissenschaftern lastenden Publikationsdruck und sprechen diese per E-Mail an. Die Betroffenen publizieren Forschungsergebnisse gegen Zahlung teils hoher Gebühren in diesen über das Internet verfügbaren Journalen, die von Unternehmen in Südasien, der Golfregion, Afrika oder der Türkei herausgegeben werden.

Fragwürdige Studien

Die Firmen behaupten demnach, Forschungsergebnisse wie international üblich vor Veröffentlichung anderen erfahrenen Wissenschaftern zur Prüfung vorzulegen. Den Recherchen zufolge geschieht dies jedoch meist nicht. Vielmehr würden eingereichte Studien oft binnen Tagen publiziert. Dadurch gelangten nicht selten fragwürdige Studien mit scheinbar wissenschaftlichem Gütesiegel an die Öffentlichkeit.

Viele Wissenschafter wurden den Recherchen zufolge Opfer dieser betrügerischen Praktiken. In anderen Fällen jedoch nutzten den Berichten zufolge Autoren offenbar gezielt die Dienste solcher Verlage zur schnellen Veröffentlichung von Forschungsbeiträgen, ohne sich der Kritik von Kollegen zu stellen.

Fake-Verlage gefährden Vertrauen in Wissenschaft

Große Forschungsgesellschaften und deutsche Hochschulen erklärten dem Rechercheverbund zufolge überwiegend, das Phänomen prinzipiell zu kennen. Sie zeigten sich jedoch vom Ausmaß erstaunt und verurteilten die Praktiken entsprechender Fake-Verlage. So nannte die deutsche Helmholtz-Gemeinschaft die scheinwissenschaftlichen Verleger "eine äußerst negative und problematische Erscheinung des wissenschaftlichen Publikations- und Kommunikationssystems, gegen die mit allen rechtlichen Möglichkeiten konsequent vorgegangen werden muss". Solche Verlage würden nicht nur den Ruf einzelner Wissenschafter, sondern auch "das Vertrauen in die Wissenschaft selbst" gefährden. Betroffene Wissenschafter seien aufgeklärt worden.

Die Fraunhofer-Gesellschaft begrüßte die Medienrecherchen und erklärte: "Die Schaffung eines Bewusstseins für derartige unlautere Praktiken und ihre Konsequenzen ist ein wichtiger Schritt, um derartige Machenschaften zu stoppen." Die deutsche Recherchekooperation von NDR, WDR und "Süddeutschen Zeitung" wertete bei ihren Nachforschungen zusammen mit dem Magazin der "Süddeutschen Zeitung" 175.000 veröffentlichte Forschungsartikel von fünf der wichtigsten scheinwissenschaftlichen Plattformen aus.

Internationale Medien an Recherchen beteiligt

Beteiligt an den gut neunmonatigen Recherchen waren Journalisten weiterer Medien, so etwa von den Landesrundfunkanstalten der ARD und des Deutschlandfunks sowie von "Le Monde" (Frankreich), "The New Yorker" (USA), "Aftenposten" (Norwegen), "The Indian Express" (Indien) sowie vom koreanischen Investigativportal "Newstapa". Reporter der beteiligten Medien veröffentlichten bei den Pseudoverlagen erfolgreich zahlreiche unwissenschaftliche Papiere und traten auf mehreren ihrer Konferenzen auf. (APA, AFP, 19.7.2018)