London/Bradford – Infantile Amnesie ist die Bezeichnung für das Phänomen, dass wir uns an unsere ersten Lebensjahre nicht erinnern können. Hypothesen zur Erklärung gibt es verschiedene – sie treffen sich in dem Punkt, dass wir erst etwa ab dem dritten Lebensjahr Erinnerungen auf die Art abzuspeichern beginnen, wie wir es dann für den Rest unseres Lebens tun werden. Zu wirklich "erwachsener" Bildung von Erinnerungen komme es gar erst mit fünf oder sechs Jahren, sagt Martin Conway von der University of London.

Die Studie

Conway ist Koautor eines Papers, das nun im Fachjournal "Psychological Science" erschienen ist und auf einer Umfrage basiert: Zusammen mit Kollegen aus Nottingham und London befragte Studienleiterin Shazia Akhtar von der Universität Bradford insgesamt 6.641 Menschen nach ihrer frühesten Erinnerung. Ausdrücklich sollten sie dabei nur das angeben, von dem sie überzeugt waren, dass es sich um tatsächlich Erlebtes handelte. Dinge, die indirekt in Erinnerung blieben – basierend etwa auf Familienfotos, Erzählungen und ähnlichem – sollten sie nicht angeben.

Es zeigte sich, dass ein hoher Anteil der Antworten nicht zum heutigen Wissen über die frühkindliche Gedächtnisbildung passt. 38,6 Prozent der Befragten gaben an, sie könnten sich an Vorkommnisse erinnern, die geschahen, als sie zwei Jahre alt oder jünger waren. 13 Prozent machten sogar Angaben über die Zeit, in der sie ein Jahr alt oder noch jünger gewesen waren.

Konstruktion vermeintlicher Erinnerungen

Laut den Forschern handelt es sich dabei um fiktionale Erinnerungen. Nach genauen sprachlichen Analysen der Beschreibungen glauben sie auch den Mechanismus identifizieren zu können, durch den diese falschen Erinnerungen zustande kommen. Es seien Konstrukte, gebildet aus Fragmenten von nicht aktiv erinnerten Eindrücken und Informationen, die man irgendwann im Lauf seines Lebens aufgeschnappt hat.

Jemand habe beispielsweise den Satz "Mutter hatte einen großen grünen Kinderwagen" gehört und anschließend ein entsprechendes Bild vor Augen gehabt, das im Lauf der Zeit durch weitere Fragmente ausgeschmückt wurde und sich schließlich in die vermeintliche Erinnerung an etwas selbst Erlebtes verwandelte.

Ein interessantes Teilergebnis der Befragung war das Phänomen, dass solche falschen Erinnerungen nicht gleichmäßig über das Sample der Befragten verteilt waren. Alte Menschen sowie solche in mittleren Jahren neigten stärker dazu als junge. (red, 22. 7. 2018)