Allzu schweigsame Dates mit der Sammlung? Einmal die Stunde durchbricht Jean Tinguelys "Méta-Harmonie" (1978) die museale Stille mit Krach.


Foto: mumok © Bildrecht Wien, 2018

Der Titel klingt nach einer romantischen Hollywood-Komödie: 55 Dates. Hinter diesen mehr als vier Dutzend Verabredungen verbirgt sich allerdings die Neuaufstellung der Sammlung des Wiener Museums moderner Kunst, kurz Mumok. Originell ist nicht nur der Titel, der Betrachter einlädt, sich auf Kunstwerke einzulassen wie auf ein Blind Date, sondern der Ursprung dieser Idee.

Denn Ausgangspunkt war nicht die kuratorische Überlegung, sondern die Publikation 55 Dates von Kunstvermittler Jörg Wolfert. Die ist nicht Katalog zur Präsentation, sondern will vielmehr als "Ausstellung im Hardcover" verstanden werden. Das Buchkonzept: Kunst zugänglich machen, zu erklären, ohne unnötigen Fachjargon und den Anspruch, die umfangreiche Kollektion in ihrer Gesamtheit abzubilden.

Stattdessen ist die Auswahl individuellen Vorlieben und Interessen geschuldet. Zu sehen sind neben Publikumslieblingen wie Pablo Picassos Femme assise à l'écharpe verte (1960) oder Andy Warhols Porträt von Mick Jagger (1960) auch unbekanntere Positionen, etwa Paul Sarkisians riesiges hyperrealistisches Gemälde Untitled (Mapleton) (1971/72), das in monochromen Bleigrau die Fassade eines verlassenen Holzhauses zeigt, in dem der Künstler einige Monate lebte.

Das Buch (Verlag der Buchhandlung Walther König, € 14,90) gliedert sich in fünf thematische Kapitel – von Künstlerin Jakob Lena Knebl poppig bebildert und mit begleitenden Texten versehen, die kunsthistorische Einordnung bieten, ohne so komplex zu sein wie ein Fachartikel. So gelingt der Spagat zwischen Theorie und Massentauglichkeit.

Für die Übersetzung in den Ausstellungsraum haben sich Jörg Wolfert und Susanne Neuburger eines diskursiven Kunstgriffs bedient, der von der Ausstellungsarchitektur unterstützt wird: Künstler Hans Schabus entwickelte ein die Hängung bestimmendes offenes Raster. Orientiert an Sarkisians Hausfassade, reihen sich die Werke auf einer Höhe von 88 Zentimetern abstandslos aneinander, sind an Bauzäunen befestigt oder nebeneinander auf dem Boden aufgestellt. Wie in einem Schaulager soll man mit der Rückseite der Werke konfrontiert werden, einen Blick hinter die Kulissen des "White Cube" werfen können.

Die Bauzäune sieht Kurator Wolfert als Metapher der Veränderung, schließlich sei eine Sammlung immer ein Work in Progress, eine permanente Baustelle. Obendrein würde den Kunstwerken ihre Aura genommen, wodurch sie erst miteinander kommunizieren könnten.

Auf eine lineare kunsthistorische Hängung zu verzichten soll – verstärkt durch das dichte Nebeneinander – neue Beziehungsgeflechte offenbaren. In einer Reihe von Frauenporträts, darunter die schrille Janine (1973) von Ed Paschke, wird das offensichtlich: Wo man andernorts sehr genau hinsehen muss, um Zusammenhänge herzustellen, greift hier die Wisch-und-weg-Logik des modernen Online-Datings: Ein flüchtiger Blick genügt. (Kathrin Heinrich, Spezial, 20.7.2018)