Kent Nagano dirigiert die Lukas-Passion von Penderecki.

Foto: Felix Broede

Salzburg – Befragt nach der Beziehung zwischen Musik und Religion, reagiert der distinguierte Herr mit Schweigen. Unhöflich wirkt er dabei nicht. Kent Nagano schließt einfach die Augen, hält inne, womöglich, um recherchierend sein inneres Archiv der Erfahrungen nach Antworten zu durchforsten. Er wirkt wie ein Betender mitten in der Andacht. Irgendwie aber auch wie der Konzernchef, der dem Weltenlärm nach innen zu entfliehen sucht.

Tatsächlich ist er jener amerikanische Dirigent, der sich in eine Zeit zurückdenkt, da er mit Komponist Olivier Messiaen Erfahrungen sammelte. Fragen des Glaubens haben ja damals eine Rolle gespielt, nicht im dogmatischen Sinn allerdings: "Der Glaube war für Messiaen eine zentrale Inspiration", erinnert sich Nagano. Katholik Messiaen habe für das Verständnis seiner Musik jedoch keinerlei Religiosität gefordert. Einmal abgeschlossen, sollten Werke der Lebenserfahrung der Hörer überlassen bleiben.

Auch Nagano ist dieser Ansicht. Musikhören biete an sich eine quasi spirituelle Erfahrung. Sie könne religiös verstanden werden. Sie geht aber über Religiöses hinaus. So wie etwas Bachs Musik, die Nagano als evangelisch geprägtes Kind sehr früh kennengelernt hat. "Bach hat alles, was er schrieb, Gott gewidmet. Er ist aber universell verständlich."

Welt, schwer verständlich

Ähnliches gelte für Krzysztof Penderecki. Mit dessen Lukas-Passion eröffnet Nagano am Freitag im Verbund mit seinem Orchestre symphonique de Montréal die "Ouverture spirituelle" der Salzburger Festspiele. Auch diese Reihe mit geistlich geprägter Musik nennt Nagano als kontemplatives Angebot "essenziell", da sie vertiefende Erfahrung ermöglicht. Es sei dies wesentlich in einer Welt "die es uns schwer macht, sie zu verstehen".

Eine religiöse Figur hat Nagano übrigens in der Ära Gerard Mortier nach Salzburg geführt. Er hat 1998 die Messiaen-Oper Saint François d’Assise dirigiert, die auch eine biografische Wende für Nagano brachte, der in Morro Bay, Kalifornien, aufwuchs. Nagano war Teil jenes Teams um Dirigent Seiji Ozawa, das die Pariser Uraufführung der Oper (1983) vorbereitet hatte. "So habe ich praktisch ein Jahr mit Messiaen verbracht. Das Projekt band mich schließlich an Europa. Ich ging danach nie wieder weg."

Nagano wurde Leiter des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin, war später bis 2013 Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper . Und nun ist er Generalmusikdirektor der Hamburgischen Staatsoper, der sich allerdings auch dem Werk seines US-Mentors Leonard Bernstein widmet. Nagano hat gerade auf einer Doppel-CD dessen Oper A Quiet Place in Kammermusikversion eingespielt.

Auch an Bernstein, den Komponisten, der mehr als die allseits verehrte West Side Story geschrieben hat, glaubt Nagano. "Er war ein Genie. Wir haben es ihm jedoch schwer gemacht, er zu sein. Er wollte sich nicht wiederholen." Vom religiösen Weltbürger Bernstein, der äußerlich für nie enden wollende Impulsivität stand, habe er gelernt, die richtigen Fragen zu stellen. "Warum diese Note und keine andere? Dabei ging es nie um eindeutige Antworten. Die Frage ermöglichte aber, tiefer in Stücke vorzudringen", so Nagano.

Apropos Verhältnis Musik und Religion: "Ein großer Teil der Kommunikation, die Gott den Menschen gegeben hat, ist Musik", sagte einst Bernstein. Nagano wird dem nicht widersprechen. Wie könnte er. Dieser Satz ist als Motto seinem Buch Erwarten Sie Wunder! vorangestellt. (Ljubiša Tošić, 19.7.2018)