Marina Gross an der Seite von Donald Trump beim Gipfeltreffen in Helsinki.

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Dolmetscher arbeiten zumeist sehr diskret an der Seite oder im Hintergrund ihrer Klienten, oft sogar unsichtbar mit Kopfhörer und Mikrofon in stickigen Kabinen. Und dramatische Erlebnisse wie jene von Nicole Kidman als Silvia Broome in Sydney Pollacks Thriller "The Interpreter" (2005) gehören ohnehin ins Reich der mehr oder weniger plausiblen Fiktion.

Auch am vergangenen Montag galt das Blitzlichtgewitter in Helsinki nicht der Dolmetscherin Marina Gross, sondern ihrem Auftraggeber Donald Trump: Der US-Präsident nahm sie mit zum Treffen mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin.

Genau deswegen rückt Gross plötzlich dennoch ins Zentrum des internationalen Interesses: Sie war schließlich, außer Trump, die einzige US-Bürgerin, die beim Vieraugengespräch – auch ein solches muss simultan gedolmetscht werden – mit Putin anwesend war. Und dieser Umstand interessiert – nach zahlreichen, sich im Stundentakt widersprechenden Statements von Trump über den Inhalt des Treffens – nun auch den US-Kongress: Was hat Trump tatsächlich zu Putin gesagt, etwa als es um den Verdacht der russischen Wahlmanipulation ging?

Gross wäre nicht die erste Dolmetscherin, deren Aussage vor dem Kongress erwünscht ist, allerdings verhinderten bisher das Außen- oder das Justizministerium stets ein solches Hearing. Den Versuch bezüglich Gross schmetterten die Republikaner im Kongress ebenfalls ab, doch vielleicht landet die Causa doch noch vor dem Obersten Gerichtshof der USA.

Geschätzte Expertin

Gross genießt als vertrauenswürdige Sprachexpertin besten Ruf. Sie arbeitete schon unter George W. Bush (2001 bis 2009) für die US-Regierung. Der frühere US-Botschafter in Moskau Michael McFaul twitterte begeistert, Gross sei "fantastisch". Auch dessen Vorgänger John Beyrle attestierte ihr auf CNN, ein "Profi" zu sein.

Gross reiste etwa auch im April 2017 mit dem damaligen Außenminister Rex Tillerson nach Moskau, und der aktuelle US-Botschafter dort, Jon Huntsman, sowie Trumps Nationaler Sicherheitsberater John Bolton setzen ebenso auf ihre Expertise.

Sollte der US-Kongress tatsächlich Gross' Notizen einsehen oder ihr Erinnerungsvermögen abfragen dürfen, so wäre dies eine Weltsensation – und ein weitreichender Präzedenzfall: Denn plötzlich wäre die Person des Dolmetschers formal nicht mehr eine "Erweiterung" der handelnden Person, sondern ein juristisch relevanter Zeuge – mit Geheimwissen. (Gianluca Wallisch, 19.7.2018)