Druck- und Verlagshaus Vorwärts.

Foto: Robert Newald

Kongressbad in Wien-Ottakring.

Foto: Haller & Haller

Wiener Urania.

Foto: Wien Museum

Arbeiterheim Wien-Favoriten.

Foto: Haller & Haller

Heilig-Geist-Kirche Wien-Ottakring.

Foto: ÖNB

Nach einer Minute macht es klack. "Hier stimmt einfach jedes Detail", sagt Michaela Maier. "Selbst 108 Jahre nach Fertigstellung weisen die Möbel und Innenräume eine hochwertige, ja außergewöhnliche Qualität auf." Noch einmal klack. "In einem so schönen Haus zu arbeiten ist ein Privileg."

Maier ist Geschäftsführerin des Vereins für Geschichte der ArbeiterInnenbewegung (VGA). Zwei Stockwerke über ihrem Büro, es macht klack, wieder ist eine Minute vergangen, wieder hat sich der Zeiger um ein paar Zentimeter weiterbewegt, befindet sich das riesige Uhrwerk, das in der Nacht die Zeit in die Dunkelheit hinauskommuniziert, flankiert von zwei goldfarbenen Fahnenmasten und zwei stolz über das Wiental blickenden Betonfiguren. Klack.

Einzigartige Entstehungsgeschichte

Das Druck- und Verlagshaus Vorwärts auf der Linken Wienzeile 97 beinhaltet nicht nur eine der ersten elektronischen Uhren Wiens, 1910 in Betrieb genommen, sondern auch eine einzigartige Entstehungsgeschichte, die die demokratische Entwicklung dieser Stadt entscheidend mitgeprägt hat.

Das Haus, Resultat eines umfassenden Umbauprojekts des Otto-Wagner-Schülers Hubert Gessner, war Stammsitz der Arbeiter-Zeitung (AZ), die hier geschrieben, gesetzt und gedruckt wurde. Während im straßenseitigen Hauptgebäude die Redaktion untergebracht war, deren denkmalgeschützte Räumlichkeiten bis heute erhalten sind, befand sich im Innenhof die längst zerstörte Druckerei mit ihren Setzereien und Druckstraßen.

Hin zur freien Demokratie

"Um 1900 war Wien die viertgrößte Stadt Europas, es gab hier weit über 20 Zeitungen mit einer Gesamtauflage von einer Million Exemplaren", sagt Adolph Stiller. "Allein schon die Zelebrierung eines Massenmediums wie der Arbeiter-Zeitung in einem solchen Hause ist ein Indiz für die Bewegung von einem feudalen, neoabsolutistischen Österreich hin zu einer freien Demokratie mit allgemeinem Wahlrecht und gleichem Recht für alle." Die Zentrale der Vorwärts-Druckerei, so Stiller, sei eines der besten, eines der radikalsten Beispiele für diesen politischen Gesinnungswandel.

Genau diesem Phänomen widmet sich die Ausstellung Fundamente der Demokratie, die derzeit im Wiener Ringturm zu sehen ist. Gemeinsam mit seinem Kollegen Otto Kapfinger recherchierte und analysierte der Architekturwissenschafter und Kurator 105 Einzelprojekte im ganzen Land – darunter Wohnhäuser, Bildungsbauten, Sportstätten, Arbeitsorte und kulturelle Einrichtungen – und überprüfte diese auf ihren gesellschaftspolitischen Beitrag zum 100-Jahr-Jubiläum der Republik.

Neue Qualitäten

"Das Interessanteste", sagt Stiller, "ist, dass die politische und die architektonische Demokratie zeitlich weit auseinanderklaffen, denn die Demokratisierung im Bauen hat viele Jahre vor dem offiziellen Beginn der Republik stattgefunden." Ein Blick auf die Werkstätten der Vorwärts-Druckerei reicht aus, um der neuen Qualitäten für die Arbeiter gewahr zu werden: aufgeräumte Arbeitsorte, große Fensterflächen, umfangreiche Beleuchtung, Lüftungsanlagen in den Maschinenräumen, Einhaltung hygienischer Vorschriften und ein eigenes Zimmer für den Betriebsarzt.

"Ja, wir sind groß geworden, und damit trat an uns auch die Pflicht heran, im eigenen Heim zu erfüllen, was wir immer predigen: die Arbeitsstätten der Menschen weiträumig, luftig, hell zu gestalten, der Staubentwicklung, die jeder Betrieb mit sich bringt, entgegenzuwirken und dem Augen- und Lungenschutz der Arbeitenden, der damit bewirkt wird, auch allen weiteren gesundheitlichen Schutz beizugesellen", heißt es in der Arbeiter-Zeitung, Sonntag, 24. Juli 1910.

"Die Weiträumigkeit und die gute Ventilationsmöglichkeit bringen es zustande, daß auch hier nicht die Arbeit zur Qual werde." In einem Brief an Victor Adler schrieb Chefredakteur Friedrich Austerlitz, dessen Schreibtisch bis heute in Verwendung ist, sogar: "Der Organismus des Baus klappt so großartig, als wäre er um das Manuskript gewachsen."

Überaus schön gestaltete Bauten

Auffällig ist, dass es sich bei den in der Ausstellung gezeigten Projekten nicht nur um funktionale, sondern auch um überaus schön gestaltete Bauten handelt. Ganz gleich, ob die Vorwärts-Druckerei, das Arbeiterheim Favoriten, das als "Republik Konge" bekannt gewordene Kongressbad in Wien-Ottakring oder die von Max Fabiani errichtete Urania als erste manifest gewordene Erwachsenenbildungsstätte Wiens: Die Demokratie in all diesen Einrichtungen äußert sich nicht zuletzt darin, dass sie dem Volk mit ästhetischen Mitteln Respekt erweisen.

"Die Architekten haben damals die neuesten Trends und Baustile aufgegriffen", erklärt Adolph Stiller bei der Führung durch die Ausstellung, vorbei an unzähligen historischen Fotografien, Plänen und Zeichnungen. "Vor allem aber waren die damals errichteten Bauten technische Pioniere, in denen neue Bauweisen und materielle und konstruktive Patente angewandt wurden. Viele davon wurden europaweit in den führenden Architektur- und Konstruktionszeitschriften veröffentlicht."

Demokratischer Raum ohne Hierarchie

Im mittlerweile abgerissenen Festsaal im Arbeiterheim Favoriten, ebenfalls von Hubert Gessner geplant, kam die sogenannte Melan-Bauweise mit gebogenen Stahltraversen, acht Zentimeter Eisenbeton und integrierten Glasbausteinen zum Einsatz. In der Heilig-Geist-Kirche in der Herbststraße 80, einem Frühwerk des slowenischen Architekten Joze Plecnik, konnte der gesamte Kirchenraum aufgrund eines konstruktiven Kniffs stützenfrei ausgeführt werden – ein, so Stiller, "demokratischer Raum ohne jegliche Hierarchie zwischen Haupt- und Seitenschiff".

Und in der Schwarzwald-Mädchenschule in der Herrengasse wurde das ursprünglich geplante Steildach während der Bauarbeiten von Victor Siedek und Adolf Loos kurzerhand zum Flachdach umgeplant. Auf diese Weise hatten die Schülerinnen einen attraktiven Sportplatz mit Blick auf die Wiener Innenstadt.

Die Ausstellung Fundamente der Demokratie verlangt dem Besucher viel Zeit und Engagement ab, um in der Vielzahl der Bauten den gewohnten Blick abzulegen und die uns allen bekannten Häuser auch einmal durch die Brille politischer Evolution zu betrachten. Der Blick lohnt sich. In einer Zeit, in der sich die Zeiger öfter nach rückwärts als nach vorwärts drehen, ist er mindestens genauso wichtig wie vor hundert Jahren. (Wojciech Czaja, Album, 23.7.2018)