Es gibt nur wenige Themen, die das deutsche Feuilleton in Empörung versetzen. Die drohende Abwanderung von Kunstwerken, die ins Ausland verkauft werden sollen, gehört zweifelsfrei dazu. Nicht, wenn es sich um Objekte aus anonymem Privatbesitz handelt. Jedenfalls, wenn es um Eigentum bekannter Unternehmen geht.

Je höher der monetäre Wert, desto eher wird es von den Feuilletonisten zu "national wertvollem Kulturgut" ernannt, das es aus den Fängen des Markts zu befreien und im Land zu halten gilt.

Eine Linie, die im Anlassfall von der seit Dezember 2013 amtierenden Kulturstaatsministerin propagiert wird. Das spiegelt sich seit 2016 auch im vieldiskutierten Kulturgutschutzgesetz – ein akribisch erarbeitetes Regelwerk, das dennoch Raum für Deuteleien birgt, etwa wenn es um die Definition von "national wertvoll" geht.

Dieser 1586 von Giovanni di Bologna geschaffene Kriegsgott Mars war seit 1988 im Eigentum der Bayer AG. Zwei weitere Fassungen (1580/90) befinden sich längst in deutschem Museumsbesitz.
Foto: Sotheby's

Anders als in Österreich spielt die Nationalität des Künstlers dabei keine Rolle. Relevant ist, ob das Werk als Teil des kulturellen Erbes Deutschlands interpretierbar ist. Das Gesetz ermöglicht eine Kontrolle darüber, welche Objekte Eigentümer außer Landes bringen wollen. Wird ihm im Zuge des Ausfuhrantrags das Siegel "national wertvoll" verliehen, bleibt die Reise verwehrt. Für die Eigentümer hat das wirtschaftliche Einbußen zur Folge, da Verkäufe ins Ausland meist lukrativer sind.

Mediale Kampagne

Den Kulturgutschützern ist derlei freilich egal: sowohl jenen, die amtswegig prüfen, als auch den selbsternannten, die gerne die Moralkeule zücken. Dort, wo das gültige Gesetz oder vorangegangene Bestimmungen nicht greifen, kann man notfalls medial kampagnisieren, wie eine aktuelle Causa belegt.

Die Geschichte dazu beginnt im Jahr 1586, beim Regierungsantritt von Sachsens Kurfürst Christian I. Der guten Beziehungen zu Dresden wegen hatten die Medicis einige Geschenke geschickt, darunter drei Skulpturen von Giovanni di Bologna, genannt Giambologna, die sich noch heute im Bestand der Staatlichen Sammlung befinden. Nicht so die 40 Zentimeter hohe Statue des Mars, die ein persönliches Geschenk des Künstlers an den Fürsten war.

1918 waren die deutschen Fürstenhäuser entmachtet, ihr Vermögen beschlagnahmt und teils enteignet worden. Die Medici-Skulpturen verblieben in Staatsbesitz, das Privatgeschenk wurde 1924 an die Nachfahren des Hauses Wettiner restituiert. Die Familie trennte sich von der Skulptur, die 1927 über einen Ankauf in die Sammlung der von Friedrich Bayer mitbegründeten Firma gelangte.

1943 begleitete sie ein Vorstandsmitglied in den Ruhestand, verblieb über den Erbweg in Familienbesitz und kehrte 1988 geschenkweise zur Bayer AG zurück. Seither ist das Meisterwerk Teil der in den Büchern als Sachanlage geführten Unternehmenskollektion. Im Sommer 2016 gastierte es als Leihgabe im Züricher Stadtmuseum, wofür der Bayer AG die Ausfuhr im Frühjahr 2016 bewilligt worden war.

Eine Eintragung in die Liste "national wertvoller Kulturgüter" blieb aus, wohl deshalb, weil das Bode Museum (Berlin) und das Herzog Anton Ulrich Museum (Braunschweig) ebenfalls solche Mars-Skulpturen von Giambologna ihr Eigen nennen.

"Moralische Nötigung"

Am 4. Juli sollte der Kriegsgott bei Sotheby's in New York versteigert werden, der Erlös in zeitgenössische Kunst reinvestiert werden. Der Schätzwert lag bei 3,4 bis 5,7 Millionen Euro. Eine moderate Taxe, bei der es angesichts des Interesses potenzieller Käufer nicht geblieben wäre. Dazu gehörte auch der Fürst von Liechtenstein. Mit welchem Betrag Johann Kräftner als Chefeinkäufer rechnete? Mit zehn, eher 15 Millionen, bestätigt er im Gespräch.

Geschichte – die Skulptur wurde nicht versteigert. Die deutschen Feuilletons und die Ministerin protestierten, der Konzern beugte sich dem öffentlichen Druck. Die Bayer AG zog den Mars von der Auktion zurück und entschied sich zu einem Verkauf an die Staatliche Sammlung in Dresden. Zu einem kolportierten Preis von etwa fünf Millionen Euro.

"Der Bayer-Konzern sollte sich schämen", er habe sich "impertinent und dumm verhalten" ätzte die FAZ (3. 7.). Wie "rücksichtslos und kaltherzig erfolgreiche und gutverdienende deutsche Firmen nationales Kulturgut mit Gewinnabsicht zu verscherbeln" bereit seien, zeterte die Kulturstaatsministerin. Kaum waren die Kulturgutschützer am Ziel, setzte Monika Grütters nach und forderte die Konzernleitung zur Schenkung des Kunstwerkes auf.

Denn eingedenk des Milliardenwerts der Unternehmensmarke solle man sich "der damit einhergehenden gesellschaftlichen Verantwortung bewusst werden". Dort, wo das nationale Regelwerk nicht greift, soll privater Kunstbesitz also gefälligst verschenkt werden? Das grenzt an "moralische Nötigung", attestierte Die Welt (12. 7.) treffend. (Olga Kronsteiner, Album, 22.7.2018)