EU-Chefverhandler Barnier warnt, dass sich die EU auf einen Brexit ohne Deal einstellen muss.

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Großbritanniens Theresa May fordert von Brüssel Entgegenkommen in der Frage, wie Grenzkontrollen zwischen Nordirland und Irland nach dem Brexit verhindert werden können.

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Bei den Verhandlungen über einen geordneten Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union blieben "nur noch einige Wochen", um zu einem für beide Seiten akzeptablen Ergebnis zu kommen. "Das erfordert Klarheit ebenso wie Entschiedenheit" auf den höchsten politischen Ebenen, insbesondere in der britischen Regierung.

Das betonte der EU-Chefunterhändler für den Brexit, Michel Barnier, am Freitag nach einer Ministerratssitzung der EU-27 in Brüssel. Sie wurde von Europaminister Gernot Blümel in seiner Funktion als derzeitiger EU-Ratsvorsitzender geleitet. Es sei nach wie vor das Ziel, bis Ende Oktober eine Einigung über einen Austrittsvertrag zu erzielen, so Barnier. Dieser könnte dann in regulären Verfahren gemäß Artikel 50 des EU-Vertrags ratifiziert und am 29. März 2019 "wie von Großbritannien beantragt" umgesetzt werden. Nur in diesem Fall wäre es möglich, daran anschließend eine "Übergangsperiode" von 21 Monaten zu vereinbaren, in der dann weiter die bestehenden EU-Regelungen gelten könnten.

"No-Deal-Szenario" möglich

Allerdings: Der Chefverhandler betonte auch, dass man aufgrund der politisch unsicheren Lage in London mit allem rechnen müsse, auch mit einen "No-Deal-Szenario", also einem harten Brexit, mit dem das Land quasi über Nacht zu einem Drittland werden würde. Spätestens im Dezember werde man wissen, ob ein solcher "Hard Brexit" drohe oder nicht.

Alle müssten sich aber schon jetzt sicherheitshalber auf ein solches Szenario einstellen, die Bürger ebenso wie die Wirtschaft. Anlass für das außerordentliche Treffen war die Vorlage des Weißbuchs der britischen Regierung, in dem Premierministerin Theresa May neue Vorschläge macht, wie die Beziehungen von Großbritannien und der EU langfristig aussehen könnten.

London stellt sich vor, zumindest teilweise im Binnenmarkt bleiben zu können, was den Austausch von Waren und Agrarprodukten betrifft. Die Briten wollen aber nicht an der Freizügigkeit von Personen, Kapital und Dienstleistungen festhalten, die ganz den EU-Regeln unterworfen sind und die Säulen der Union im Wirtschaftsbereich darstellen.

Daran geknüpft sind auch alle Handelsbeziehungen zu Drittstaaten weltweit, mit denen die Union Verträge hat. Barnier machte am Freitag deutlich, dass das Weißbuch lediglich eine britische Verhandlungsposition sei. Am Mandat der EU-27 habe sich nichts geändert, so der Chefverhandler, und das sei von den Ministern der 27 Mitgliedstaaten so auch bestätigt worden: Für Großbritannien werde es kein "Rosinenpicken" geben. Entweder nehme ein Land ganz am Binnenmarkt teil oder eben nicht. Die EU werde keinesfalls ihre grundlegenden Regeln aufgeben.

Grenze zu Nordirland

Als ganz besonders schwieriges Problem erweist sich die Frage, wie man die Grenze zwischen der Republik Irland und Nordirland, das Teil Großbritanniens ist, löst. Die EU besteht darauf, dass es eine "Backstop"-Lösung geben muss für den Fall, dass die Briten aus dem Binnenmarkt ausscheiden. Damit die innerirische Grenze offenbleiben kann, um dem Karfreitagsabkommen zu entsprechen, könnte Nordirland über Sonderregelungen im Binnenmarkt bleiben (was London strikt ablehnt).

Oder es müsste Zollkontrollen Richtung Großbritannien geben, um sicherzustellen, dass beim Warenverkehr über diese Grenze alle EU-Bestimmungen eingehalten werden. Laut Barnier sei dies unabdingbar, um Zollregeln oder den Schutz der Konsumenten im EU-Raum sicherzustellen.

Die Briten hingegen fordern von den EU-27 diesbezüglich mehr "Kompromissbereitschaft", die EU solle "nicht umsetzbare Vorschläge" verwerfen, wie die britische Premierministerin am Freitag bei einer Rede in Belfast sagte. May stellt sich ein neues Zollabkommen zu Irland vor, etwa zwei verschiedene Zollsätze je nach Produkt, welches Barnier als "zu komplex" infrage stellte. Doch der Franzose gibt sich dennoch optimistisch: 80 Prozent des Austrittsvertrags seien unter Dach und Fach, ein Kompromiss sei möglich. (Thomas Mayer aus Brüssel, 20.7.2018)