Brigitte Annerl aus Wien lebt ihre Fußballbegeisterung in Hartberg voll aus. "Jedes Match soll ein Familienevent sein."

Foto: TSV Hartberg/Kristoferitsch

Es war vor rund fünf Jahren, als Brigitte Annerl in ihrer Firma Lenus Pharma Umbauarbeiten durchführen ließen. Der zuständige Baumeister erzählte ihr vom oststeirischen Fußballklub TSV Hartberg, er war begeistert und übertrug diesen Zustand auf die Unternehmerin aus Wien-Ottakring. Annerl, die mit dem Fruchtbarkeitsmittel Profertil Weltmarktführerin ist, schaute sich den 1946 gegründeten Verein an, stieg als Sponsor ein. Seit dem Vorjahr ist sie auch Präsidentin, seit heuer ist Hartberg Teil der neuen Zwölferliga. Im österreichischen (Profi-)Kick gibt es zwei weitere Präsidentinnen, allerdings in der Zweiten Liga: Diana Langes (Wattens) und Katja Putzenlechner (Wiener Neustadt),

Standard: Wie reagieren Sie, wenn behauptet wird, der TSV Hartberg sei ein Dorfklub, helfe dem Fußball in Österreich nicht weiter, werde ein Schicksal wie Grödig oder Pasching erleiden, verschwinden?

Annerl: Gelassen. Ein Schicksal wie Grödig kann ich nicht erleiden, weil ich eine Rasenheizung habe. Wir waren im letzten Jahr in der Ersten Liga der Dorfklub, der Underdog, der gleich wieder absteigt. Wir haben mit Spirit und Esprit die Sensation geschafft. Wir werden das hinkriegen.

Standard: Warum tun Sie sich das an? Was ist Ihr Antrieb?

Annerl: Hin und wieder frage ich mich das auch. Mir taugt dieser Fußball, mir taugen die Emotionen, mir taugt, dass wir einer ganzen Region Selbstbewusstsein geben können. Ich freue mich für die Leute, das ist ein Antrieb, mein Motor ist das Team. Ich habe für die Lizenz wie eine Löwin gekämpft.

Standard: Die Bundesliga hatte die Lizenz in zwei Instanzen verweigert, erst das neutrale Schiedsgericht gab grünes Licht. Ist der Kampfgeist in Ihrer Biografie begründet?

Annerl: Wahrscheinlich. Ich habe früh lernen müssen oder dürfen, auf eigenen Beinen zu stehen, mich durchzubeißen. Das kommt mir auf allen Ebenen zugute. Das ist nicht traurig, das war gut. Zudem bin ich eine Gerechtigkeitsfanatikerin. Ich habe ein eigenes Patent entwickelt, wir haben für unser Fruchtbarkeitsprodukt Zulassungen in mehr als 70 Ländern, das geht nicht reibungslos. Eine Zulassung in China zu bekommen ist eine Herausforderung. Im Vergleich dazu ist die Bundesligalizenz harmlos. In Hartberg war die Kurzfristigkeit das Drama. Aber ich beschwere mich nicht. Anforderungen wurden geschaffen, um sie zu erfüllen. Wir mussten wahnsinnig viel auf die Beine stellen, das ist uns gelungen.

Standard: Vor acht Monaten haben Sie wohl nicht damit gerechnet, dass nach Hartberg mit seinen rund 6000 Einwohnern Salzburg, Rapid oder die Austria kommen.

Annerl: Haben wir auch nicht, da brauchen wir uns nicht in den Sack lügen. Wir waren ja nicht einmal in der Ersten Liga etabliert, wir kommen aus der Regionalliga. In der Winterpause gab es dann vage Überlegungen.

Standard: Mit welchem Zuschauerschnitt rechnen Sie?

Annerl: Momentan haben wir 1700, wir gehen von 3500 bei den mittleren Spielen aus. Die großen Partien sollten ausverkauft sein. Wir haben 5061 Plätze.

Standard: Sie sind Pharmaunternehmerin. Ist diese Branche mit dem Fußballgeschäft vergleichbar? Fußball ist ja ein enormer Wirtschaftszweig geworden, global gesehen, bei allem Respekt nicht unbedingt in Hartberg. Ein Stangenschuss kann über Sein oder Nichtsein entscheiden. Ist das Unplanbare die Herausforderung?

Annerl: Der Unterschied ist gar nicht so groß, ich sehe Parallelen. Seitdem wir die Lizenz haben, sind wir zwangsläufig ein Wirtschaftsunternehmen und müssen als so eines handeln. Es geht um Menschen, die spielen Fußball, sie müssen einmal in der Woche performen, ihre Topleistung abrufen. Einmal haben sie Erfolg, einmal Misserfolg. Unser Produkt, das wir verkaufen, heißt Kader. Je besser der funktioniert, umso mehr Sponsoren habe ich. Es stimmt, vieles ist nicht berechenbar. Diesen Faktor habe ich in der Firma nicht in dieser Häufigkeit.

Standard: Sie leben im Stadion richtig mit, zeigen Emotionen.

Annerl: Ja, furchtbar. Ich bin, wie ich bin. Bei uns in der Firma ist es auch recht lustig, wir machen viel miteinander.

Standard: Wie hoch ist das Budget von Hartberg? Haben Sie privates Geld reingesteckt?

Annerl: Ja, habe ich. Wir budgetieren mit unter vier Millionen, Hartberg ist ein kleines, feines Ding.

Standard: Fußball wird von Männern dominiert, Frauen in Führungspositionen sind rar. Wollen Sie ein Zeichen setzen?

Annerl: Das spielt überhaupt keine Rolle, ich hab mir nie Gedanken gemacht über mein eigenes Geschlecht. Wenn ich an etwas glaube, setze ich es durch. Ich habe mich nie mit und an Männer gemessen. Aufs Mittel zur Steigerung der Spermaqualität habe ich nahezu ein Weltpatent. In welcher Domäne befinde ich mich da? Für mich geht es um den Menschen, der mit Leidenschaft, Engagement und Begeisterung seinen Beruf ausübt, das finde ich in Frauen und Männern. Zusammenhalt, Respekt, Stabilität sind entscheidend, das Geschlecht ist es nicht.

Standard: Die gesellschaftliche Bedeutung des Fußballs steigt, die Heldenverehrung nimmt bedenklich Ausmaße an. Stört Sie das?

Annerl: Fußball hat einen hohen gesellschaftlichen Wert, Nationen definieren sich über diesen Sport, das sieht man bei jeder WM. Wir sind Weltmeister, heißt es. Trotzdem ist es ein Spiel, es gibt ein Gruppengefüge, Menschen sind das Leben lang Anhänger von einem bestimmten Verein. Es gibt Spieler, die Leitfiguren sind. Und der Kleine kann ab und zu den Großen schlagen, das ist faszinierend. Wir waren gegen den hohen Favoriten Ried 0:2 im Rückstand, haben 3:2 gewonnen.

Standard: Ist es krank, wenn für einen Spieler, konkret Neymar, 222 Millionen Euro bezahlt werden?

Annerl: Da sind wahnsinnige Summen. Mir ist aber wurscht, was andere tun. Ich glaube nicht an so ein System, ich glaube nicht an einzelne, tolle Großeinkäufe. Da kann im Gruppengefüge auch Neid und Missgunst entstehen.

Standard: Wie kann sich Hartberg positionieren?

Annerl: Schritt für Schritt. Wir sind ein Trainingsverein. Wir können jungen, hungrigen Spielern eine Plattform bieten. In der Bundesliga, nicht in der Zweiten Liga. Unser Motto lautet: Rennt um euer Leben, dann werdet ihr von den Großen entdeckt, dort könnt ihr dann Geld verdienen. Ich kann ein freundliches Umfeld bieten. Es wird bei uns sehr charmant sein. Ein steirischer, charmanter Klub, den man sich gerne anschaut. Jedes Match soll ein Familienevent sein. Das geht in Hartberg.

Standard: Das Ziel kann nur sein, nicht abzusteigen, oder?

Annerl: Ja. Wir sind gekommen, um uns zu etablieren. Ich hätte auch weitergemacht, hätten wir keine Lizenz bekommen.

Standard: Das erste Spiel steigt am 28. Juli bei Sturm Graz. Aufgeregt?

Annerl: Ja, wunderbar, ein Steirer-Derby, echt charmant.

Standard: Die Frage, ob Sie die Abseitsregeln erklären können, ersparen wir uns. Weil sie saublöd ist. Passt das?

Annerl: Ja. Aber selbstverständlich kenne ich mich beim Abseits aus. (Christian Hackl, 21.7. 2018)