Wer viel Geld hat, kann auch viel machen damit, etwa ein Grundstück im besten Teil der Stadt kaufen und sich darauf eine große Villa bauen lassen. An guten Lagen am Rand größerer österreichischer Städte lässt sich beobachten, was passiert, wenn Wille zum Bauen und (zu) viel Geld vorhanden sind. Die Villen, die zur Zeit an jedem noch freien Grundstück wachsen, sind weiß oder metallic glänzend, mit ausladenden Terrassen versehen, von parkähnlichen Anlagen umschlossen und mit gängigen Designermöbel eingerichtet. Und sie sind von einer frappierenden Ähnlichkeit, egal ob man in Bregenz, Graz oder Linz ist. Ihr gemeinsames Merkmal ist: sie protzen. 

Häuser wie aus Hochglanzmagazinen

In der Architektur bedeutet viel Geld nicht zwingend viel Qualität. Im Gegenteil, Entwürfe gelingen oft umso besser, je größer die äußeren Zwänge sind: wenig Geld zur Verfügung, ein eng zugeschnittenes Grundstück oder eine schwierige Orientierung. Heute macht sich an den wohlhabenden Stadträndern allerdings ein High-Cost-Low-Taste-Stil breit. Die Häuser sind meistens nicht wirklich schlecht, aber gut sind sie auch nicht. Sie wirken, als wollten sie den Bildern aus Hochglanzmagazinen möglichst nahekommen. Den Nachbarn übertrumpft man nicht mit Originalität, sondern mit Größe. Die Zahlen sprechen für sich. Von knapp über 20 Quadratmetern pro Person (1971) stieg der verfügbare (und auch gewünschte) Wohnraum in Österreich zwanzig Jahre später auf über 30 Quadratmeter und lag 2004 bei bereits 41 Quadratmeter pro Person. Wie viele der anderen Standards, die wir schätzen, lässt sich dieser Raumanspruch kaum mehr revidieren. Weniger Raum? Nein, danke – vor allem dann nicht, wenn zugleich die Raumhöhe bei Neubauten selten das Minimum von 2,50 Metern übersteigt, der Fensteranteil ständig reduziert wird und sinnvolle Raumergänzungen, wie fix eingebaute Schrankwände und Schiebewände, jenseits aller Diskussionen liegen. Zu teuer!

Wie wohnt man auf 300 Quadratmeter?

In den Villen freilich gelten keine Durchschnittsraumgrößen und -höhen. Was aber macht man auf 300 Quadratmeter Wohnfläche oder mehr? Wie wohnt man da? Wohnbedürfnisse sind relativ, und man kann sie nicht vereinheitlichen. Man kann sie aber in Relation zu gebauten Gegenbeispielen stellen, zur Geschichte oder zu anderen Kulturen. Da lohnt sich etwa ein Besuch im benachbarten Baden-Württemberg, kulturell nicht weit weg von hier. Dort, also in Stuttgart beispielsweise, ist die Situation vergleichbar. Die besagte schwäbische Sparsamkeit ist relativ, wenn man die Limousinen und Villen sieht. Wobei, die Häuser sehen auch nicht anders aus als an den Rändern von Salzburg oder Linz. Dabei hat Stuttgart seit fast hundert Jahren eine Vorzeigesiedlung was die Kleinheit im Wohnen betrifft, die Weißenhofsiedlung aus dem Jahr 1927, und darin vor allem das vom französisch-schweizerischen Architekten Le Corbusier gebaute Doppelhaus. Die eine etwas größere Hälfte ist heute ein Museum, die andere etwas kleinere Hälfte eine begehbare Ausstellungswohnung. Und die ist wirklich klein, obwohl sie über drei Stockwerke geht. Sie ist erstaunlich aktuell in ihren Lösungsansätzen, erfrischend experimentell und gestalterisch sensationell.

Ein räumlich anspruchsvolles Konzept auf kleinstem Raum

Über den Grand Monsieur der Architekturgeschichte kann und soll man kritisch denken und schreiben, vor allem in Bezug auf seinen latenten Größenwahn bei Stadtkonzepten, wie die Stadt für drei Millionen Einwohnende (zum Glück nie gebaut) oder der Umbauvorschlag für das damals koloniale Algier, ebenfalls gescheitert. Beim kleinen Doppelhaus in Stuttgart aber zeigte Le Corbusier, worin seine wahre Größe lag: in einem guten Gespür für zukünftige Wohnbedürfnisse, einem räumlich anspruchsvollen Konzept und einigen wenigen, aber guten Details, wie etwa eine gut eingepasste Küchenzeile mit betonierter Arbeitsfläche, Schranknischen und Kombinationen aus Schiebewänden und ausklappbaren Elementen. Wenn man so entwirft, kann das Haus ruhig klein sein. Alle Häuser der Weißenhofsiedlung, von denen nur mehr etwa die Hälfte vorhanden ist, mussten mit wenig Platz, einem knappen Budget und einer Bauzeit von nur einigen Monaten auskommen. Le Corbusiers Antwort darauf war maximale Veränderbarkeit. Die Wohnebene im ersten Obergeschoss von nur etwa 50 Quadratmetern konnte durch Schiebewände und klug situierte Schrankeinbauten in drei Zimmer geteilt werden. In der Nacht zieht man Betten aus Schranknischen und die Schiebewände zu, tagsüber bewohnte man einen großzügigen, offenen Raum. Das Kunststück gelingt auf einer unglaublich knappen Fläche von 4,5 mal 8,5 Metern. Ergänzt wird der Raum durch einen sehr schmalen Gang, der zur Toilette führt. Eine räumlich gut gelöste, offene Treppe mit zwei Treppenabsätzen als Raumerweiterungen verbindet ein kleines Zimmer (ursprünglich Dienstbotenzimmer) im Eingangsgeschoß mit der Wohnebene und einer Dachterrasse darüber.

Schwierig Hanglage, kein Geld, minimale Bauzeit. Schlechte Bedingungen können sich gut auswirken.
Foto: Sabine Pollak
Im Modell wirkt das Doppelhaus abstrakt weiß und klassisch modern.
Foto: Sabine Pollak

Anstelle weißer Villen-Noblesse: warme Farben

Der Besuch im Stuttgarter Vorzeigehaus lohnt sich, nicht nur wegen der exzellenten Führung, die dort angeboten wird. Während das größere Haus innen für die Museumsnutzung zur Gänze in Weiß gehalten ist, ist das kleinere Haus in seinen Originalfarben erhalten und restauriert. Und diese Farben haben es in sich. Bis auf die Außenfassade in Richtung Straße, ist so gut wie nichts weiß in dem Haus. Die Blau-, Grau-, Rot-, Ocker-, Grün- und Brauntöne der Wände und Einbauten vervielfältigen das räumliche Konzept. Während das weiße Exemplar kühl und distanziert wirkt, erweitern die matten Farben im bunten Hausteil den knappen Raum, betonen Raumkanten und Flächen und vermitteln ein Gefühl der unmittelbaren Geborgenheit bei gleichzeitigem Weitblick in die Stuttgarter Hügellandschaft, ermöglicht durch ein horizontales Fensterband.

Hygienische Stahlrohrbetten verschwinden tagsüber in Schränken.
Foto: Sabine Pollak
Der verlängerte Treppenabsatz wird zu einem nutzbare Raum.
Foto: Sabine Pollak
Blautöne bilden die Referenz zum Himmel, Balken und Stützen rahmen den Ausblick.
Foto: Sabine Pollak

Was mehr zählt als Größe? Leidenschaft!

50 Quadratmeter für drei Personen? Ja, das geht, sofern eine schön geschwungene Treppe bis auf das Dach führt, der angebotene Raum sich verwandeln lässt und ein sichtlich mit großer Leidenschaft entwickeltes Farbkonzept – Le Corbusier war nicht ausgebildet als Architekt und vor allem auch Künstler – die Räume zu einem bewohnbaren Kunstwerk machen. Sie wollen sich eine Villa bauen lassen? Mit mehreren Bädern, einer Schauküche und ein paar hundert Quadratmetern Wohnfläche? Ja eh, aber fahren Sie davor in die Weißenhofsiedlung und testen Sie im Doppelhaus, ob es nicht auch kleiner geht. Es kommt nicht nur auf die Größe an. Auch im Wohnen. (Sabine Pollak, 25.7.2018)

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