Will nicht mehr im deutschen Nationaldress spielen: Mesut Özil.

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Berlin/London – Der mit Rassismus begründete Rücktritt des deutschen Fußball-Nationalspielers Mesut Özil schlägt hohe Wellen. Es sei ein Rückschlag für Integrationsbemühungen, wenn sich ein deutscher Fußballer vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) nicht repräsentiert fühle, sagen die einen. Andere sehen den Abgang als überfälligen Schritt. Die türkische Regierung lobt – und Özils ehemalige Mitspieler sagen wenig.

Ex-DFB-Chef: "Schwerer Rückschlag"

Der frühere DFB-Präsident Theo Zwanziger befürchtet durch den Rücktritt weit mehr als nur sportliche Konsequenzen. Özils Entscheidung sei "für die Integrationsbemühungen in unserem Land über den Fußball hinaus ein schwerer Rückschlag". Der türkischstämmige Weltmeister "war ein großes Vorbild für junge Spielerinnen und Spieler mit türkischem Migrationshintergrund, sich auch in die Leistungsstrukturen des deutschen Fußballs einzufinden".

Nun aber ist gewissermaßen Feuer am Dach. Özil kritisierte neben dem Verband vor allem dessen Präsidenten Grindel, aber auch deutsche Medien und Sponsoren für ihren Umgang mit ihm scharf.

Kritik an DFB-Boss Grindel

Vor allem auf DFB-Chef Grindel, der sich bisher nicht geäußert hat, wird der Druck immer größter. Özil fühlte sich von ihm schlecht behandelt. "Ich werde nicht länger als Sündenbock dienen für seine Inkompetenz und seine Unfähigkeit, seinen Job ordentlich zu erledigen", meinte Özil in seinem Statement. "Grindel war und ist der schlechteste DFB-Präsident, den ich je erlebt habe", sagte nun auch Harald Stenger, der langjährige Pressesprecher des DFB.

Auch Zwanziger, der in seiner Amtszeit das Thema Integration stark vorangetrieben hat, sieht Versäumnisse beim DFB. "Durch Fehler in der Kommunikation ist etwas passiert, das bei Migranten nie passieren darf: Sie dürfen sich nie als Deutsche zweiter Klasse fühlen. Wenn dieser Eindruck entsteht, muss man gegensteuern", betonte der 73-Jährige.

Erklärung des DFB

Das Präsidium des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) hat die Rassismusvorwürfe des zurückgetretenen Nationalspielers Mesut Özil "in aller Deutlichkeit" zurückgewiesen. "Der DFB engagiert sich seit vielen Jahren in hohem Maße für die Integrationsarbeit in Deutschland", heißt es in einer nach einer Telefonkonferenz des Präsidiums am Montag in Frankfurt am Main verbreiteten Erklärung.

Darin verweist die Verbandsspitze auf eine Reihe von Aktionen und Kampagnen, die in den vergangenen Jahren umgesetzt wurden. "Der DFB steht für Vielfalt, von den Vertretern an der Spitze bis zu den unzähligen, tagtäglich engagierten Menschen an der Basis." Auch der Abschied Özils aus der Nationalmannschaft ändere nichts an der "Entschlossenheit des Verbandes, die erfolgreiche Integrationsarbeit weiter konsequent und aus tiefer Überzeugung fortzusetzen".

DFB-Vize Koch: "Fehler auf allen Seiten"

DFB-Vizepräsident Rainer Koch hat analog zu der kurz zuvor veröffentlichten DFB-Erklärung angefügt: "Ich bedauere den Rücktritt von Mesut Özil sehr. Er hat großen Anteil an den überragenden sportlichen Erfolgen der deutschen Nationalmannschaft im letzten Jahrzehnt." Özils monatelanges Schweigen in der Erdoğan-Affäre habe aber "zahlreiche Missverständnisse ausgelöst", dabei seien "Fehler auf allen Seiten gemacht worden".

Koch betonte, dass er "ein klares Bekenntnis zu den Grundwerten unseres Landes von jedem Spieler erwarte, der für Deutschland spielt". Dann fügte er an: "Persönlich möchte ich noch sagen: Mesut Özil ist Deutscher und deshalb selbstverständlich auch mein Mitbürger. Für Positionen, die Deutsche mit türkischem Migrationshintergrund wegen ihrer Herkunft ausgrenzen, stehe ich nicht zur Verfügung. Gerade deshalb akzeptiere ich auch keine Rassismusvorwürfe gegen die DFB-Spitze."

Özils Karriere im DFB-Team.
DER STANDARD

Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, hält nun sogar die Integrationswirkung der Nationalmannschaft für gefährdet. "Vielfalt in der Nationalmannschaft war ein tolles Vorzeigeprojekt, was durch unfähige Führungskräfte nun zu scheitern droht", schrieb Sofuoglu auf Twitter.

Vertreter der türkischen Regierung nützten Özils Rücktritt für politische Vereinnahmung – jeweils über Twitter. "Wir unterstützen von ganzem Herzen die ehrenhafte Haltung, die unser Bruder Mesut Özil gezeigt hat", twitterte Sportminister Mehmet Kasapoğlu. Erdoğans Sprecher İbrahim Kalın thematisierte den öffentlichen Druck, unter dem Özil stehe. "Welch eine traurige Angelegenheit für diejenigen, die behaupten, tolerant und multikulturell zu sein." Laut Justizminister Abdulhamit Gül schoss Özil mit dem Ausstieg ein "wunderschönes Tor gegen das Virus des Faschismus".

Hoeneß: "Der hat seit Jahren einen Dreck gespielt"

Während etwa Liverpool-Coach Jürgen Klopp Partei für Özil ergriff, fiel Bayern-München-Präsident Uli Hoeneß mit untergriffiger Kritik an Özil auf. "Ich bin froh, dass der Spuk vorbei ist. Der hat seit Jahren einen Dreck gespielt. Den letzten Zweikampf hat er vor der WM 2014 gewonnen. Und jetzt versteckt er sich und seine Mistleistung hinter diesem Foto", sagte Hoeneß in einem Kreis von Reportern vor dem Abflug des Klubs zu einer US-Tour.

Zuletzt in Russland, als die deutsche Nationalmannschaft erstmals bereits in der Gruppenphase gescheitert war, habe "niemand hinterfragt, was der bei der WM für einen Mist gespielt hat", gab Hoeneß zu Protokoll. Der Bayern-Boss meinte zudem: "Die Entwicklung in unserem Land ist eine Katastrophe. Man muss es mal wieder auf das reduzieren, was es ist: Sport. Und sportlich hat Özil seit Jahren nichts in der Nationalmannschaft verloren."

Schweigende Kollegen

Auffällig ruhig war es bis Montagmittag aus der Ecke von Özils ehemaligen Mitspielern. Sie hielten sich mit Ausnahme von Jerome Boateng, der sich bereits früher zu Özil und dessen Erdoğan-Affäre geäußert hatte, mit Statements zurück. "Es war mir eine Freude, Abi", schrieb der Bayern-Verteidiger, der zum Abschied auf Twitter ein Foto mit seinem "Bruder" (türkisch: Abi) Özil postete. (APA, red, 23.7.2018)