Erik ten Hag ist seit Ende Dezember Trainer von Ajax Amsterdam, seine Bilanz ist durchaus ausbaufähig.

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Für Sturms Heiko Vogel ist Erfolg auch ein Gegner.

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Amsterdam/Graz/Wien – Eigentlich wollte Ajax Amsterdam in diesem Sommer Österreich entgehen. Das Trainingslager im Zillertal wurde abgesagt, um jenen Ort zu vermeiden, an dem vor einem Jahr Jugendspieler Nouri kollabierte und irreparable Gehirnschäden erlitt. Nun kehrt Ajax in der Champions-League-Quali nach Österreich zurück, zum Rückspiel gegen Sturm Graz (Mittwoch, 20:30 Uhr).

Das 2:0 im Hinspiel kann nicht über die jüngere Bilanz gegen österreichische Fußballteams hinwegtäuschen. Diese liest sich für Ajax verheerend (out gegen Salzburg 2014 und Rapid 2015), die vergangene Saison war ein rechtes Desaster. Der Glanz vom Europa-League-Finale 2017 verblasste nach dem Nouri-Drama zusehends. Erstmals seit 52 Jahren verpasste der Amsterdamsche Football Club einen Europapokal-Hauptbewerb. Trainer Marcel Keizer musste nach dem Cup-Aus im Winter gehen, ebenso Dennis Bergkamp, er war als Kulturbewacher tätig.

Eine Rolle, die den Zwiespalt im Verein ausdrückt. Ajax ist der Tradition und der spielerischen Revolution der 70er verpflichtet. Andererseits muss der Club mit der Zeit gehen, und die ist hochkommerzialisiert. Die Akademie bringt zwar regelmäßig Talente hervor, ohne Gerüst an (routinierten) Führungsspielern im A-Team sind diese aber zu wankelmütig.

Marktschreie

Das weiß mittlerweile auch Sportdirektor Marc Overmars. Zu Beginn verspotteten ihn Fans noch als "Netto"-Marc. So schnell, wie er früher am Flügel entlangflitzte, würde er Youngsters bereitwillig ziehen lassen, ohne Ersatz zu holen. Auf einem Transfermarkt, wo die europäischen Spitzenklubs für zuvor klassische Fünf-Millionen-Einkäufe nunmehr ohne Bedenken 20 Millionen hinblättern. Teilweise für Bankdrücker, juckt niemanden im englischen TV-Vertrag-Wonderland. Das strahlt in die Eredivisie und selbst österreichische Bundesliga aus. 2017 überwies Ajax für Maximilian Wöber 7,5 Millionen Euro an Rapid.

Der Klub hat sich immerhin saniert. Das Eigenvermögen lag zuletzt bei 175 Millionen Euro. Mittlerweile gibt man es auch aus: 11,4 Millionen für Offensivkünstler Dusan Tadic (Southampton), 16 für den verlorenen Sohn Daley Blind (Manchester United). Letzterer ist Konkurrenz für den 20-jährigen Wöber. Beide zusammen sind auch eine Kampfansage an die Konkurrenz. "Wenn wir einmal rote Zahlen schreiben, ist das so", sagt Overmars, wohl wissend, mit dem Kader über eine Goldgrube zu verfügen. Mittelfeldmann Frenkie De Jong (21) und Defensiv-Youngster Matthijs de Ligt (18) werden insgesamt mehr als 100 Millionen einbringen. Aber nicht heuer. "Unverkäuflich", sagt Overmars.

Unter Druck

Der erste Titel seit 2014 muss her. Der Rekordmeister (33) steht unter Druck, Trainer Erik ten Hag sowieso. Vorwürfe prasselten auf den 48-Jährigen ein. Trainingseinheiten und Besprechungen seien zu ausufernd. Zwischen den Zeilen überwiegt die Skepsis, ob Ajax nicht eine Nummer zu groß sei. Der frühere Innenverteidiger Ten Hag erscheint Fans und Medien zu bieder, seine Außendarstellung unglücklich. Die Champions-League-Gruppenphase würde ihm dringend benötigte Luft verschaffen. Die spielerische Leistung im Hinspiel machte durchaus Hoffnung, einzig dem dritten Tor trauert der Trainer nach: "Wir brauchen deshalb keine Angst haben, aber müssen in Graz hellwach sein".

Zweimal führte Ten Hag den Mittelständler Utrecht in die Top Fünf. Zuvor trainierte er die Amateure des FC Bayern. Nachfolger in München wurde dann ein gewisser Heiko Vogel, der heutige Sturm-Coach. Auch die Grazer positionieren sich als Ausbildungsklub und erlitten im Sommer einen größeren Aderlass als der Gegner.

Schmerzen

Ajax hat diesmal die Leistungsträger gehalten, Sturm gelang das nicht. Cupsieg, Platz zwei in der Liga – angesichts der Salzburger Dominanz fast als Maximum anzusehen – und das Schmankerl Champions League waren nicht anziehend genug. Dass James Jeggo, Christian Schoissengeyr und Bright Edomwonyi (alle zur Austria) beziehungsweise Marvin Potzmann und Deni Alar (Rapid) zur Ligakonkurrenz wechselten, schmerzt doppelt, Thorsten Röcher heuerte in Ingolstadt an.

"Erfolg ist vielleicht der größte Gegner von Kontinuität bei einem Verein unserer Größenordnung", sagt Vogel. Ein Umbruch sei aber eine Riesenchance, die CL-Gruppenphase wäre ein Traum. Nach dem Hinspiel umso mehr, weiß Vogel: "Wir müssen volles Programm fahren, damit wir es vielleicht noch schaffen". (Andreas Gstaltmeyr, 31.7.2018)

Technische Daten und mögliche Aufstellungen:

Sturm Graz – Ajax Amsterdam (Merkur-Arena, 20.30 Uhr/live ORF eins, SR Frankowski/POL). Hinspiel 0:2 – der Aufsteiger steht in der 3. Quali-Runde der Champions League, der Verlierer steigt in die 3. Quali-Runde der Europa League um.

Sturm: Siebenhandl – Koch, Spendlhofer, Avlonitis, Maresic, Ferreira – Hierländer, Lovric, P. Zulj – Hosiner, Pink

Ersatz: Schützenauer, Giuliani – Obermair, Schrammel, Huspek, Lackner, Grozurek, Eze

Es fehlt: Jantscher (Ödem im Unterschenkel)

Ajax: Onana – Mazraoui, De Ligt, F. De Jong, Tagliafico – Ziyech, Schöne, Eiting – Neres, Huntelaar, Tadic

Ersatz: Lamprou, Kotarski – Kristensen, Blind, Wöber, Van de Beek, S. De Jong, Labyad, Lang, Sierhuis

Es fehlen: Cerny, Veltman (beide Kreuzbandriss), Bande (Bruch des Wadenbeinschaftes), Dolberg (Bauchwandverletzung), Van Leer (krank)