Die Nachrichten aus Israel scheinen nicht zum Befund zu passen, dass sich der Krieg in Syrien dem Ende zuneigt: Die verstärkten Kampfhandlungen im Südwesten betreffen immer öfter auch den Nachbarn. Am Dienstag schossen die Israelis einen syrischen Kampfjet russischer Fabrikation ab, wie es heißt, zwei Kilometer innerhalb des israelischen Luftraums. Nach 2014 ist das der zweite solche Abschuss in diesem Krieg – und seit 1985. Und am Montag aktivierte Israel erstmals sein Raketenabwehrsystem "David's Sling" gegen zwei Boden-Boden-Raketen aus Syrien.

Die erhöhte militärische Einsatzfreude hat eine politische Entsprechung. Israel versucht, die Spielregeln für das zukünftige Nebeneinander von Israel und Syrien unter dem verbleibenden Assad-Regime aufzustellen. Die offizielle Formel dazu ist die Wiederherstellung des Zustands, der 1974 nach dem Jom-Kippur-Krieg festgelegt wurde: die von der Undof (UN Disengagement Observer Force) auf dem Golan überwachte Entflechtung.

RAQQA

Im Oktober ist es ein Jahr her, dass der "Islamische Staat" seine syrische "Hauptstadt" aufgeben musste – mit dem Makel, dass IS-Kämpfer teilweise abziehen konnten und eine bleibende Gefahr sind. Nicht nur das erschwert den Übergang zur Normalität. Die vom – von den SDF gestellten – Raqqa Civil Council verwaltete Stadt ist nicht so schwer zerstört wie Westmossul im Irak, aber auch hier ist noch nicht einmal die Leichenbergung abgeschlossen, geschweige denn die Minenräumung, Voraussetzung für den Wiederaufbau. Es scheitert aber auch an einem politischen Konzept.

Aber es geht eben nicht mehr nur um die Syrer jenseits der Grenze, sondern auch um den Iran und die libanesische Miliz Hisbollah, deren Präsenz Israel nicht dulden will. Manche Beobachter wollten schon einen Durchbruch erkennen: Israels Premier Benjamin Netanjahu besuchte am 11. Juli den russischen Präsidenten Wladimir Putin in Moskau, und am 16. Juli verkündete US-Präsident Donald Trump bei seinem Treffen mit Putin in Helsinki, Russland und die USA würden gemeinsam für die Sicherheit Israels sorgen. Auch zwischen Moskau und Teheran wird geredet und gereist. Deal done?

AFRIN

Die Türkei kontrolliert mit eigenen Truppen sowie mit syrischen Hilfstruppen weiter das Gebiet um die Stadt Afrin. Der Angriff 2018 wurde mit dem Kampf gegen "Terroristen" begründet, damit waren gleichermaßen der "Islamische Staat" und die Kurdenpartei PYD und ihre Milizen YPG gemeint, die Ankara als Ableger der türkischen PKK sieht. Für ihre Mission braucht und unterstützt die Türkei syrische Islamistengruppen – und hat das syrische Regime und Russland davor gewarnt, Idlib anzugreifen.

Am Montag sollten Russlands Außenminister Sergej Lawrow und Generalstabschef Waleri Gerassimow in Israel die Details festzurren, hofften die Optimisten. Aber man kam nicht zusammen. Das russische Offert, die Iraner 100 Kilometer von der Grenze weghalten zu wollen (zuvor wurden nur 80 genannt), war nicht genug. Israel verlangt die Entfernung von Langstrecken- und Präzisionswaffen sowie Raketenabwehr. Schwer vorstellbar, dass Moskau diese Forderung erfüllen kann oder will. Eine Woche bevor die nächste Runde Syrien-Diplomatie bei einem Treffen in Sotschi über die Bühne geht, scheint wieder alles festzustecken.

SÜDEN

Im Süden läuft eine Rückeroberungsoffensive der syrischen Armee mit Unterstützung Russlands und der üblichen Hilfstruppen. Vor allem der Südwesten stand zuletzt im Fokus der Berichterstattung, aus zwei Gründen: Deraa war jener Ort, in dem Proteste und die brutale Repression des Regimes 2011 zum ersten Mal eskaliert sind. Und im Südwesten befindet sich die sensible Grenze zwischen Israel und Syrien, inklusive der von der Undof kontrollierten Entflechtungszone. Im Süden und Südwesten laufen momentan Flucht- und Heimkehrbewegungen quasi parallel. Vor allem Jordanien hofft, dass viele syrische Flüchtlinge bald heimkehren.

Auch wenn der Südwesten Syriens jetzt die Nachrichten dominiert, stehen doch auch die Arrangements für andere Gebiete an. Im Nordosten stellen sich die SDF (Syrian Democratic Forces), die lokalen Kräfte, die die USA für ihren Kampf gegen den "Islamischen Staat" benützt haben, auf Verhandlungen mit dem Regime ein. Was mit den dort präsenten US-Truppen passiert, ist eine der großen Fragen: Dass Trump Putin wieder einmal einen kompletten schnellen Abzug zusagen könnte, wenn der ihm im Gegenzug verspricht, Netanjahu zufriedenzustellen und die Iraner in Schach zu halten, ist eine der Befürchtungen – einerseits von US-Militärs, die den Meldungen vom Tod des IS skeptisch gegenüberstehen, und andererseits von US-Strategen, die nicht den Fuß aus der Tür nehmen wollen.

NORDOSTEN

Für die Stadt Manbij haben die USA einen Abzug der kurdischen_Kämpfer vermittelt und damit einen türkischen Wunsch erfüllt. Östlich davon haben die SDF (Syrian Democratic Forces) die Kontrolle, eine weitgehend von YPG-Kurden dominierte Gruppe, die von den USA für den Kampf gegen den IS finanziert, trainiert und teilweise auch direkt geführt wurde. Innerhalb der SDF gibt es immer wieder Spannungen, den Arabern ist der kurdische Einfluss zu stark. Das Assad-Regime versucht nun, die Kurden bzw. die SDF zu engagieren: Zwar wird ihnen nicht der gewünschte Föderalismus, aber immerhin Dezentralisierung versprochen.

Es wird um die Nachkriegsordnung gerungen, aber noch stehen Syrien harte Kämpfe bevor: Es ist beinahe auszuschließen, dass Damaskus und Russland sich mit der Rebellenenklave in Idlib, so wie sie jetzt ist, abfinden. Und der Kampf um Idlib könnte wiederum zu einer russisch-türkischen Krise führen.

IDLIB

In Idlib strömen weiter Rebellen und Islamisten unterschiedlichster Gruppen zu, die nach russisch vermittelten Arrangements mit dem Regime andere Kampfzonen verlassen haben. Innerhalb der Szene gibt es Kämpfe: Gruppen, die man auch nicht "moderat" nennen kann, versuchen, IS-Kämpfer zu eliminieren. Die angestammte Bevölkerung muckt auch immer wieder gegen ihre "Gäste" – die die Herren spielen – auf. Die ganze Region lebt in der Erwartung einer Regierungsoffensive, die im Frühherbst beginnen soll.

(Gudrun Harrer, 25.7.2018)