Ein Blick in das Quantenlabor der Innsbrucker Forschungsgruppe um Rainer Blatt. Hier brachten Physiker ein kleines Stück Chemiebaukasten in den Quantencomputer.

Foto: IQOQI

Innsbruck – Innsbrucker Physikern ist ein entscheidender Schritt in Richtung einer Art Hightech-Inkarnation des Chemiebaukastens gelungen: Gemeinsam mit internationalen Kollegen haben sie es erstmals geschafft, eine chemische Bindung auf einem sogenannten Ionenfallen-Quantencomputer zu simulieren.

Wie genau sich chemische Bindungen darstellen oder Reaktionen ablaufen, ist hoch komplex. Das macht ihre detaillierte Berechnung ungemein aufwendig. "Selbst die größten Supercomputer haben Mühe, alles andere als die einfachste Chemie zu modellieren. Quantencomputer, die die Natur simulieren, erschließen hier eine völlig neue Möglichkeit, Materie zu verstehen", so Cornelius Hempel, einer der Autoren der nun im Fachblatt "Physical Review X" veröffentlichen Arbeit.

Sehe man sich beispielsweise die Abläufe in einem Benzolring an, stoße man irgendwann auf Fragezeichen – so etwa beim Verhalten von Elektronen in dem Gebilde. "Man ist sich ziemlich sicher, dass da irgendwo eine Verschränkung in dem System drinnen ist", sagte Mitautor Thomas Monz vom Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und der Uni Innsbruck. Bei diesem von Albert Einstein als "spukhafte Fernwirkung" bezeichneten Phänomen bleiben zwei Quantensysteme über beliebige Distanzen miteinander verbunden. Was immer man mit einem tut, beeinflusst augenblicklich auch den Zustand des anderen.

Kein Weiterkommen mit herkömmlichen Berechnungsmethoden

Sobald diese Vermutung im Raum steht, läuten quasi die Alarmglocken und es liege die Vermutung nahe, dass man hier mit herkömmlichen Berechnungsmethoden nicht weiter kommt. Weil die Kontrolle von Verschränkung ein wichtiger Bestandteil des Konzepts des Quantencomputers ist, sei anzunehmen, dass damit auch Berechnungen von Phänomenen möglich sind, wo das seltsame Phänomen eine Rolle spielt, so Monz, der in der Arbeitsgruppe des Innsbrucker Quantencomputer-Pioniers Rainer Blatt tätig ist.

Während die grundlegende Informationseinheit des Computers das Bit ist, das exakt zwei Zustände einnehmen kann (0 oder 1), arbeitet der Quantencomputer mit Qubits. Diese Quantensysteme gehorchen den Gesetzen der Quantenphysik und können daher nicht nur "0" und "1", sondern auch beide Zustände gleichzeitig annehmen.

Erste Ansätze, um Chemie auf Quantencomputern abzubilden, gab es etwa bereits mit supraleitenden Quantenbits. In Innsbruck setzt man allerdings auf in Ionenfallen gehaltene Atome, die mit Lasern manipuliert werden können. In einem Quantencomputer müssen mehrere Qubits wiederum miteinander verschränkt werden. Die Tiroler Physiker tun genau das mit 20 Kalziumionen in einer Falle.

Fehlerfreier Quantencomputer ist keine Illusion

Bei ihrer nunmehrigen Arbeit simulierten die Wissenschafter auf bis zu vier Quantenbits die Energiezustände der Bindungen von molekularem Wasserstoff und Lithiumhydrid. Ziel war es, nicht nur die Abläufe nachzustellen, sondern auch abzutesten, ob die Ergebnisse jenen herkömmlicher Simulationen ähnlich sind. Deshalb griffen die Forscher auch auf diese relativ einfachen Moleküle zurück, die auf herkömmlichem Wege schon gut verstanden werden.

Im Rahmen des Experiments zeigte sich, dass man mit dem neuen Ansatz schon sehr nahe an den Ergebnissen anderer Simulationen dran ist. Das ist für Monz auch ein Indiz dafür, dass ein möglichst fehlerfrei laufender Quantencomputer keine Illusion mehr ist.

Mit der Technologie erhoffen sich Wissenschafter in Zukunft tiefe Einblicke in die Details komplexer chemischer Abläufe. Das könne in Bereichen wie der Materialwissenschaft, in der Medizin und der Industriechemie wiederum neue Entwicklungen anstoßen und chemische Reaktionen erschließen, die weniger Energie benötigen. Für Blatt ist die Quantenchemie aber auch ein Beispiel, "wo sich die Vorteile eines Quantencomputers schon sehr bald in konkreten Anwendungen zeigen werden". (red, APA, 24.7.2018)