Tripolis/Brüssel – Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (Medecins Sans Frontieres, MSF) protestiert gegen die willkürliche Inhaftierung von Bootsflüchtlingen in Libyen. Die Menschen würden zu Tausenden von der EU-finanzierten libyschen Küstenwache auf dem Mittelmeer abgefangen und nach Libyen zurückgezwungen, hieß es am Mittwoch in einer Aussendung.

Allen europäischen Schiffen hingegen verbiete internationales Recht, Migranten in das nordafrikanische Land zurückzubringen, da es kein sicherer Ort sei, erklärte die Hilfsorganisation. Die Menschen würden in "ungeregelten Internierungslagern" entlang der Küste eingesperrt, in denen es keine formelle Registrierung und keine funktionierende Dokumentation der Gefangenen gebe.

Steigende Zahl in bereits überfüllten Lagern

Sobald die Schutzsuchenden dort inhaftiert sind, gibt es laut MSF keine Möglichkeit nachzuverfolgen, was mit ihnen geschieht. Die Gefangenen haben keine Chance, die Rechtmäßigkeit ihrer Haft und ihre Behandlung in den Lagern überprüfen zu lassen. Dies sei keine akzeptable Lösung, um zu verhindern, dass Menschen in Europa ankommen, betonte Karline Kleijer, Leiterin der humanitären Hilfe von Ärzte ohne Grenzen in Libyen und auf dem Mittelmeer.

Die Teams von Ärzte ohne Grenzen beobachten in Tripolis, Khoms und Misrata durch die Rückführungen eine stark steigende Zahl von Flüchtlingen und Migranten in den bereits überfüllten Haftlagern. "In Khoms leben mehr als 300 Menschen in einem überfüllten Internierungslager, unter ihnen auch sehr kleine Kinder", so Anne Bury, stellvertretende medizinische Koordinatorin von Ärzte ohne Grenzen in Libyen. Die Hitze sei drückend, es gebe keine Lüftung und nur sehr wenig Zugang zu sauberem Trinkwasser.

Die Lager stehen offiziell unter Kontrolle des Innenministeriums der international anerkannten Einheitsregierung und ihrer Agentur zur Bekämpfung Illegaler Migration (DCIM). Medizinische Versorgung gebe es dort fast keine.

Suizidgedanken, Hungerstreik, Missbrauch

Teams von Ärzte ohne Grenzen behandeln laut Angaben der Organisation in der Region von Misrata und Khoms Gefangene mit Verätzungen zweiten Grades, Krätze, Atemwegsinfektionen und Austrocknung. "Die Situation in den Haftanstalten ist untragbar. Die Menschen sind Missbrauch aller Art ausgesetzt", berichtete Bury. "Wir sehen Gefangene mit Wunden und Knochenbrüchen. Es gibt Fluchtversuche, einige Menschen sind im Hungerstreik."

Viele Patienten hätten Selbstmordgedanken und wiesen Symptome von posttraumatischen Belastungsstörungen auf, berichtete die Hilfsorganisation. Nach Ansicht von MSF ist die Situation in den Internierungslagern eine Folge der Politik der europäischen Regierungen, Schutzsuchende um jeden Preis von Europa fernzuhalten, da ein entscheidender Teil dieser Strategie sei, die libysche Küstenwache auszurüsten und zu unterstützen. Dies versetzte diese erst in die Lage, Menschen auf dem Mittelmeer aufzuhalten.

Programme der Internationalen Organisation für Migration (IOM) und des UNO-Flüchtlingshochkommissariats UNHCR, die Gefangenen einen Weg aus der willkürlichen Inhaftierung bieten sollen, seien zwar Ende vergangenen Jahres ausgeweitet worden. Sie würden aber nur einem kleinen Teil der Flüchtlinge und Migranten in Libyen helfen, teilte die Hilfsorganisation mit.

Die Hauptmaßnahme seien sogenannte freiwillige Rückkehrprogramme der IOM gewesen, durch die seit November etwa 15.000 Menschen in ihre Herkunftsländer zurückgebracht wurden. Für viele ist dies nach Darstellung von MSF die einzige Möglichkeit, um aus den Internierungslagern zu entkommen. (APA, 25.7.2018)