Saint-Lary-Soulan – Der Kolumbianer Nairo Quintana hat bei der 105. Tour de France die mit Spannung erwartete "Bergsprint"-Etappe in den Pyrenäen gewonnen. Der 28-Jährige vom Team Movistar setzte sich auf dem 17. Teilstück nach nur 65 Kilometern und 2:21:27 Stunden Fahrtzeit sowie drei harten Bergwertungen auf dem Col du Portet vor dem Iren Dan Martin (UAE Emirates, +28 Sekunden) durch.

Im Kampf um das Gelbe Trikot baute der Brite Geraint Thomas (Sky) als Dritter (+47) seinen Vorsprung aus und machte einen große Schritt zu seinem ersten Toursieg. Er nahm dem Niederländer Tom Dumoulin (Sunweb) fünf Sekunden ab und sicherte sich zudem vier Sekunden Zeitgutschrift. Vorjahressieger Chris Froome (Großbritannien) musste auf den letzten Kilometern abreißen lassen und kam 48 Sekunden hinter seinem Sky-Kollegen Thomas ins Ziel.

In der Gesamtwertung führt Thomas bei noch vier ausstehenden Etappen, davon eine im Hochgebirge und ein Zeitfahren, 1:59 Minuten vor Dumoulin. Froome (+2:31 Minuten) rutschte auf Platz drei zurück.

Sagan gestürzt

Einen Schreckmoment gab es für Peter Sagan. Der Träger des Grünen Trikots kam in einer Abfahrt zu Sturz, konnte die Fahrt aber fortsetzen. Das Trikot des besten Sprinters ist ihm nicht mehr zu nehmen, sofern er in Paris ankommt – das jedoch ist noch offen. Brüche habe Sagan zwar nicht erlitten, sehr wohl aber Hämatome und offene Schürfwunden, sagte Ralph Scherzer, Sprecher des deutschen Bora-Rennstalls, am Mittwochabend. Erst am Donnerstag soll entschieden werden, ob der 28-Jährige weiterfahren kann.

Bild nicht mehr verfügbar.

Geraint Thomas gibt sich weiter keine Blöße.
Foto: ap/dejong

Der schleichende Machtwechsel beim Sky-Team vollzog sich an den steilen Hängen der Pyrenäen wohl endgültig. Als Thomas auf den letzten Metern der Etappe sogar noch selbst attackierte, war Froome, als unumstrittener Kapitän ins Rennen gegangen, bereits zurückgefallen.

Die Zahlen des Tages waren schwindelerregend: Nur 65 Kilometer Strecke, davon 38,3 Kilometer bergauf, verteilt auf drei anspruchsvolle Anstiege. Insgesamt mussten die Fahrer auf der kurzen Distanz 3.126 Höhenmeter überwinden. Für die Sprinter und alle schwachen Bergfahrer ging es einzig um das Erreichen des Zeitlimits, für die Klassementfahrer war die Etappe vorentscheidend.

Ungewohnter Start

Der Start war einmalig in der Tour-Geschichte – und wird es wohl auch bleiben. Im Formel-1-Stil positionierten sich die Top 20 der Gesamtwertung in einer Startaufstellung an der Spitze, dahinter reihte sich der Rest des Feldes ein. Nachhaltigen Eindruck hinterließ die Idee nicht. Nachdem um 15.15 Uhr die Ampel auf Grün geschaltet hatte und das Rennen freigegeben worden war, etablierte sich im Peloton umgehend die gewohnte Formation mit der Sky-Mannschaft an der Front.

Gleich nach Rennbeginn musste das Feld die Montee de Peyraguedes, einen Berg der 1. Kategorie (14,9 Kilometer Länge, 6,7 Prozent steil), in Angriff nehmen. Die Favoriten hielten sich anfangs noch zurück. Attacken kamen von Fahrern ohne Gelb-Ambitionen, darunter der Träger des Bergtrikots, Julian Alaphilippe (Frankreich, Quick-Step Floors).

Bild nicht mehr verfügbar.

Christopher Froome verlor beim Antritt von Tom Dumoulin den Kontakt.
Foto: ap/ena

Auf dem Weg zum Col de Val Louron-Azet (1. Kategorie, 7,4 Kilometer, 8,3 Prozent) nahm das Rennen Fahrt auf. Der zweimalige Etappensieger Alaphilippe sammelte mit nur noch zwei Begleitern weitere Punkte für die Bergwertung, im Hauptfeld überließ Sky anderen Teams die Führungsarbeit. In Schwierigkeiten geriet keiner der Favoriten.

Froome kommt nicht mit

Das sollte sich ändern. Hart, härter, Col du Portet: 16 Kilometer lang, im Schnitt 8,7 Prozent steil und eine einzige Qual. Am gefürchteten Schlussanstieg, der den höchsten Punkt der Tour 2018 markierte, wurde der Kampf um Gelb eröffnet.

Von den Siegesanwärtern testete zunächst Froome die Form der Rivalen, als er vorübergehend mit dem Slowenen Primoz Roglic (LottoNL-Jumbo) davonfuhr. Vor allem Dumoulin, ohne Helfer auf sich allein gestellt und zum Handeln gezwungen, war im Finale taktisch im Nachteil.

Während Quintana, der sich bereits zu Beginn des Anstiegs abgesetzt hatte, dem Sieg entgegenkletterte, neutralisierte sich die Gruppe um Thomas und Froome lange Zeit. Erst im Finish fiel die Entscheidung: Dumoulin zog das Tempo an, Froome konnte im Gegensatz zu Thomas nicht mitgehen.

Double abgehakt

Der Brite, der als Erster seit Marco Pantani 1998 das Double aus Giro d'Italia und Tour angestrebt hatte, kündigte an, sich nun ganz in den Dienst von Thomas zu stellen. "Er hat bis jetzt ein absolut fehlerfreies Rennen gezeigt. Er verdient es zu 100 Prozent, im Gelben Trikot zu fahren. Hoffentlich kann er es zu Ende bringen und das Trikot bis Paris bringen", erklärte Froome.

Der Tag ging für den 33-Jährigen unangenehm weiter. Die Polizei forderte ihn bei der Abfahrt vom Zielort zu seinem Teambus auf, stehen zu bleiben, wodurch Froome zu Sturz kam. Offenbar hatten ihn die Beamten mit einem Fan verwechselt.

"Startaufstellung" in Bagneres-de-Luchon.
Foto: APA/AFP/PACHOUD

Vorletzte Chance für die Sprinter

Am Donnerstag gönnt die Tour nach der Schinderei der ersten beiden Pyrenäen-Etappen den Klassementfahrern und ihren Helfern auf der 18. Etappe von Trie-sur-Baise nach Pau (171 km) eine kurze Verschnaufpause und stellt die Sprinter ein letztes Mal vor dem Finale in Paris in den Mittelpunkt. Deren Reihen haben sich allerdings deutlich gelichtet – im Ziel könnte also durchaus ein Außenseiter seinen großen Tag erleben.

Bereits zum 70. Mal darf das wirtschaftliche und geistliche Zentrum der Pyrenäenregion die Frankreich-Rundfahrt begrüßen – nur Paris und Bordeaux waren häufiger im Programm. (sid, red, 25.7.2018)

Tour de France, 17. Etappe, Mittwoch
(Bagneres-de-Luchon – Saint-Lary-Soulan, 65 km)

1. Nairo Quintana (COL) Movistar 2:21:27 Std.
2. Daniel Martin (IRL) UAE +0:28 Min.
3. Geraint Thomas (GBR) Sky 0:47
4. Primoz Roglic (SLO) LottoNL 0:52
5. Tom Dumoulin (NED) Sunweb gleiche Zeit
6. Steven Kruijswijk 1:05
7. Egan Bernal (COL) Sky 1:33
8. Christopher Froome (GBR) Sky 1:35
9. Mikel Landa (ESP) Movistar gleiche Zeit
10. Ilnur Sakarin (RUS) Katjuscha 2:01

Weiters:
41. Gregor Mühlberger, Bora 13:33
131. Lukas Pöstlberger, Bora 26:22
132. Michael Gogl, Trek gleiche Zeit

Gesamtwertung:
1. Thomas 70:34:11
2. Dumoulin 1:59
3. Froome 2:31
4. Roglic 2:47
5. Quintana 3:30
6. Kruijswijk 4:19
7. Landa 4:34
8. Romain Bardet (FRA) AG2R 5:13
9. Martin 6:33
10. Jakob Fuglsang (DEN) Astana 9:31

Weiters:
74. Mühlberger 2:04:57
113. Gogl 2:45:07
129. Pöstlberger 3:05:23