Amsterdam – Nach dem Tod von 19 Babys sind in den Niederlanden Medikamentenversuche mit schwangeren Frauen abgebrochen worden, denen der Wirkstoff Sildenafil verabreicht wurde. Die gefäßerweiternde Substanz, die auch in Viagra enthalten ist, sei am Amsterdam University Medical Centres (AMC) und an sieben anderen akademisch-medizinischen Zentren sowie drei Kliniken an Frauen erprobt worden, deren ungeborenen Babys schwerwiegende Wachstumsstörungen hatten.

Viagra-Produzent Pfizer betont, dass er nicht an der Durchführung der Studie beteiligt war und diese weder finanziell noch über Medikamentenspenden unterstützt hat. Den schwangeren Frauen wurde eine generische Version von Sildenafil verabreicht, bestätigen die Studienleiter vom AMC.

An 93 Frauen getestet

Die Studie zur Einnahme von Sildenafil durch Schwangere habe gezeigt, "dass es möglicherweise nachteilige Auswirkungen für Babys nach der Geburt gibt". Bisher wird Sildenafil hauptsächlich als Mittel gegen Erektionsstörungen eingesetzt.

Der AMC-Mitteilung zufolge starben 19 Babys, insgesamt hatten 93 Frauen den Wirkstoff erhalten. Elf der gestorbenen Babys litten an Lungenkrankheiten, insbesondere an hohem Blutdruck in den Lungen, der zu einer Mangelversorgung mit Sauerstoff führen kann. Zur Todesursache der anderen acht Babys aus der Sildenafil-Gruppe wurden keine Angaben gemacht. Sechs Neugeborene aus dieser Versuchsgruppe hätten ebenfalls Lungenprobleme entwickelt, jedoch überlebt.

Komplikationen nach der Geburt aufgetreten

In der Vergleichsgruppen mit insgesamt 90 Frauen, deren ungeborene Kinder ebenfalls Wachstumsstörungen hatten, wurde statt Sildenafil ein wirkungsloses Placebo verabreicht. Aus dieser Gruppe starben laut AMC neun Kinder, jedoch keines von ihnen an Lungenproblemen. Drei Babys aus dieser Gruppe hätten zwar auch Lungenkrankheiten gehabt, seien jedoch nicht gestorben.

Von der nachgewiesenen gefäßerweiternden Wirkung Sildenafils hätten sich die Mediziner eine bessere Durchblutung der Plazenta versprochen, heißt es vonseiten der Wissenschafter. Frühere Untersuchungen hätten vermuten lassen, dass auf diese Weise das Wachstum der ungeborenen Kinder verbessert werden könnte. Dies habe sich bei den Medikamentenversuchen in den Niederlanden jedoch nicht bestätigt. Vielmehr habe sich gezeigt, dass eine Sildenafil-Einnahme in der Schwangerschaft möglicherweise nach der Geburt schädlich für die Babys sei. "Die Möglichkeit einer Erkrankung der Blutgefäße in den Lungen scheint größer zu sein und die Möglichkeit von Todesfällen nach der Geburt scheint zuzunehmen."

Die Komplikationen seien erst nach der Geburt aufgetreten – bei den Müttern habe Sildenafil nicht zu medizinischen Schädigungen geführt, so die Forscher. Den beteiligten Medizinern und Wissenschaftern sei bewusst, dass die Ergebnisse der Medikamentenversuche "enorme Auswirkungen auf die Frauen und ihre Umgebung" haben. Mit allen habe man persönliche Gespräche geführt und alle Frauen würden "so gut wie möglich" durch Ärzte betreut werden, die an der Studie beteiligt gewesen seien.

Studie gestoppt

Der Leiter der Studie, der Gynäkologe Wessel Ganzevoort, sagte der Amsterdamer Zeitung "de Volkskrant": "Niederländische Ärzte sind vorsichtig. Wir wollen, dass rigoros untersucht wird, ob ein Mittel effektiv und sicher ist." Bei Studien wie der jetzt gestoppten gehe es auch darum, zu verhindern, dass unzuverlässige Mittel auf den Markt kommen. Der Zeitung zufolge komme es in den Niederlanden mehrmals pro Jahr vor, dass Medikamentenversuche aus Sicherheitsgründen gestoppt werden.

Über die sofortige Beendigung der Studie hatte das AMC am Montag informiert. Die zuständigen Gesundheitsbehörden seien dabei einbezogen worden. Die Studie hatte 2015 begonnen. Ursprünglich sollte sie bis 2020 andauern, insgesamt sollten rund 350 Patientinnen daran teilnehmen. (APA, dpa, red, 26.7.2018)