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Der Einfluss des Menschen auf die Ozeane ist enorm. Forscher mahnen stärkere Schutzmaßnahmen an.

Foto: Reuters/Bobby Yip

New York – Von oben betrachtet erscheinen die Ozeane als geheimnisvolle und vom Menschen weitgehend unberührte Weite. Tatsächlich aber können gerade einmal 13 Prozent der Weltmeere noch als Wildnis bezeichnet werden. Das ist zumindest das Ergebnis einer Studie, die Forscher nun im Fachmagazin "Current Biology" veröffentlichten.

Maritime Wildnis findet sich ihnen zufolge hauptsächlich noch in der Arktis und der Antarktis sowie in Regionen um abgelegene pazifische Inseln wie Französisch-Polynesien. Als Wildnis werden Gebiete definiert, die vom Menschen komplett oder so gut wie unberührt sind. "Betrachtet man etwa die Nordsee vor unserer Haustür, sehen wir eine Kulturlandschaft: Jeder Quadratmeter wird jedes Jahr mehrmals mit Schleppnetzen befahren", sagte Thomas Brey, Ökologe am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven, der selbst nicht an der Studie beteiligt war: "Wildnis ist das Gegenteil davon: In ihr macht die Natur, was sie will." Greife der Mensch in solche Wildnisse ein, seien die Effekte oft wenig überschaubar. "Wildnis ist das System, das sich evolutionär eingependelt hat. Verändern wir solche funktionierenden Systeme für unsere Zwecke, machen wir sie meistens nicht besser", so Brey.

Ökologische Stressfaktoren

Derartige Eingriffe in das Ökosystem Ozean wurden nun von einem Team um Kendall Jones von der australischen University of Queensland und der Wildlife Conservation Society (WCS) erforscht. Denn während der Rückgang von Wildnissen an Land bereits intensiv untersucht und dokumentiert sei, seien entsprechende Untersuchungen für die Ozeane noch nicht gemacht worden.

Für ihre Untersuchung der Weltmeere bestimmten die Forscher 19 menschengemachte Stressfaktoren. Zu diesen gehörten etwa die kommerzielle Schifffahrt, der Einsatz von Düngemitteln sowie verschiedene Formen der Fischerei mit all ihren Folgen. Die Forscher identifizierten nun Gebiete, die nur sehr geringem menschlichen Einfluss ausgesetzt waren. Den Klimawandel klammerten sie zunächst als Faktor aus. Sonst, so schreiben die Wissenschafter, hätten sie gar keine maritime Wildnis mehr gefunden.

Danach verglichen die Forscher 16 ozeanische Gebiete, um die jeweiligen Auswirkungen verschiedener Stressfaktoren zu überprüfen. Dabei bezogen sie auch den Klimawandel wieder mit ein. Sie fanden große Unterschiede: So blieben etwa im warmen Indopazifik lediglich 16 Millionen Quadratkilometer maritime Wildnis – 8,6 Prozent des Ozeans. Im gemäßigten südlichen Afrika seien es gar nur 2.000 Quadratkilometer. Das entspricht gerade einmal einem Prozent des Ozeans. "Wir waren überrascht, wie wenig Meereswildnis noch übrig ist", sagte Jones. "Die Ozeane sind gewaltig und bedecken mehr als 70 Prozent unseres Planeten, aber wir haben es geschafft, fast das gesamte Ökosystem zu beeinflussen."

Kritik an Datenlage

In einer unabhängigen Einordnung weist Ökologe Brey allerdings auf einige Schwächen der Studie hin: "Derartige Untersuchungen mit globalem Anspruch haben immer ein Datenproblem", führte er aus. So sei die Datenlage für verschiedene Regionen unterschiedlich umfassend, so dass Lücken für die Analyse entstünden. "Diese Lücken werden hier nicht thematisiert", so Brey. Zudem würden alle Stressfaktoren gleichwertig behandelt. Einer sei beispielsweise die Bebauung des Meeresgrundes. Ökologisch muss das nicht unbedingt nachteilig sein. Ein Beispiel: "In Offshore-Windparks darf nicht gefischt werden, was gut ist, denn die Fischerei, insbesondere die Bodenfischerei, hat die gravierendsten Auswirkungen auf marine Ökosysteme", sagte der Ökologe.

Ein weiterer Punkt: Wie die Wissenschafter in ihrer Studie bemängeln, stehen gerade einmal fünf Prozent der von ihnen identifizierten Meereswildnisse unter Schutz. Bei der Auflistung der Meeresschutzgebiete (Marine Protected Areas, MPA) fehle allerdings mit dem Rossmeer in der Antarktis das größte MPA, so Brey.

Politischer Handlungsbedarf

Trotz dieser Kritikpunkte stimmt Brey den Ergebnissen der Untersuchung aber zu: "Die Studie mag nicht exakt sein, aber ihre Aussage stimmt." Derartige Arbeiten seien gut für einen nachhaltigen Schutz der Meereswildnisse. Dieser funktioniere aber nicht ohne politischen Willen: "Das haben wir beim Rossmeer gesehen: Die MPA konnte erst eingerichtet werden, als eine Einigung auf höchster politischer Ebene gefunden wurde."

Derartige Verhandlungen, gerade wenn es um internationale Gewässer ginge, benötigten allerdings Zeit, da unterschiedliche politische und wirtschaftliche Interessen in Einklang gebracht werden müssten – Zeit, die laut den Autoren der Studie knapp wird. Die Gefahr, dass Wildnisse vorher verloren gingen, würde auch dadurch vergrößert, dass der technische Fortschritt es Menschen erlaube, die Fischerei immer weiter auszudehnen. Hinzu kämen die Folgen des Klimawandels, so Hauptautor Kendall Jones: "Dank eines wärmeren Klimas kann jetzt sogar an einigen Orten gefischt werden, die aufgrund der ganzjährigen Eisdecke vorher sicher waren."

Umso wichtiger, so das Fazit der Wissenschafter, seien nun internationale Umweltabkommen, um den einzigartigen Wert der Meereswildnisse anzuerkennen und Ziele für ihren Erhalt zu setzen. "Wir wissen, dass diese Gebiete in katastrophalem Maße schrumpfen, entsprechend muss ihr Schutz ein Schwerpunkt multilateraler Umweltabkommen werden", forderte auch Studien-Co-Autor James Watson von der Universität Queensland: "Passiert das nicht, werden diese Wildnisse wahrscheinlich innerhalb von 50 Jahren verschwunden sein." (APA, red, 26.7.2018)