Die Gräber am Jergenberg in Sulz sind 1.000 Jahre alt.

Foto: Jutta Berger

Sophie Rothmund will Archäologie studieren. Sie nutzt die Grabung zum Schnuppern.

Foto: Jutta Berger

Sulz – Der Fund auf dem Jergenberg in Sulz ist eine große Überraschung. Nichts deutete dort bisher auf historische Fundstätten hin. Auf dem Hügel steht die Pfarrkirche, 115 Jahre jung. Aus dem Hang erhebt sich ein kleiner Adelssitz aus dem 16. Jahrhundert, der heute als Pfarrhaus dient. Im 15. Jahrhundert soll sich hier auch eine Georgskapelle befunden haben. Der Name Jergenberg könnte darauf hinweisen. Steinerne Zeugen dafür fehlen jedoch.

Künftig soll neben dem Pfarrhaus ein moderner Kindercampus für Kleinkinder- und Ganztagsbetreuung errichtet werden. Schon diesen Sommer wollte man mit dem Bau beginnen. Statt Baumaschinen bearbeiten nun Archäologinnen und Archäologen den Hügel, denn als die ersten Bagger auffuhren, entpuppte sich die Baustelle überraschend als großer Friedhof. Bis zu 150 Skelette werden dort vermutet.

Keine Angst vor Denkmalschutz

Was tun, wenn beim Bau des neuen Kindergartens menschliche Knochen zum Vorschein kommen? Einfach ignorieren, wie es früher üblich war, oder Experten rufen? Für Karl Wutschitz, Bürgermeister der 2.500-Menschen-Gemeinde, stellte sich diese Frage nicht: "Für mich war klar, dass wir diese Angelegenheit ethisch einwandfrei lösen müssen." Er holte sich bei der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch Rat, wurde an das Bundesdenkmalamt verwiesen.

Überraschend wie der Fund der Skelette war für den Bürgermeister die Reaktion der Denkmalschützer: "Da ging alles sehr schnell und unkompliziert. Am Freitag hab ich angerufen, am Montag war schon das Archäologenteam aus Tirol da." Eine erste Sichtung durch Andreas Picker vom Bundesdenkmalamt und Irene Knoche vom Büro für archäologische Dienstleistungen (Talpa) ergab Hinweise auf Gräber aus dem späten Mittelalter, auf 14. bis 15. Jahrhundert wurden sie geschätzt.

Archäologie schnuppern

Weil die Gemeinde so schnell wie möglich mit dem Bau des Kindercampus beginnen will, stellte Talpa rasch ein Grabungsteam zusammen. Keine einfache Sache im Sommer, weil Studierende bereits für Projekte eingeteilt sind, merkt Knoche an. Das Profiteam wurde durch Laien mit Grabungserfahrung oder Leidenschaft für Archäologie ergänzt. Der Dornbirner Stadtarchivar Harald Rhomberg beispielsweise verbringt eine Urlaubswoche auf dem Gräberfeld, "im Dienste der Wissenschaft". Sophie Rothmund, die gerade ihre Matura gemacht hat, will Archäologin werden und nutzt die Möglichkeit zum Schnuppern.

Sie kniet wie all die anderen in der sengenden Hitze, legt behutsam mit Messerchen und Pinsel Skelette frei. Das Gefühl, Menschen auszugraben, war "am Anfang schon eigenartig, aber es war nie grausig, es ist ja nichts mehr dran", sagt sie. Was sie nach wenigen Tagen weiß: "Archäologin ist wirklich mein Traumberuf."

Eine Sensation für Vorarlberg

Gespannt wartete das Team auf Ergebnisse einer Altersbestimmung nach der C14-Methode (Radiokohlenstoffdatierung). Dazu wurden Funde aus einem Grab nach Florida geschickt, "weil man dort rascher Ergebnisse bekommt als in Europa", sagt Irene Knoche.

Am 26. Juli kamen die Ergebnisse und damit die nächste Überraschung. Die Skelette sind älter als vermutet, werden auf 1040 bis 1200 nach Christus datiert. Andere Gräber könnten noch älter sein, vermutet Picker, "die Proben waren ja aus einem der jüngeren Gräber in der obersten Schicht".

Mit Begriffen wie Sensationsfund sind Knoche und Picker in der Regel vorsichtig. " Aber so ein großes Aufkommen menschlicher Überreste – da kann man schon von einer Sensation sprechen", sagt Picker. Das Interessante sei, dass Gräber über mehrere Generationen benutzt wurden. Das werfe Fragen zum Leben in dieser Epoche auf.

Für Knoche ist das Alter "sehr überraschend". Nun müsse man über die Interpretation nachdenken. Auf einen so alten Friedhof fehlten bisher jegliche Hinweise und Belege, ebenso auf eine entsprechend alte Kirche. Eine Prospektion des oberen, nicht durch die Notgrabung betroffenen Teils des Hügels läge nahe, sagt die Archäologin. Möglicherweise stoße man dabei auf Reste eines Sakralbaus. Das wäre eine weitere Sensation, denn Zeugnisse frühen Christentums im heutigen Vorarlberg sind, sagt Picker, rar. Ob es Gelder für ein Forschungsprojekt geben wird, steht noch nicht fest.

Weitere Untersuchung in Wien

Die große Anzahl von Skeletten und die Tatsache, dass die Toten übereinander gelegt wurden, weist darauf hin, dass hier über mehrere Generationen hinweg wahrscheinlich in Familiengräbern bestattet wurde. Die Gräber beinhalten weder Grabbeigaben noch Holz- oder Kleiderreste. Was man als Hinweis auf kirchliche Verordnungen deuten könnte, die Christen Grabbeigaben verboten, sie sollten als Büßer vor den Herrn treten.

Erstaunlich erscheint Irene Knoche auch der gute Zustand der Skelette. Im Vergleich zu mittelalterlichen Grabfunden aus Tirol weisen die in Sulz Bestatteten keine deformierten Gliedmaßen durch schlecht verheilte Knochenbrüche auf, was ein Hinweis auf bessere Lebensumstände sein könnte.

Details zu Alter und Geschlecht der Bestatteten werden anthropologische Untersuchungen in Wien liefern. Aus Wien kommen die menschlichen Überreste "eventuell wieder nach Sulz zurück, um sie hier auf dem Friedhof zu bestatten", sagt Bürgermeister Wutschitz. Endgültig entschieden sei das aber noch nicht. (Jutta Berger, 26.7.2018)