Verantwortlich für den Sommerhit 2018: Mike Singer.

Foto: APA/Robert Wunsch

Las Ketchup – "The Ketchup Song".

Altra Moda Music

Buddy – "Ab in den Süden".

axas76

O-Zone – "Dragostea Din Tei".

Time Records

Armando Quattrone – "Maria".

Digster Pop

Juanes – "La Camisa Negra".

JuanesVEVO

Stehen Sie vor der Frage, was 2018 mit dem guten alten Sommerhit passiert ist? Ob "Mambo No. 5", "The Ketchup Song", "Ab in den Süden", "Dragostea Din Tei", "Maria", "Crazy", "Hamma!" oder "La Camisa Negra" – bis herauf zu "Despacito" gab es bisher kein Entkommen.

Lou Bega – "Mambo No. 5".
LouBegaVEVO

Doch heuer hat sich Ihnen noch keine leichtlebige Gutelaunenummer als Sonnensoundtrack aufgedrängt? Dann gibt es entweder tatsächlich keinen, oder die vom Musikstreamingdienst Deezer soeben veröffentlichte Umfrage unter 5.000 Erwachsenen weltweit hat recht – und Sie sind neuerdings über 28.

Aus, basta, finito

Ab durchschnittlich 27 Jahren und elf Monaten, stellt die Plattform nämlich fest, entdecken Menschen kaum noch neue Lieder. Sind es mit 25 Jahren noch mindestens zehn neue Songs, in die die Befragten jede Woche hineinhören, ist damit zwei Jahre und elf Monate später Schluss. Dann klicken sie sich nicht mehr so gern durch Playlists. Aus, basta, finito. Fortan Eintönigkeit, nächste Station Schwerhörigkeit.

Mike Singer, "Bella Ciao".
Mike Singer

Dabei lassen sich nationale Unterschiede zwischen den Befragten in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, den USA und Brasilien ausmachen. Deutsche erreichen den "musikalischen Stillstand" erst mit 31, Brasilianer überschreiten den Zenit hingegen schon mit 23 Jahren. Muss man zwischen Helene Fischer und Andreas Gabalier also länger nach etwas suchen, das es wert scheint, damit den Bund fürs restliche Lauscherleben zu schließen?

Überforderung durch Überangebot

Gibt es so etwas wie ästhetisch prägende Jahre, und wird irgendwann die Verständniskluft zum neuen heißen Scheiß schlicht zu groß? Tatsächlich sind die Gründe pragmatischer, meint Deezer. Denn der Stopp ist nicht ganz freiwillig. Nein, nicht die Plattensammlung ist voll, sondern Beruf, Familie oder irgendein anderer Stress kommen in diesem Alter dazwischen. Manche Hörer fühlen sich auch durch ein Überangebot an Musik überfordert.

Irgendwann ist also der Zug abgefahren. Das hören wir heute nicht gerne. Denn lebenslanges Lernen ist angesagt. Ständige Flexibilität. Jung bleiben. Und wer jung bleiben will, muss nicht nur früh damit anfangen, er darf auch nie damit aufhören. Das Gewohnheitstier ist unser innerer Schweinehund. Er sieht so ähnlich aus wie ein alt gewordener Ohrwurm.

Sanfter altern

Vielleicht sind die persönlichen Evergreens aber auch eine andere Strategie, um jung zu bleiben: Eingenistet in der ewigen Endlosschleife der Hits der frühen Lebensblüte altert es sich sanfter. Im Herzen sind wir immer noch Mittzwanziger. Schließlich kennt auch jede Nation ihr goldenes Zeitalter, auf das sie sich gerne besinnt, wenn sie von sich erzählt – egal wie lange es zurückliegt.

Es gibt heuer übrigens doch einen Sommerhit. "Bella Ciao" ist ein über 100 Jahre altes italienisches Volkslied, das ursprünglich die Arbeitsbedingungen von Reispflückerinnen angeklagt hatte und dann von den Partisanen entdeckt wurde. Im Zweiten Weltkrieg protestierten sie damit gegen den Faschismus. Ein Remix mit Beats und Synthesizern steht aktuell in den Charts ganz oben. Irgendwann kommen vielleicht auch "The Ketchup Song" und "Hamma!" wieder. Dann sind auch Sie musikalisch wieder vorne mit dabei. (Michael Wurmitzer, 30.7.2018)