Der alljährliche Nato-Gipfel in diesem Monat war die letzte Rate in einer langen Reihe von Meinungsverschiedenheiten zwischen US-Präsident Donald Trump und Amerikas europäischen Verbündeten. Auf dem Gipfel des letzten Jahres weigerte sich Trump, das Prinzip der gemeinsamen Verteidigung gemäß Artikel 5 des Nordatlantikpakts – den Eckstein des transatlantischen Bündnisses – zu bestätigen. Und nachdem er im letzten Monat einen G7-Gipfel zum Entgleisen brachte, verstärkte Trump in dieser Woche die Spannungen, indem er sich weigerte, bei seinem Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in Helsinki auch nur einen Hauch von Kritik an diesem zu üben.

Auf dem Nato-Gipfel letzte Woche in Brüssel beharrte Trump nicht nur darauf, dass alle Nato-Mitgliedsstaaten ab sofort mindestens zwei Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes (BIP) für die Verteidigung ausgeben sollten; er schlug sogar vor, dass diese Ausgaben letztlich vier Prozent vom BIP erreichen sollten. Dieser Vorschlag ist eine Totgeburt, und zwar nicht nur aufgrund der Opfer beim Haushalt, die er nach sich ziehen würde, sondern auch weil er auf dem Kontinent erhebliche militärische Ungleichgewichte hervorrufen würde. Bei vier Prozent des BIP würde Deutschlands Militärbudget etwa 40 Milliarden Euro größer ausfallen als das Frankreichs.

Europa – aus der Sicht des gegenwärtigen US-Präsidenten: eine Ansammlung von gierigen Schwächlingen, die nur die Vereinigten Staaten von Amerika ausnützen wollen.
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In einer Zeit zunehmender internationaler Volatilität ist es unverzichtbar, dass wir Europäer uns gegen ehrenrührige Angriffe verteidigen und unsere vielen kollektiven Errungenschaften hochhalten. Aber das heißt nicht, dass wir Selbstkritik vermeiden sollten. Trumps Zwei-Prozent-Forderung ist weder unbegründet noch ohne Beispiel: Frühere US-Präsidenten haben die europäischen Länder ebenfalls aufgefordert, ihre Verteidigungsausgaben zu erhöhen. Im Jahr 2014 verpflichteten sich diejenigen Nato-Mitgliedsstaaten, die keine zwei Prozent vom BIP für die Verteidigung ausgaben, dies bis 2024 zu tun. Doch trotz bemerkenswerter Fortschritte muss man fairerweise sagen, dass einige Länder von diesem Ziel noch weit entfernt sind.

Über die Notwendigkeit hinaus, die Solidarität gegenüber unseren Verbündeten zu wahren, ist es in Europas Interesse, die Verantwortung für unsere eigene Sicherheit zu übernehmen. Sowohl die externen wie auch die internen Bedrohungen nehmen zu, und sie greifen zunehmend ineinander. Ein paradigmatisches Beispiel ist der Krieg in Syrien: Die schreckliche humanitäre Tragödie, die die Bevölkerung des Landes seit mehr als sieben Jahren heimsucht, hat eine Flüchtlingskrise angeheizt, die die Europäische Union in ihren Grundfesten erschüttert hat.

Doch der zwanghafte Fokus auf die Ausgabenniveaus geht an der Wurzel des Problems vorbei. Eine Steigerung der Militärausgaben ist weitgehend unproduktiv, sofern wir sie nicht im europäischen Rahmen tätigen. Der Gesamtmilitärhaushalt der EU ist schon heute der zweitgrößte hinter dem der USA und fast viermal größer als der Russlands. Worauf es ankommt, ist daher, wie diese Gelder investiert werden und ob wir die Kapazitäten und die Infrastruktur haben, um gemeinsame Nato-Missionen und US-Militäroperationen auf dem Kontinent und in seinem Umfeld zu erleichtern.

Abschreckung vor militärischen Konfrontationen

Trump irrt, wenn er nahelegt, dass die Nato andere Länder in die Lage versetzt, die USA auszunutzen, ohne selbst viel anzubieten. Keiner bestreitet, dass die US-Sicherheitsgarantien eine zentrale Rolle bei der Abschreckung vor militärischen Konfrontationen spielen. Aber die USA dürfen nicht vergessen, dass andere Nato-Mitgliedsstaaten ihr Bekenntnis zur gemeinsamen Verteidigung hochhalten und die US-Prioritäten internalisiert haben.

Tatsächlich wurde Artikel 5 nur ein einziges Mal in Anspruch genommen, nämlich nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA. Und wenig später führte die Nato die unter UN-Mandat stehende Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe (Isaf) in Afghanistan an – die längste Mission in der Geschichte des Bündnisses.

Europa bemüht sich auch weiterhin, den USA ein wertvoller Bündnispartner zu sein. Im Dezember 2017 richtete die EU die Ständige strukturierte Zusammenarbeit (Pesco) ein, die es den teilnehmenden Ländern ermöglicht, gemeinsame Verteidigungsfähigkeiten effizienter auszubauen. Pesco wird zudem, wie in der "globalen Strategie" der EU aus dem Jahre 2016 skizziert, die Fortschritte der EU hin zur strategischen Autonomie beschleunigen. Angesichts der Stärkung der europäischen Säule der Nato werden die USA über einen noch zuverlässigeren Verteidigungspartner verfügen, der mit modernsten Kapazitäten und Technologien ausgestattet ist. Die Fragmentierung der europäischen Verteidigungsindustrie zu reduzieren stärkt ihre Wettbewerbsfähigkeit, was hinsichtlich der Vermeidung eines technologischen Gefälles zwischen Europa und den USA unverzichtbar ist.

Gemeinsame Initiativen

Glücklicherweise genießen derartige Initiativen im Rahmen der Gemeinsamen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik der EU die überwältigende Unterstützung der europäischen Bevölkerung. Für die Europäer wird ein gemeinsamer, konstruktiver Ansatz bei den Verteidigungsausgaben immer überzeugender sein als Zwangsmaßnahmen, die unsere Verbündeten sich einfallen lassen.

Aber Trump hat derartige kooperative Bemühungen bisher behindert. Paradoxerweise müht sich seine Regierung, die einerseits fordert, dass wir Europäer die Verantwortung für unsere Sicherheit selbst übernehmen, andererseits konsequent, jedes von uns verfolgte gemeinsame Verteidigungsprojekt zu untergraben.

Diese Vorurteile und diese Kurzsichtigkeit in Bezug auf die europäische Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen sind nicht neu. Die USA argumentieren, eine derartige Zusammenarbeit würde Redundanzen im Verhältnis zur Nato schaffen. Aber nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Die wahre Quelle von Doppelarbeit und Verschwendung ist die Ansammlung von Hürden, vor denen die europäischen Länder bei der Entwicklung gemeinsamer Verteidigungskapazitäten stehen.

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Auf dem Nato-Gipfel letzte Woche in Brüssel beharrte Donald Trump darauf, dass alle Nato-Mitgliedsstaaten ab sofort mindestens zwei Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes (BIP) für die Verteidigung ausgeben sollten..
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Trump lehnt zudem Maßnahmen zur Stärkung der europäischen Verteidigungsindustrie ab, weil diese Europa unabhängiger von US-Exporten machen. Doch um es noch einmal zu sagen: Es ist unsinnig, darauf zu beharren, dass Europa selbstständiger wird, und es gleichzeitig zu drängen, sich in eine verstärkte Abhängigkeit von Waffen, Ausrüstung und Technologie aus US-Herstellung zu begeben.

Angesichts ihrer langen Geschichte als Beitragsleister für globale Sicherheit durch zivile und militärische Missionen hat die EU der Nato viel zu bieten. Eine EU mit einem kompakteren und in sich schlüssigeren Ansatz in Bezug auf die Verteidigung stärkt die Nato und nutzt den USA unmittelbar. Statt auf seinen undiplomatischen, unilateralen Kreuzzügen zu beharren, wäre Trump klug beraten, die EU als den Freund zu behandeln, der sie für sein Land schon immer war, und das Versprechen eines kooperativen europäischen Ansatzes in Bezug auf die gemeinsame Verteidigung aufzugreifen. (Javier Solana, Aus dem Englischen von Jan Doolan, 27.7.2018)