Die Prä-Smartphone-Ära ist mit einem Namen untrennbar verbunden: Über viele Jahre hinweg dominierte Nokia die Mobiltelefonwelt auf geradezu beeindruckende Weise. Doch mit dem Aufstieg von iPhones und Android konnte der finnische Hersteller nicht mithalten, die alten "Feature-Phones" verloren rasant an Bedeutung, bei Smartphones brachte die gewählte Partnerschaft mit Microsoft nicht den erhofften Erfolg. Das Ergebnis: Nokia in seiner einstigen Form gibt es nicht mehr, das Unternehmen ist nur mehr ein Schatten seiner selbst, die Mobilfunksparte wurde an Microsoft verkauft und fast umgehend dort wieder abgewickelt.

Wiedergeburt

Die Marke Nokia lebt hingegen weiter: Mit HMD Global hat sich in den letzten Jahren ein neuer Hersteller etabliert, der sich zu guten Teilen aus ehemaligen Nokia-Mitarbeitern speist und seine Konzernzentrale auch direkt neben den alten Büros des Konzerns angesiedelt hat. Die Strategie von HMD verfolgt dabei zwei zentrale Linien: Einerseits setzt man auf Smartphones mit enger Google-Partnerschaft und einem schlanken Android-System, andererseits auf das Wiederbeleben der Feature-Phone-Sparte.

Dass man mit diesem dualen Ansatz recht hat, zeigen aktuelle Marktzahlen. Im Jahr 2017 ist der Markt für Feature-Phones zum ersten Mal seit Jahren wieder gewachsen. Und auch in absoluten Zahlen handelt es sich dabei um ein durchaus relevantes Segment: 450 Millionen solcher simplen Mobiltelefone wurden 2017 weltweit verkauft. Gerade in stark aufstrebenden Märkten wie Indien aber auch diversen afrikanischen Ländern zeigt sich dabei ein deutliches Plus.

Das Nokia 8110 4G gibt es in einer schwarzen und einer gelben Variante, wobei zweitere natürlich den Bananenstil noch betont.
Foto: Andreas Proschofsky / DER STANDARD

Ein Potenzial, das HMD zunächst mit simplen Neuauflagen alter Geräte angegangen ist: So wurde bereits im Vorjahr das Revival des Nokia 3310 präsentiert, des wohl meistverkauften Mobiltelefons in der Geschichte des Herstellers. Ein Jahr später will man es nicht mehr beim Kopieren belassen. Mit dem Nokia 8110 4G greift das Unternehmen zwar einmal mehr auf ein klassisches Design zurück, die Innereien wurden aber komplett modernisiert, und es kommt jetzt auch ein aktuelles Betriebssystem zum Einsatz.

Nostalgie muss trotzdem sein

Der erste Eindruck ist trotzdem zunächst von nostalgischen Gefühlen begleitet. Entspricht das gekrümmte Design, das dem Nokia 8110 einst den Spitznamen "Banane" eingebracht hat, doch exakt seinem Vorbild aus den späten Neunziger-Jahren des letzten Jahrhunderts. Das heißt auch, dass es wieder jenen Schiebemechanismus gibt, den Protagonist Neo im Science-Fiction-Klassiker "Matrix" ebenso eindrucksvoll wie begrenzt realistisch (einen Aufspringechanismus gab es beim 8110 nie, Anm.) zu benutzen wusste. Eine Szene, die am Rande bemerkt, wohl zu den geschicktesten Product Placements der Filmgeschichte gehört, immerhin hat es die Verkäufe des Original-8110 massiv befördert.

Materialien

Ansonsten erinnert das Nokia 8110 4G daran, dass es tatsächlich einmal Zeiten gab, in denen der Einsatz von Kunststoff als Gehäusematerial für Mobiltelefone unisono akzeptiert war. Die Vorteile sind evident: Kunststoff ist leicht, viel weniger anfällig für Beschädigungen, und so flexibel, dass sich auch ein austauschbarer Akku leicht realisieren lässt. Insofern ist das Ganze auch eine gute Erinnerung daran, dass der Wechsel der Branche auf Glas/Keramik/Metall durchaus so seine Schattenseiten hat.

Die Form des Nokia 8110 4G hat einen entscheidenden Vorteil: Das Mobiltelefon lässt sich hervorragend auf einem Tisch rotieren – so rein als Zeitvertreib.
Foto: Andreas Proschofsky / DER STANDARD

Kein Touch

Wie es sich für ein Feature Phone gehört, ist der Bildschirm mit 2,45 Zoll und einer Auflösung von 240 x 320 Pixel weit von aktuellen Smartphones entfernt. Via Touch lässt er sich natürlich auch nicht bedienen, die Steuerung erfolgt exklusiv über das unter der Abdeckung verborgene Tastenfeld. Schnell wird man daran erinnert, wie mühsam so T9-Tastaturen eigentlich zu bedienen sind. Die in frühen Jahren noch vorhanden Übung ist natürlich längst flöten gegangen, also quält man sich geradezu von Buchstabe zu Buchstabe. Im Vergleich zum Original gibt es bei der Neuauflage ein zusätzliches Steuerkreuz, das zur Navigation genutzt werden kann. Als gelungen kann dieses Extra aber nicht gerade bezeichnet werden. Das Steuerkreuz ist sehr kleinteilig und bietet an sich einen schlechten Druckpunkt und wenig Platz um den Daumen zu bewegen.

LTE

Eine der wichtigsten Neuerungen des Nokia 8110 4G trägt das Gerät schon im Namen: War der Vorgänger auf klassische 2G-Netzwerke begrenzt, gibt es jetzt sogar LTE-Support – samt Voice-over-LTE-Unterstützung. Das ist alleine deswegen schon wichtig, weil mittlerweile international einige Provider damit begonnen haben, ihr 2G-Netz abzudrehen. Wie dem auch sei: Mit der Sprachqualität wird man eher keine Preise gewinnen, Telefonate klangen im Test etwas blechern, aktuelle Smartphones sind auch in diese Kategorie deutlich besser. Unser Testgerät war dafür mit zwei SIM-Slots für die parallele Nutzung zweier Netzwerke ausgestattet, es gibt aber auch eine Variante, die nur eine SIM unterstützt. Alternativ kann zur Datenübertragung WLAN 802.11b/g/n oder Bluetooth 4.1 verwendet werden.

Hardware

Am deutlichsten zeigt sich das Hardware-Upgrade: Mit einem Qualcomm Snapdragon 205 (Dualcore mit maximal 1,1 GHz Taktfrequenz, Cortex A7 Kerne und Adreno 304 GPU) greift HDM zu einem Prozessor aus dem untersten Smartphone-Bereich. Auch der Hauptspeicher ist mit 512 MB für so ein Gerät recht geräumig ausgefallen. Der lokale Speicherplatz bietet 4GB Platz und kann mittel MicroSD-Karte erweitert werden. Für polyphone Klingeltöne gibt es also mehr als genug Platz.

Ob ohne (links) oder mit (mitte) Blitz, Fotos mit dem Nokia 8110 4G werden konsistent grausam schlecht. Und natürlich sollte das Motiv möglichst statisch sein, sonst wird es gleich gar nichts.
Foto: Andreas Proschofsky / DER STANDARD

Weitere Eckdaten: Es gibt ein integriertes UKW-Radio, einen 3,5mm-Kopfhöreranschluss sowie einen MicroUSB-Port zum Aufladen des Geräts. Der Akku umfasst 1.500 mAh und soll bis zu 600 Stunden Standby oder 11 Stunden Telefonie mit einer Ladung ermöglichen. Eine Kamera gibt es ebenfalls, aber die darf aus guten Gründen in aller Eile abgehandelt werden: Mit seinem 2-Megapixel-Sensor fallen die Ergebnisse in eine Kategorie, die man sich auch mit ausgeprägtem Retro-Hang nicht romantisieren kann. Zumindest kann der LED-Flash als Taschenlampe genutzt werden.

KaiOS

Die wirklich interessante Innovation bietet das Nokia 8110 aber auf Softwareebene. Mit KaiOS kommt hier ein noch recht junges Betriebssystem zum Einsatz. Dabei handelt es sich um einen Ableger von Mozillas gescheitertem Firefox OS, der speziell für Feature Phones optimiert wurde. Darin spiegelt sich auch die Realität, dass Android allen aktuellen Optimierungen zum Trotz für solch schwache Hardware einfach nicht geeignet ist. Bei KaiOS ist das anders: Hier ist das Nokia 8110 schon fast ein High-End-Device, andere Hersteller wie Jio liefern noch wesentlich schwächere und günstiger Devices mit dem Betriebssystem aus. Entsprechend läuft das Kernsystem von KaiOS auch auf dem Nokia 8110 sehr flink, lediglich bei einzelnen Apps gibt es dann doch immer wieder merkliche Wartezeiten.

Apps

KaiOS bietet eine solide Auswahl an mitgelieferten Apps: Von der Kontaktverwaltung über die SMS-App bis zu Bildverwaltung und Audio-Aufnahmeprogramm reicht hier die Palette. Ein Mail-Programm ist ebenfalls mit dabei, das neben POP3 und IMAP auch ActiveSync unterstützt – und somit Exchange-Server. Wer will, kann sogar einen Webbrowser verwenden, der in diesem Fall auf Firefox (48) basiert. Ob das wirklich sinnvoll ist, sei natürlich dahingestellt. Während etwa die reine Textseite des Standard hier durchaus nutzbar ist, sind grafisch aufwändige Seiten nur sehr mühsam – und äußerst langsam – zu navigieren. Hierfür reicht dann einfach auch das Display mit seiner geringen Auflösung nicht mehr aus. Erfreulich ist, dass KaiOS den Nutzern die Wahl offen lässt, welche Suchmaschine sie im Browser nutzen wollen. Die Default-Wahl ist zwar Google, es kann aber auch leicht auf Yahoo, Bing oder DuckDuckGo gewechselt werden.

Auf dem Gerät sind unter anderem ein Mail-Client aber auch Radio, Browser und Kalender vorinstalliert.
Foto: Andreas Proschofsky / DER STANDARD

Kein Android und doch Google

Wer hofft, bei KaiOS endlich eine Google-freie Alternative gefunden zu haben, wird allerdings schnell enttäuscht werden. Google war nämlich schlau genug, in KaiOS zu investieren und entsprechende Partnerschaften rund um das Betriebssystem einzugehen. Das kann man mit gewissem Recht betrüblich finden, gleichzeitig wirft dies aber auch die Frage auf, was andere Unternehmen in der Branche eigentlich so den ganzen Tag tun. Sichert sich doch Google damit weiteren Einfluss, denn auch durchaus andere Firmen wie Microsoft ausüben hätten können, wenn sie den Mobilfunkmarkt noch ernsthaft beobachten würden.

Wie dem auch sei: Am Nokia 8110 sind jedenfalls gleich mehrere Google-Apps installiert, die in ihrer Qualität allerdings stark variieren. Während etwa Google Maps gerade angesichts des kleinen Displays überraschend nutzbar ist, ist die Youtube-App ein eher frustrierendes Erlebnis. Das liegt zum Teil allerdings auch an dem erwähnt schlechten Steuerkreuz, gilt es doch mit diesem hier eine Art Mauszeiger über das Display zu führen und die richtigen Elemente anzuwählen. Die Google-Such-App ist in der Bedienung ebenfalls keiner sonderliche Freude.

Unerwartetes Highlight

Ein wirkliches Highlight ist hingegen der Google Assistant, dieser funktioniert nämlich tatsächlich hervorragend und beantwortet die gewohnten Wissensfragen auch in ansprechender Geschwindigkeit. Dass gerade diese App positiv herausragt, ist in nachträglicher Betrachtung eigentlich durchaus logisch: Immerhin hat der Assistant praktisch kein Interface, ob die Steuerung zäh und beengt ist, ist hier also schlicht egal. Was am Anfang des Tests noch nach einem schlechten Scherz geklungen hätte, wird im weiteren Verlauf immer mehr zur Gewissheit: Der Google Assistant ist für die breite Masse der Nutzer, die an solch einem schlanken Mobiltelefon interessiert sind, wohl tatsächlich die relevanteste Verbesserung gegenüber früheren Hardwaregenerationen.

Wie geschaffen für so ein Gerät ohne Touchscreen: Der Google Assistant.
Foto: Andreas Proschofsky / DER STANDARD

Was zusätzlich positiv auffällt: All diese Google-Apps gehen problemlos ohne jeglichen Login. Wer schon einmal auf einer T9-Tastatur komplexe Passwörter eingetippt hat, ist für diese Entscheidung rasch dankbar.

App Store

Weitere Apps können über den App Store von KaiOS nachinstalliert werden, wobei hier die Auswahl derzeit äußerst dürftig ist. Zum Testzeitpunkt fanden sich in der List gerade einmal sechs Einträge, wovon vier Spiele sind. Mit dabei ist ein Twitter-Client, eine WhatsApp-Version ist ebenfalls bereits angekündigt. Alle diese Apps basieren übrigens auf gewohnten Webtechnologien wie HTML5 und CSS. Ähnlich wie bei Smartphones wird der Zugriff auf sensible Informationen wie Standort, Mikrofon oder Kamera über ein Berechtigungssystem abgewickelt. Die Nutzer müssen also all dem einzeln zustimmen, zudem können die Berechtigungen über die Systemeinstellungen nachträglich auch wieder entzogen werden.

Der Spieleklassiker Snake darf auf dem Nokia 8110 4G natürlich auch nicht fehlen.
Foto: Andreas Proschofsky / DER STANDARD

Noch einmal zurück zum Betriebssystem selbst: Die aktuelle Version von KaiOS ist 2.5, wobei es im Test gleich nach der Einrichtung ein Update auf einen neueren Build von Mitte Juli gab. Updates werden dabei automatisch heruntergeladen, wenn eine WLAN-Verbindung vorliegt. Weniger erfreulich ist hingegen ein anderer Umstand: Zwar setzt KaiOS auf dem Source Code von Firefox OS auf, der Hersteller betont aber, dass man nur das von der Open-Source-Lizenz vorgeschriebene Minimum erfüllen wird. Ein vollständig freies KaiOS mit dem die Nutzer auch selbst herumbasteln könnten, gibt es also nicht.

Fazit

In Summe präsentiert sich das Nokia 8110 4G als überraschend interessantes Gerät, auch wenn es um den Preis von 89 Euro schon am oberen Ende der Feature Phones angesiedelt ist – und sich somit auch Low-End-Smartphones bereits in preislicher Nähe befinden. Im Vergleich zu letzteren hat man hier zwar weniger Möglichkeiten, die Performance ist aber auch weniger furchtbar. Insofern könnte so eine smartes Feature Phone für manche eine durchaus interessante Option für ein Zweitgerät sein, vor allem wenn es dann einmal mehr Messaging-Clients für KaiOS gibt. (Andreas Proschofsky, 14.8.2018)