Wien – Lange hat sich die onkologische Forschung auf die Untersuchung von Einzelzellen und Zellkulturen beschränken müssen. Das imitierte nicht oder nur kaum die Situation rund um Tumorentstehung und Tumorwachstum. Wiener Wissenschafter der MedUni Wien am AKH nutzen nun die sogenannte Organoid-Zellkulturtechnik zur realitätsnahen Erforschung des Prostatakarzinoms.

"Es ist wirklich spannend. Diese 3D-Zellkulturen aus Drüsenepithelzellen kann man aus faktisch jeder Zelle der Prostata züchten – und sie verhalten sich wie eine echte Drüse. Sie produzieren beispielsweise Sekret und geben es über in ihnen gebildete Kanäle ab", sagt Onkologe Michael Krainer. Damit lassen sich auch "echte" Prostatakrebs-Organoide züchten – das kann sogar aus Zellen von aktuellen Patienten erfolgen.

Das Verfahren erleichtert gerade in der Forschungen zum Prostatakarzinom die wissenschaftliche Arbeit. Die Tumore sind inhomogen, was die in ihm vorkommenden Zellpopulationen angeht. Gewebematerial für Untersuchungen von Patienten ist ausgesprochen "knapp". Wird im Rahmen einer Operation die Prostata entfernt, kommt das Gewebe zum Pathologen. Mit der Aufarbeitung der Probe und Einbettung in Paraffin für die Untersuchung von Gewebeschnitten unter dem Mikroskop ist es mit dem Vorhandensein von vitalen Zellen für molekularbiologische Untersuchungen vorbei.

Begrenzte Tiermodelle

Die für eine umfassende Untersuchung notwendigen Daten jener Abläufe, die zu Prostatakrebs, zum Tumorwachstum und zur Metastasierung führen, lassen sich aus der Analyse von einzelnen Zellen und von Zellkulturen nicht gewinnen. Krebs-Tiermodelle, zum Beispiel das Übertragen von humanen Tumoren auf Mäuse (Xenografts), die das menschliche Zellmaterial tolerieren, haben den Nachteil, dass bei den Tieren das körpereigene Abwehrsystem lahmgelegt sein muss.

"Die Organoide sind für das Prostatakarzinom ein besseres Modell. Sie lassen sich aus wenigen Zellen binnen rund zwei Wochen bis zu einer Größenordnung von an die 400 Mikrometer Größe (0,4 Millimeter; Anm.) züchten", sagt Max Marhold, der im Rahmen der Forschungen die Techniken der 3D-Kulturen für das Prostatakarzinom etabliert hat.

Prostatakarzinom sehr heterogen

Abseits der Grundlagenforschung könnten diese Arbeiten mit den Prostatakarzinom-Organoiden in Zukunft auch in der Behandlung von Patienten eine Rolle spielen. "An Organoid-Zellkulturen könnte man am 3D-Modell aus Zellen des Karzinoms eines Patienten Pharmaka auf ihre Wirksamkeit austesten", meinten Marhold und Krainer.

Das Prostatakarzinom unterscheide sich nämlich von Patient zu Patient genauso wie der jeweilige Tumor selbst in seiner Zell-Zusammensetzung eine große Heterogenität aufweise. Gerade das lässt sich aber anhand der Organoide am besten nachstellen. Viele Jahre lang galt das Prostatakarzinom als durch Chemotherapeutika kaum beeinflussbar. Die Testung eine Zytostatika-Sensitivität könnte das ändern.

Prostatakrebs ist in Österreich die häufigste Krebserkrankung bei Männern. Jährlich sterben rund 1.150 Personen daran. Jedes Jahr wird bei 5.000 Österreichern ein Prostatakarzinom diagnostiziert. Das entspricht rund einem Viertel aller Tumorneuerkrankungen bei Männern. In der EU wurde 2015 bei 365.000 Männern Prostatakrebs – weltweit die zweithäufigste Krebsart unter Männern – festgestellt. (APA, 28.7.2018)