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Mauro Peter als Tamino und Adam Plachetka als Papageno in Mozarts "Zauberflöte" in Salzburg.

Foto: REUTERS/Leonhard Foeger

Spätestens seit Harry Potter und seinem epischen Zwist mit dem dunklen Lord, Herrn Voldemort, herrscht Gewissheit: Es schlummert hinter unserer Realität viel Wirklichkeit. Was auch bewiesen wurde: Der Besenflug in eine Märchensphäre ist mit Filmmitteln elegant zu bewerkstelligen. Was Wunder, dass das Musiktheater auf der Suche nach Inspiration dem Filmgenre nacheifert. Es bietet ja etwa die Zauberflöte reichlich Stoff.

Nun denn: In Lydia Steiers Assoziationstheater schildert Opa Klaus Maria Brandauer den drei Knaben jene Begebenheiten, die sich im Mozartreich zu Zeiten der nächtlichen Königin abspielen. Kaum hat Opa sein "Es war einmal …" gehaucht, erhellt ein durchs Fenster hineingefauchter Feuerstrahl das Kinderzimmer. Ein Prinz taumelt, fällt, rettend sind drei Damen zur Stelle.

In der Ouvertüre waren sie noch Bedienstete in einem Palais anno 1913, wo Essen serviert wird. Nun sind sie im Dienste der Königin. Das ist der Wechsel der Sphären.

Am Esstisch dabei war übrigens auch Oma. Als Bild. Sie ist eine schöne junge Braut, die später filmisch zum Leben erweckt wird, wenn Opas Erzählung Pamina streift. Es wird ein malerischer Nebenmoment der Inszenierung: Opa hält melancholisch inne, denkt an schöne Zeiten. Doch die Knaben schlafen ja noch nicht, also weiter von Sarastro ...

Spezielle Technik: Den Figuren entwendet Opa Dialogstellen und macht sie zu Pantomimen. Momente von hoher Intimität bewirkt das durch Brandauers sensible Textbehandlung. Bisweilen jedoch belastet der Texttausch zwischen Opa und den Figuren den Fluss der Inszenierung.

Der Führer der Arbeit

Es naht Rettung: Aus der Schlummererzählung erwächst ein gleißendes Milieu – willkommen im Zirkus Sarastro! Steier lässt ein lustig-gruseliges Clownvölkchen Kunststücke zelebrieren und mehr Lohn fordern. In einer stummen Zeitlupenszene wird Sarastro zum Arbeiterführer. Die Gottheiten Isis und Osiris erscheinen als plakatierte Symbole des Kampfes gegen Ausbeutung. Heiteres wird bisweilen also zur Tür, hinter der gesellschaftspolitische Aspekte angerissen werden.

Letztlich aber siegt der Zirkus: Seltsame Akrobaten und Messerwerfer, die ihre Künste an Pamina erproben, sind Quellen des heiteren Grusels. Das wirkt, als hätten die Munsters die Addams Family zu einer Faschingsparty geladen und als Motto "Seien wir Menschenclowns" vorgegeben.

Wie im Uhrwerk

Das Spektakel vor und auf jener Riesenkonstruktion, die wie das Innere eines Uhrwerks wirkt (Bühne: Katharina Schlipf), ergibt in diesem Großraum durchaus Schausinn. Zwar geht darin Opa etwas verloren. Immerhin aber sind die drei guten Sängerknaben längst Akteure der Geschichte. An Schlaf ist ja nicht zu denken, die Story gewinnt an Tempo.

In Steiers Fantasia, die für die geprüften Tamino und Pamina auch brutale Bilder des Ersten Weltkriegs bereithält, ist Papageno (kraftvoll: Adam Plachetka) zwar ein Normalo. Seine Papagena (Maria Nazarova) rollt aber zunächst als mobiles, verstaubtes Möbelstück einher. Später, wenn es um Nachwuchs geht, gibt es ein Kinderwagenballett.

Weitere Effekte: Zum Finale rollt die behörnte Königin der Nacht (respektabel: Albina Shagimuratova) gar mit einem Panzerchen daher. In der wenig bezwingenden Szene werden sie und Monostatos besiegt (lebendig: Michael Porter). So findet Pamina (glänzend im Lyrischen: Christiane Karg) zu ihrem Tamino (robust: Mauro Peter), der als Zinnsoldat erscheint. Optisch befreit vom schrillen Reich Sarastros (klangschön: Matthias Goerne, aber in der Tiefe zu sehr gefordert), ist sie nun aber die Braut in Weiß (Kostüme: Ursula Kudrna).

Zu großer Raum

Ja, es sind viele Regieideen. Und sie stehen einander manchmal im Weg. Dennoch ist es eine fantasievolle, im Kern gelungene Produktion geworden, deren Musikseite von Constantinos Carydis kon trastreich unterstützt wird. Er animiert die Philharmoniker zu einem samtigen Klang, der jedoch eines kleineren Raums bedurft hätte. Die bisweilen zurückhaltenden Tempi lassen manches zusätzlich schlaff wirken.

Fallweise entsteht aus dieser Entschleunigung aber Tiefe, wenn das Orchester sich etwa mit Tamino ins Melancholische begibt. Auf der anderen Seite:_Die Akzente und Beschleunigungen wirken bemüht. Diagnose: zu kleine Besetzung, zu großer Raum. Nur Harry Potter mit seinem Zauberstab hätte es geschafft, die Botschaft der Interpretation zu retten. (Ljubiša Tošić, 29.7.2918)