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Der Stein des Anstoßes: Mesut Özil, Starkicker beim Londoner Arsenal FC, ließ sich vor der WM kommentarlos mit dem türkischen Autokraten Recep Tayyip Erdogan abbilden.

Foto: REUTERS

Der deutsche Fußballstar Mesut Özil hat seinen gemeinsamen Auftritt mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan dadurch gerechtfertigt, dass er großen Respekt vor dem Präsidentenamt seines Herkunftslandes habe – wohlgemerkt: vor dem Amt. Er hat damit eine diplomatisch gebräuchliche Argumentation gewählt, die auf eine klassische Analyse der monarchischen Gewalt zurückgreift, auf die Studie des Historikers Ernst Kantorowicz über "Die zwei Körper des Königs". Sie besagt, dass der monarchische Herrscher nicht bloß einen sterblichen individuellen Körper besitze, sondern auch einen unsterblichen, der das symbolische Mandat seines Amtes als Herrscher repräsentiere.

Diese an absolut regierenden Potentaten gezeigte Differenzierung kann dabei zugleich als ein historischer Schritt hin zur konstitutionellen Monarchie verstanden werden. Bekanntlich aber ist eine derartige Aufspaltung in Amts- und physische Person (und die in Letzterer verkörperte Privatperson) für die Bekleidung der politischen Ämter in einer Demokratie noch weitaus bedeutsamer als in der Monarchie. Dementsprechend hat auch der politische Philosoph Claude Lefort darauf hingewiesen, dass in der Demokratie das Zentrum der Macht leer sei (bzw. sein sollte).

Herrschaftliche Leere

Um diesem Anspruch von herrschaftlicher Leere und individueller Ersetzbarkeit Genüge zu tun, wurde eine Reihe von demokratischen Strukturen entwickelt – man denke nur an den Parlamentarismus, die Gewaltentrennung, die zeitliche Begrenzung der Präsidialämter, die Rechtsstaatlichkeit und vieles andere mehr. Das alles ermöglicht nicht nur eine weitgehende Kontrolle der Herrschaftsfunktionen vonseiten der Bevölkerung, es sollte auch eine verlässliche gesellschaftliche Orientierung für alle und eine gewisse Stabilität der Politik gewährleisten.

Wenn damit in der Demokratie auch verschiedene Zentren der Herrschaft bestehen bleiben, so ist hier immerhin dem Absacken des Staates in eine Willkürherrschaft eine Reihe von Riegeln vorgeschoben. Und schließlich hat sich dann auch ein demokratisch gewählter Präsident nicht nur an die ihm vorgegebenen Strukturen, sondern darüber hinaus an die eigenen, von ihm selbst erlassenen Regeln und Gesetze zu halten. Diese Bindung an das eigene Wort müsste dabei natürlich auch seine eigenen, von ihm geäußerten Ansichten zum Tagesgeschehen betreffen. Nur so kann die Staatsführung ein Minimum an Verlässlichkeit realisieren und ermöglicht politische Operabilität.

Amtsmensch ...

Mit Donald Trump hat sich das alles, so scheint es jedenfalls, grundlegend geändert. Es vergeht kaum ein Tag, an dem Trump noch zu seiner Meinung von gestern steht beziehungsweise seine Argumentationslinie beibehält. Das aber hat gewiss seinen Grund, denn offenbar gelingt es Trump nicht hinreichend, Amtsgeschäfte und Privatangelegenheiten auseinanderzuhalten – und er sieht dies auch gar nicht für nötig an. Schließlich scheint die unmittelbare Verbindung von Staat und privat sogar das Geheimnis des Trump'schen Erfolges auszumachen. Sie verleiht ihm eine Aura von Authentizität, die allerdings weniger den Anliegen der von ihm vertretenen Allgemeinheit als denen seiner eigenen Person dient. Zugleich beschädigt sie das Amt selbst. Derart nämlich stört der seinen Stimmungsschwankungen und unausgegorenen Einfällen ausgesetzte Privatmensch Trump das politische Geschäft des Amtsmenschen Trump und macht dessen Entscheidungen inkonsequent und unzuverlässig.

Die "kleinen Leute aus dem Rust Belt" (und viele andere Amerikaner) haben sich einen "authentischen" Präsidenten gewünscht, der sich kein Blatt vor den Mund nimmt und sagt, was Sache ist. Jetzt haben sie ihn (und damit wir alle) bekommen – allerdings einen, der den Staat als seine Privatangelegenheit führt und meint, die Probleme der Allgemeinheit unter dem Aspekt seiner privatwirtschaftlichen Parteilichkeit handhaben zu können.

... und Privatmensch

Dass es so zu einem Abbau der demokratisch-politischen Strukturen (welche von ihm ohnehin nur als bürokratische Hindernisse angesehen werden) kommen wird, ist damit gewiss bloß eine Frage der Zeit.

Gegenüber dieser deutlichen Erwartbarkeit irritiert derzeit – gerade auf internationaler Ebene – das breite Spektrum von Irrationalität und Unberechenbarkeit, mit dem man sich bei der Trump-Regierung politisch und diplomatisch auseinandersetzen muss. Jedenfalls aber scheint die russische Rechnung, einem einfach strukturierten und damit ob seiner beruflichen Borniertheit berechenbaren Geschäftsmann zur Präsidentschaft zu verhelfen, nicht wirklich aufzugehen.

Auch stößt die demokratische Hoffnung, dass selbst ein Idiot in einem strukturell gut eingebetteten Amt, das zu einem großen Teil aus Repräsentationsfunktion besteht, nicht viel Schaden anrichten könne, bei Donald Trump (und dem amerikanischen Präsidialsystem im Allgemeinen) an ihre Grenzen.

Abwegiges Argument

Und wie steht es mit Erdoğan? Dieser hat gerade eine autoritäre Verfassungsänderung durchführen lassen. Er hat ein Präsidialsystem installiert, das sogar die Verlängerung des Ausnahmezustandes überflüssig macht. Er hat das Präsidentenamt mit Machtfülle ausgestattet und damit dieses Amt – gerade unter dem Aspekt seiner demokratischen Struktur – auf paradoxe Weise beschädigt. Das von Mesut Özils gebrachte Argument, das türkische Präsidentenamt über einen gemeinsamen Auftritt mit diesem Präsidenten zu ehren, erscheint daher schlicht abwegig. (Peter Moeschl, 27.7.2018)