Die so genannte Fünf-Sekunden-Regel besagt: Fällt Essen zu Boden und berührt diesen nur fünf Sekunden lang, ist es noch genießbar. Denn angeblich reicht diese kurze Zeit für Mikroben nicht aus, um sich an der Nahrung festzusetzen. Doch stimmt das?

Umgeben von Mikroorganismen

Die Erde beherbergt insgesamt etwa eine Billion Arten von Mikroorganismen, die unterschiedlichste Lebensräume besiedeln  – den Boden, das Wasser, die Luft und auch Organismen¹. Jeder Mensch trägt Mikroben mit sich herum, sein eigenes "Mikrobiom" – darunter versteht man die Gesamtheit der Mikroorganismen, die beispielsweise auf der Haut oder im Darm zu finden sind. Neue Berechnungen haben ergeben, dass sich im menschlichen Körper zahlenmäßig in etwa genauso viele Mikroorganismen wie menschliche Zellen befinden². Die genaue Zusammensetzung des Mikrobioms ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich und macht jeden von uns auch in dieser Hinsicht einzigartig.

Egal, wo wir sind und wohin wir uns bewegen, wir sind somit immer und überall von Mikroben umgeben. Der Weg, auf dem wir gehen, der Sitz, auf dem wir in der U-Bahn Platz nehmen, das Geld, das wir täglich in unserer Hand halten, oder der Einkaufswagen, den wir im Supermarkt vor uns herschieben – all das ist mit Kleinstlebewesen besiedelt. Mikroben haften sich täglich an unsere Kleidung und Schuhe. Sie setzen sich auf unseren Händen und Fingern fest und können über diesen Weg in unseren Mund gelangen. Bakterien, Viren, Pilze und Co sind unsere ständigen Begleiter.

Mikroorganismen finden in verschiedenen Umgebungen unterschiedlich gute Lebensbedingungen vor. Sie vermehren sich dementsprechend rasch oder langsam. Zu Boden gefallene Nahrung ist ein wahrer Leckerbissen für die Mikroben, die sich dort tummeln.

Kann man auf den Boden gefallenes Essen noch bedenkenlos essen? Nicht wirklich.
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Studien zur Fünf-Sekunden-Regel

Die Frage, wie der Faktor Zeit die Übertragung von Keimen auf Lebensmitteln am Boden beeinflusst, wurde bereits von zahlreichen Medien aufgegriffen. Auch die Wissenschaft hat sich schon mit dieser Fragestellung auseinandergesetzt und Untersuchungen dazu durchgeführt.

Zum Thema Essen am Boden wird vor allem eine groß angelegte Studie aus dem Jahr 2016 häufig zitiert: die der Wissenschaftler Donald Schaffner und Robyn Miranda von der Rutgers University in den USA³. Die Forscher machten Versuche zur Fünf-Sekunden-Regel und ließen dafür verschiedene Lebensmittel auf unterschiedliche, im Haushalt gängige Oberflächen fallen. Dafür kamen geschnittene Wassermelonen, Brot, Butter und Gummibonbons in der Versuchsanordnung auf Edelstahl, Keramikfliesen, Holz und Teppich zu liegen. Die Oberflächen waren zuvor alle mit dem Bakterium Enterobacter aerogenes, einem Verwandten der Salmonellen, versehen worden. Schaffner und Miranda verglichen unterschiedliche Kontaktzeiten. Dafür sammelten sie das Essen nach weniger als einer Sekunde, fünf Sekunden, 30 Sekunden und fünf Minuten von den unterschiedlichen Böden wieder auf. Daraus ergaben sich insgesamt 128 mögliche Messkombinationen. Anschließend untersuchten sie die Bakterienzahl auf den Nahrungsmitteln. Die Wissenschaftler führten 20 Wiederholungen dieses Versuches durch, um aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten. Insgesamt analysierten die Forscher für die Studie Datensätze von mehr als 2.000 verschiedenen Messungen.

Die Wissenschafter konnten mit ihren Versuchen das Prinzip der Fünf-Sekunden-Regel für Brot, Butter und Gummibonbons bestätigen. Bei diesen Lebensmitteln war die Bakterienkontamination bei längerem Bodenkontakt höher als bei kurzen Kontaktzeiten. Bei der Wassermelone traf dies allerdings nicht zu, denn diese nahm schon nach der kürzesten Kontaktzeit die meisten Keime auf. Der Faktor Zeit spielte hier keine Rolle: Bereits nach weniger als einer Sekunde wies die Melone die gleiche Bakterienanzahl wie nach fünf Minuten auf. Bei längerem Bodenkontakt erhöhte sich die Zahl der Mikroorganismen auf der Melone lediglich auf Teppich und Fliesen noch minimal und auf Holz und Stahl gar nicht mehr. Die Forscher führten dies auf den Wassergehalt der Melone und ihre Oberflächenbeschaffenheit zurück. Sie fanden außerdem heraus, dass die Struktur des Nahrungsmittels und des Bodens die Bakterienzahl stärker beeinflussen als die Zeit am Boden. So etwa übertrug die vermeintliche "Dreckschleuder" Teppich in den Versuchen weniger Bakterien als Stahl, Fliesen oder Holz.

Eine wichtige Erkenntnis der Studie war allerdings auch: Lebensmittel, die den Boden weniger als eine Sekunde lang berührten, waren auch schon mit Bakterien besiedelt. Die Kontamination erfolgte prompt bei Bodenkontakt und nicht erst nach fünf Sekunden. Die Ergebnisse von Schaffner und Miranda stimmen mit den Daten einer Studie der Aston University aus dem Jahr 2014 überein, die jedoch nur auf der Website der Universität und in keinem Fachjournal veröffentlicht wurde⁴.

Andere Studien zum Thema

Es gibt zahlreiche weitere Studien, die sich mit der Thematik der Übertragung von Mikroorganismen bei verschiedenen Kontakt- und Inkubationszeiten auseinandersetzen. Die meisten davon sind jedoch deutlich weniger umfangreich als die Untersuchungen von Schaffner und Miranda und konzentrieren sich auf andere Aspekte des Themas. So konnte etwa eine Studie aus dem Jahr 2007 zeigen, dass Salmonellen auf trockenen Oberflächen bis zu vier Wochen überleben können und somit ein Risiko für Cross-Kontaminationen darstellen⁵. Wissenschafter konnten des Weiteren belegen, dass Mikroorganismen vom Küchenschwamm über Edelstahlmesser auf Nahrung übertragen werden können⁶.  

Auf den (Nähr-)Boden kommt es an

Wissenschaftlich ist somit aktuell zum Thema Fünf-Sekunden-Regel erwiesen: Fällt ein Lebensmittel zu Boden, so sammeln sich darauf – mit wenigen Ausnahmen – bei längerer Verweildauer auch mehr Bakterien an. Da sich jedoch auch binnen kürzester Zeit am Boden bereits Mikroben am Essen festsetzen, ist kurzer Bodenkontakt nicht gleichzusetzen mit sicherem Verzehr. Denn manche Mikroben können schon in geringer Zahl Erkrankungen wie beispielsweise Durchfall oder Fieber verursachen.

Wichtige Kriterien bei der Entscheidung, ob man Hinuntergefallenes noch essen sollte oder nicht, sind die Beschaffenheit des Bodens und der Ort, an dem man sich befindet. Für die wissenschaftlichen  Experimente wurden Böden stets gezielt mit Bakterien besiedelt. In unserer natürlichen Umgebung finden sich Oberflächen mit unterschiedlichsten Keimzahlen und -arten. In der Praxis hat sich erwiesen, dass trockene Böden ein ungeeigneter Nährboden für Mikroorganismen sind ³ ⁷ . Kleinstlebewesen bevorzugen vielmehr feuchte Oberflächen. Essen, das auf trockenen Boden fällt, kann meist noch bedenkenlos gegessen werden. Kommt Nahrung auf einem feuchten Boden zu liegen, sollte man bedenken, dass die Mikroben hier bessere Bedingungen vorfinden und somit in größerer Anzahl vorkommen.

"Dreck" stärkt Immunsystem

Bei der Diskussion zur Fünf-Sekunden-Regel sollte man sich auch vor Augen halten, dass "Dreck" per se nicht immer schädlich für uns ist. Wissenschaftliche Studien der letzten Jahrzehnte haben gezeigt, dass ein gewisses Maß an Dreck sogar wichtig für unser Immunsystem ist – wenn sich darin keine gefährlichen Krankheitserreger befinden. Die sogenannte "Hygiene-Hypothese" besagt, dass die oft übertriebene Sauberkeit eine der Ursachen für die immer häufiger auftretenden Allergien ist⁸. Denn die Mikroorganismen in unserer Umgebung übernehmen auch eine wichtige Funktion: sie trainieren von Kindheit an unser Immunsystem⁹. Im Matsch zu spielen und den Waldboden einmal so richtig durchzuwühlen ist somit gutes Training für unser Immunsystem. Überdenkt man die Fünf-Sekunden-Regel einmal unter diesem Aspekt, so kann es ab und zu nicht schaden, zu Boden gefallenes Essen noch zu verzehren – natürlich abhängig von der Umgebung und vom Lebensmittel.

Fazit

Das Grundprinzip der Fünf-Sekunden-Regel stimmt: Je länger Essen den Boden berührt, umso mehr Mikroorganismen setzen sich daran fest. Allerdings gibt es bei einzelnen Nahrungsmitteln auch Ausnahmen. So konnte zumindest für Wassermelonen bereits nach weniger als einer Sekunde auf dem Boden dieselbe Keimzahl wie nach fünf Minuten nachgewiesen werden. Was prinzipiell bei Diskussionen zur Fünf-Sekunden-Regel auch noch zu bedenken ist: Die Besiedelung mit Keimen erfolgt nicht erst nach einer gewissen Zeit, sondern sofort bei Bodenkontakt. Ein bisschen "Dreck" kann dem Menschen aber laut der Hygiene-Hypothese nicht schaden, da dieser das Immunsystem trainiert und so Allergien vorbeugen kann. Somit kann es sogar ratsam sein, ab und zu auch Essen noch zu verzehren, das zu Boden gefallen ist. Dabei sollte man allerdings seinen Hausverstand benutzen und das von der Umgebung abhängig machen. Werden schädliche Keime am Boden vermutet, so sollte die Nahrung natürlich besser entsorgt werden. Auch Essen, das auf sehr feuchte Böden fällt, sollte man eher nicht mehr genießen, da hier die Anzahl der Keime deutlich höher als bei trockenen Oberflächen ist. (Alexandra Schebesta, 2.8.2018)

Alexandra Schebesta ist promovierte Genetikerin und seit mehreren Jahren in der Wissenschaftskommunikation tätig. Als Projektleiterin bei Open Science betreut sie Projekte mit unterschiedlichsten Zielgruppen. Sie ist eine der Bloggerinnen, die als "bESSERwisser" die Beiträge für den Hungry-for-Science-Blog von Open Science verfassen.

Mehr Beiträge finden Sie auf hungryforscience.at.

Fußnoten

¹ Locey KJ und Lennon: Scaling laws predict global microbial diversity (2016). Proc Natl Acad Sci U S A. May 24;113(21).

² Sender R. et al.: Revised Estimates for the Number of Human and Bacteria Cells in the Body ( 2016). PLoS Biol. Aug 19;14(8).

³ Miranda RC and Schaffner DW. Longer Contact Times Increase Cross-Contamination of Enterobacter aerogenes from Surfaces to Food (2016). Appl Environ Microbiol., Oct 14;82(21).

⁴ Website der Aston University: Researchers prove the five second rule is real (2014). 

⁵ Dawson P., Han I., Cox M. et al.: Residence time and food contact time effects on transfer of Salmonella Typhimurium from tile, wood and carpet: testing the five-second rule (2007). J Appl Microbiol. Apr;102(4):945-53.

⁶ Kusumaningrum HD, Riboldi G., Hazeleger WC and Beumer RR: Survival of foodborne pathogens on stainless steel surfaces and cross-contamination to foods (2003). Int J Food Microbiol. Aug 25; 85(3):227-36.

⁷ Pérez-Rodríguez F., Valero A., Carrasco E. et al.: Understanding and modelling bacterial transfer to foods: a review (2008). Trends in Food Science & Technology. Volume 19, Issue 3, March, Pages 131-144

⁸ Pawankar R, Canonica GW, ST Holgate ST, Lockey RF, Blaiss M. The WAO White Book on Allergy (Update. 2013)

⁹ Schuijs MJ, Willart MA, Vergote K et al. Farm dust and endotoxin protect against allergy through A20 induction in lung epithelial cells (2015) Science, Sep 4;349(6252).

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