In den 1990er-Jahren wurde Frauenpolitik wenn schon nicht salon-, so doch regierungsfähig.

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Das Gewaltschutzgesetz wurde in Österreich in einem gesellschaftlichen Klima entwickelt, das von heute aus gesehen Lichtjahre entfernt scheint. Es waren die 1990er-Jahre, gesellschaftspolitisch herrschte Aufbruchstimmung; Frauenpolitik wurde, wenn schon nicht salon-, so doch regierungsfähig. Die Neue Frauenbewegung hatte das Thema der häuslichen Gewalt als ein zentrales Anliegen identifiziert und den politischen Aspekt der Privatsphäre betont. Die Zeit war reif für ein Reformprojekt zur Eindämmung häuslicher Gewalt.

Frauenministerin Johanna Dohnal hat die Initiative ergriffen, Innenminister Caspar Einem und Justizminister Nikolaus Michalek gingen an Bord. Die Exekutive öffnete sich für gesellschafts- und frauenpolitische Belange, war bereit, sich mit Einrichtungen der Zivilgesellschaft an einen Tisch zu setzen. Dieser Tisch war groß und stand in einem Sitzungssaal des Justizministeriums, um ihn herum saßen Vertreter der genannten Minister, der Frauenhäuser, der Frauen- und Männerberatung, des Jugendamts.

Es gab ausreichend Konflikte, aber 1997 stand ein Gewaltschutzgesetz mit Vorbildcharakter für viele Länder. Essenzieller Teil war die Einrichtung von "Interventionsstellen gegen Gewalt in der Familie", jene für Wien nahm 1998 die Arbeit auf; Kernaufgaben sind Maßnahmen zur Prävention von häuslicher Gewalt in rechtlicher, psychosozialer und sicherheitspolizeilicher Hinsicht.

Türkis-blauer Zeitgeist

Rechtzeitig zum 20-jährigen Jubiläum fliegt der Interventionsstelle nun der neue türkis-blaue Zeitgeist um die Ohren. Eine wichtige Säule ihrer Arbeit waren monatliche Konferenzen für Hochrisikofälle – Multi-Agency Risk Assessment Conferences (MARAC). Die Beteiligung der Polizei ist dafür unverzichtbar; weitere Mitglieder waren das Jugendamt, Vertreterinnen der Justiz, fallbezogen solche aus anderen psychosozialen Einrichtungen.

Doch jetzt reicht's. Aus dem Referat für Grundsatzangelegenheiten der Landespolizeidirektion Wien flattert der Interventionsstelle ein Brief ins Haus, der schon im Tonfall die bekannte Kaltschnäuzigkeit dieser Regierung offenbart. Der Verfasser hat einer Evaluierung folgend (wer was nach welchen Kriterien evaluiert hat, geht aus dem Schreiben nicht hervor) festgestellt, dass MARAC keinen "Mehrwert für den Opferschutz darstellt", der erzielte Nutzen für den "konkreten Schutz der Opfer von häuslicher Gewalt nicht erkennbar ist"; diese Fallkonferenzen "kein geeignetes Instrument zur Verbesserung des Schutzes von 'high risk victims'" darstellen. Künftig wird die Polizei an MARAC nicht teilnehmen. Alternativ wird es einen Runden Tisch und eine Taskforce geben ... alles sehr diffus. Der multiinstitutionelle Ansatz der MARAC-Konferenzen ist damit passé.

Man kann den Nutzen von MARAC anzweifeln – hätte man sich mit der Thematik auseinandergesetzt und hätte man die erforderlichen Kenntnisse und Kompetenzen. Doch das Vorgehen unserer Regierungsvertreter und -vertreterinnen ist bekannt. Sie wissen alles besser, sie kennen sich aus, sie reden über Sachverhalte, von denen sie wenig verstehen. Das Argument von Staatssekretärin Karoline Edtstadler gegen eine weitere Teilnahme der Polizei an MARAC ist, dass monatliche Besprechungen viel zu wenig sind – ja, stimmt! Daher wurde zwischen diesen Sitzungen intensiv an jedem Fall gearbeitet, aber effizienter, weil sich die Mitglieder persönlich kannten, sich austauschen, einander informell über aktuelle Vorkommnisse informieren konnten, Vertrauen entstanden war.

Erfolge abdrehen

Die andere Zugangsweise von türkis-blauen Politikern zu unliebsamen Themen ist jene, sehr wohl zu überlegen, was mit ihren Maßnahmen bezweckt werden soll. Im Anlassfall fügt sich das Abdrehen einer erfolgreichen Arbeit in eine Reihe von Entscheidungen, die an der Wiederherstellung eines Frauenbildes arbeiten, wie es sich die rechtskonservative Regierung so vorstellt: Kürzung der Mittel für Kinderbetreuung, für den Ausbau von Ganztagsschulen, für Frauen- und Familienberatungsstellen; 700.000 Euro weniger für NGOs. Solche Maßnahmen, inklusive Zwölfstundentag, treffen und betreffen mehrheitlich Frauen; sie sollen wieder verstärkt und flexibel zur Verfügung stehen, wo man sie gerade braucht – für die Kinder, die Familie, die Pflege, die Wirtschaft.

Es scheint tatsächlich Lichtjahre her zu sein, dass eine interdisziplinäre, problem- und sachbezogene Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Institutionen und der Zivilgesellschaft möglich war; dass das Ziel einer Gleichstellungspolitik glaubhaft angestrebt wurde. Die Aktion "Polizei raus aus MARAC" ist überschaubar, aber wir haben es hier mit einer weiteren Facette eines gesellschaftlichen Umbaus zu tun. (Christine Stromberger, 29.7.2018)