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739 Angeklagte warten in einer schalldichten Glaszelle im Tora-Gefängnis von Kairo auf ihr Urteil.

Foto: REUTERS/Amr Abdallah

Ein ägyptisches Strafgericht hat am Samstag die ersten Urteile im sogenannten Rabaa-Prozess bekanntgegeben und dabei 75 Menschen zum Tode verurteilt. Die Urteilsverkündung für hunderte weitere Angeklagte wurde auf den 8. September verschoben.

In dem seit Dezember 2015 laufenden und höchst kontroversen Mammutverfahren stehen insgesamt 739 Menschen vor Gericht und mussten sich unter anderem wegen Planung und Teilnahme an einer bewaffneten Versammlung, versuchten Mordes an Sicherheitskräften und unerlaubten Waffenbesitzes verantworten.

Wie in Ägyptens Strafgesetzgebung vorgesehen, wurden die 75 Todesurteile an den Großmufti – die höchste religiöse Autorität im Land – überwiesen, der eine für die Justiz nicht bindende Beurteilung der Urteile aussprechen muss. Der Richterspruch ist damit noch nicht rechtskräftig. Alle Beschuldigten können Berufung einlegen, sollte der Großmufti die Todesurteile bestätigten und das Gericht dieser Empfehlung folgen.

Das Verfahren gilt als hochgradig politisiert, stehen doch vor allem Mitglieder und Sympathisanten der in Ägypten als Terrororganisation eingestuften und 2013 gewaltsam entmachteten islamistischen Muslimbruderschaft vor Gericht – darunter auch deren ehemaliger oberster Führer Mohamed Badie sowie weitere hochrangige Funktionäre der Bruderschaft und ihres politischen Arms, der Partei für Freiheit und Gerechtigkeit (FJP), wie Essam al-Erian und Mohamed Beltagy.

Massaker im August 2013

Die Bruderschaft hatte nach Ägyptens Revolution 2011 formal die Macht im Land übernommen und mit Mohammed Morsi den ersten demokratisch gewählten Präsidenten des Landes gestellt. Am 3. Juli 2013 hatte das Militär Morsi aus dem Amt geputscht, ihn zusammen mit der Führungsriege der Bruderschaft inhaftiert und die Verfassung außer Kraft gesetzt.

Die wochenlang gegen den Putsch demonstrierenden Anhänger Morsis hatten daraufhin im Großraum Kairo zwei Protestlager aufgebaut, die am 14. August 2013 von Sicherheitskräften mit exzessiver Gewalt gestürmt und auf gelöst wurden. Laut Menschenrechtsorganisationen wurden dabei rund 900 Menschen getötet und hunderte weitere verhaftet.

Unter den Angeklagten ist auch der ägyptische Fotograf Mahmud Abu Zeid, bei dem die Urteilsverkündung noch aussteht. Der Fall des auch als Shawkan bekannten Journalisten hatte seit seiner Verhaftung immer wieder Schlagzeilen gemacht, war er doch während des Massakers zusammen mit einem französischen und einem US-amerikanischen Journalisten verhaftet worden.

Während die beiden ausländischen Reporter noch am selben Tag wieder freigelassen wurden, sitzt Shawkan bis heute hinter Gittern. Er hatte für eine britische Fotoagentur über das Massaker berichten wollen. Seine Familie, aber auch Kollegen beteuern seither immer wieder seine Unschuld.

Berichte von Rechtsverstößen

Menschenrechtsorganisationen und Journalistenverbände haben seither Shawkans Inhaftierung immer wieder heftig kritisiert. Die nach ägyptischem Gesetz auf zwei Jahre begrenzte Untersuchungshaft sei bei den meisten der im Rahmen des Prozesses inhaftierten Angeklagten überzogen worden, berichtet etwa der US-Thinktank Tahrir Institute for Middle East Policy, der überdies von "empfindlichen verfassungsrechtlichen und internationalen Rechtsverstößen" während des Prozesses ausgeht.

Das Urteil sei eine Verurteilung der Opfer und ein Freispruch der Mörder, erklärt der inzwischen im britischen Exil lebende ehemalige FJP-Funktionär Mohamed Soudan im Gespräch mit dem STANDARD. Er bezeichnet Ägyptens heutige Rechtsprechung als Werkzeug, um die Opposition zu bestrafen, und hält sie nicht für geeignet, die Gerechtigkeit im Land herzustellen.

Die heute im Exil lebende, stark fragmentierte ehemalige Führung der Muslimbruderschaft pflegt bereits seit 2013 eine auf Demokratie und Menschenrechte setzende Rhetorik, hatte aber während ihrer kurzen Zeit an der Macht das Land autoritär regiert und war kompromisslos und teilweise gewaltsam gegen Kritiker vorgegangen. (Sofian Philip Naceur aus Kairo, 29.7.2018)