Paris – Auch nach elf Tagen in Gelb und einer gewissen Routine konnte Geraint Thomas nicht ganz aus seiner Haut. Ein wenig schüchtern lugte er unter dem Schirm seiner Kappe hervor, lächelte verlegen, winkte brav mit Blumenstrauß und Plüschlöwe: Immer noch wirkte es so, als würde er, der Sieger der 105. Tour de France, das Maillot jaune nur für seinen Chef Chris Froome aufbewahren.

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Pierre Latour (bester Jungprofi), Geraint Thomas (Toursieger), Julian Alaphilippe (Sieger Bergwertung) und Peter Sagan (Sieger der Punktewertung).
Foto: REUTERS/Benoit Tessier

Dabei besteht nicht der Hauch eines Zweifels: Der treue Thomas, die walisische Bescheidenheit in Radlerhosen, ist nun selbst der Boss und in der Nachfolge seines mächtigen Teamkapitäns ein in jeder Hinsicht hochverdienter Champion. "Ich kann es nicht fassen, dass ich jetzt hier in Paris in Gelb sitze. Es ist der Wahnsinn. In meiner Karriere hatte ich eine Menge Pech. Umso schöner ist es, dass sich alles ausgezahlt hat", sagte Thomas, Olympiasieger auf der Bahn (2008, 2012) und Weltmeister in der Vierer-Mannschaftsverfolgung.

Der 32-Jährige beeilte sich, all jenen zu danken, deren Rolle er selbst in so vielen Rennen als üppig bezahlter Wasserträger in seinem Sky-Team gespielt hatte. "Dieses Team ist superstark", sagte Thomas und ergänzte mit Blick auf den Druck, der angesichts der Asthmamittel-Affäre um Froome auf der Mannschaft lastete: "Es geht nicht nur um gute Beine, sondern auch um gute Köpfe." In der Tat, der Triumph von Thomas war gleichzeitig der sechste Erfolg für Sky in den letzten sieben Jahren.

Die 21. und letzte Etappe des wichtigsten und größten Radrennens der Welt gewann am Sonntag der Norweger Alexander Kristoff nach 116 Kilometern in Paris auf dem Prachtboulevard Champs Élysées im Sprint.

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Geraint Thomas war nach 3.329 Kilometern durch Frankreich ein hochverdienter Sieger. "Es geht nicht nur um gute Beine, sondern auch um gute Köpfe."
Foto: ap/dejong

Bis zuletzt loyal

Seinem Kapitän Froome, für Thomas "eine Legende und der vielleicht Beste aller Zeiten", hatte er bis zuletzt seine Loyalität versichert, seine Helferdienste zugesagt. Nachdem der viermalige Tourchampion letztlich dann doch nie eine Chance gegen die etatmäßige Nummer zwei gehabt hatte, fand Thomas mit feuchten Augen warme Dankesworte. "Froomey hat sich am Ende meinem Sieg verschrieben. Wir sind dicke Freunde. Der wahrscheinlich beste Rundfahrer der Geschichte ist für mich gefahren, das ist unwirklich", sagte Thomas. Froome gab das Kompliment zurück: "Er hatte so großen Anteil an meinen Siegen, jetzt kann ich stolz auf Geraint sein. Mit ihm auf dem Podium auf den Champs Élysées zu stehen, das ist ein Traumszenario für uns."

Zu Recht: Als einziger Klassementfahrer leistete sich Thomas keinen Fehler und auch keine physische Schwächephase. Nach seinem Sieg bei der Bergankunft der elften Etappe übernahm er die Führung, tags drauf triumphierte er als erster Fahrer im gelben Trikot in Alpe d'Huez – und widerstand in den Pyrenäen den Attacken der geschrumpften Zahl der Rivalen. Der Waliser ist privat ein bodenständiger Rugbyfan mit einer Schwäche für ein, zwei oder mehr gute Pints heimischen Bieres und bisweilen legendäre Partyabende. "Er liebt es, einen Drink zu nehmen, wenn es Zeit dafür ist, einen zu nehmen", sagt sein langjähriger Coach Rod Ellingworth, heute in Skys sportlicher Leitung.

Und nun der Wechsel?

Was Thomas nun mit der weiteren Karriere anstellt, wird spannend, schließlich läuft sein Sky-Vertrag zum Saisonende aus. Soll er nun, wohlwissend, dass es als bald Mittdreißiger sein letzter großer Kontrakt sein könnte, bleiben, um vielleicht im kommenden Jahr – noch höher bezahlt – doch wieder für Froome oder für das aufstrebende Supertalent Egan Bernal schuften zu müssen? Oder übernimmt er andernorts eine üppig honorierte Kapitänsrolle? Dazu wollte er sich nicht äußern.

Dass auf seinen Triumph irgendwann einmal ein dunkler Schatten fallen wird und unlautere, dem Sky-Team gerne unterstellte Methoden ans Licht kommen, schließt er aus: "Ich mache es auf die korrekte Art, das Team ebenfalls. Es gibt nichts, was ich unternehmen könnte, um dies zu beweisen. Aber das hier wird die Prüfungen der Zeit ganz sicher überstehen."

Der lädierte Peter Sagan sicherte sich in überlegener Manier das grüne Trikot des Punktebesten. Neben ihm der beste Bergfahrer Julian Alaphilippe.
Foto: APA/AFP/PACHOUD

Sagan mit Grün-Rekord

Weltmeister Peter Sagan kämpfte sich trotz Blessuren ins Ziel und stellte mit dem sechsten Gewinn des grünen Trikots den Rekord ein. Dass dies glückte, verdankte der Slowake ein bisschen auch einem Österreicher. Lukas Pöstlberger hatte mit weiteren Bora-Kollegen den an Sturzfolgen leidenden und kurz vor der Aufgabe stehenden Sagan über die letzten Pyrenäen-Pässe geführt.

Auch die zwei anderen Österreicher im Feld waren mit Helferaufgaben völlig ausgelastet. Gregor Mühlberger, Achter einer Pyrenäen-Etappe, hatte als Unterstützer von Rafal Majka in den Bergen zwar wenige Erfolgserlebnisse – der Pole blieb hinter den Erwartungen –, seiner Liebe zur Tour nach der Premiere tat das aber keinen Abbruch. "Die Tour ist meine Lieblingsrundfahrt. Das ist das beste und schönste Rennen, das ich je gefahren bin", sagte der 24-Jährige.

Michael Gogl freute sich vor allem über den Erfolg seines Trek-Teamkollegen John Degenkolb auf der Kopfsteinpflaster-Etappe nach Roubaix. "Das war etwas ganz Spezielles. Ich hatte auch einen richtig guten Tag, musste aber Bauke Mollema mein Rad zur Verfügung stellen." (sid, APA, red, 29.7.2018)

Radsport-Ergebnisse der 105. Tour de France vom Sonntag:
21. Etappe (Houilles – Paris, 116 km)

1. Alexander Kristoff (NOR) UAE 2:46:36
2. John Degenkolb (GER) Trek
3. Arnaud Demare (FRA) Groupama
4. Edvald Boasson Hagen (NOR) Dimension Data
5. Christophe Laporte (FRA) Cofidis
6. Maximilian Richeze (ARG) Quick-Step
7. Sonny Colbrelli (ITA) Bahrain
8. Peter Sagan (SVK) Bora
9. Andrea Pasqualon (ITA) Bahrain
10. Jasper de Buyst (BEL) Lotto
Weiter:
36. Tom Dumoulin (NED) Sunweb
67. Geraint Thomas (GBR) Sky
69. Christopher Froome (GBR) Sky alle gleiche Zeit
123. Michael Gogl (AUT) Trek +1:15 Min.
142. Gregor Mühlberger (AUT) Bora 4:18
143. Lukas Pöstlberger (AUT) Bora, gleiche Zeit

Endstand Gesamtwertung:

1. Thomas 83:17:13 Std.
2. Dumoulin +1:51 Min.
3. Froome 2:24
4. Roglic 3:22
5. Steven Kruijswijk (NED) LottoNL 6:08
6. Romain Bardet (FRA) AG2R 6:57
7. Mikel Landa (ESP) Movistar 7:37
8. Daniel Martin (IRL) UAE 9:05
9. Ilnur Sakarin (RUS) Katjuscha 12:37
10. Nairo Quintana (COL) Movistar 14:18.
Weiter:
76. Mühlberger 2:46:13
113. Gogl 3:32:54
132. Pöstlberger 3:56:53

Punktwertung:

1. Sagan 477
2. Kristoff 246
3. Demare 203

Bergwertung:

1. Julian Alaphilippe (FRA) Quick-Step 170
2. Warren Barguil (FRA) Fortuneo 91
3. Rafal Majka (POL) Bora 76