Margrit Stamm
Neue Väter brauchen neue Mütter.

Warum Familie nur gemeinsam gelingt.
Piper-Verlag 2018
304 Seiten, 24,70 Euro

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Warum neue Väter nicht ohne neue Mütter zu haben sind, erklärt Erziehungswissenschafterin Margrit Stamm in ihrem aktuellen Buch.

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STANDARD: In Ihrem eben erschienenen Buch beschreiben Sie die Hürden und Herausforderungen auf dem Weg zu einer gleichberechtigten Teilhabe beider Geschlechter am Arbeits- und Familienleben – und fordern, dass neue Väter auch neue Mütter brauchen. Wie sehen diese neuen Rollen aus?

Stamm: Junge Männer haben erkannt, dass das Bild, das sie von ihren Vätern mitbekommen haben, oft nicht mehr mit den eigenen Ansprüchen zusammenpasst. Sie haben oft noch traditionelle Väter erlebt, die abwesend waren, sich über den Beruf definiert haben und vor allem über die Machtposition in der Familie, während die Mutter den Innenbereich verantwortete. Also die klassische Rollenaufteilung. Seither hat sich vieles geändert. Väter wollen sich heute anders in das Familienleben einbringen. Sie können aber nur dann Verantwortung übernehmen, wenn die Mütter auch Verantwortung abgeben. Auch Frauen in sogenannten egalitären Partnerschaften, wo sich beide Elternteile die Kinderbetreuung, den Haushalt und das Geldverdienen aufteilen und beide Teilzeit arbeiten, müssen von der eigenen Definitionsmacht Abstand nehmen.

STANDARD: Fällt das Frauen denn so schwer?

Stamm: In einem asymmetrischen Familiensystem, in dem Männer das Geld nach Hause bringen, während Frauen Haushalt und Erziehung übernehmen, kann es dazu kommen, dass Frauen typisch mütterliche Aufgaben verstärken und das Engagement des Partners zurückdrängen. Dieses Verhalten wird in der US-amerikanischen Forschung Gatekeeping genannt und ist ziemlich weit verbreitet. Unsere Studien zeigen, dass ein Drittel der Mütter ein solches Muster an den Tag legen. Man spricht von Gatekeeperinnen, also von "Türsteherinnen", wenn Frauen die alleinige Definitionsmacht für sich beanspruchen und dem Partner die Kompetenz in der Erziehung absprechen. Daraus entwickelt sich oft ein Teufelskreis. Bei Männern kann das auch zu einer selbstangelernten Hilflosigkeit führen, nach dem Motto: Ich kann das nicht, meine Frau kann das besser.

STANDARD: Gleichzeitig, so schreiben Sie, erlebt die Ideologie der "guten Mutter" eine Renaissance. Warum?

Stamm: Es ist sehr eigenartig, dass wir im Jahr 2018 über dieses Bild der guten Mutter sprechen müssen. Was die Ausbildungssituation und das Berufsleben von Frauen betrifft, hat sich in den letzten Jahrzehnten viel verändert. Gleichzeitig lässt sich seit den 1980er-Jahren auch eine enorme Zunahme des Mama-Mythos beobachten. Diese Ideologie des "Intensive Mothering", wie es in den USA beforscht wird, bewirkt, dass sich Mütter immer noch rechtfertigen müssen, trotz Berufstätigkeit eine "gute Mutter" zu sein. Die härteste Kritik für eine Frau ist es, als "schlechte Mutter" etikettiert zu werden. Das ist auch einer der Gründe, warum Mütter immer mehr machen, als ihnen guttut – und so viele Frauen burnoutgefährdet sind.

STANDARD: Was steckt hinter diesem Mama-Mythos?

Stamm: Dahinter steckt das Vorurteil, dass die Mutter von Natur aus die fürsorgliche Person ist, dass dieser sogenannte Mutterinstinkt eine angeborene Qualität ist. Gatekeeperinnen haben häufig diese Vorstellung verinnerlicht, dass der Mann von Natur aus nicht so gut auf Kinder schauen kann.

STANDARD: Können Papamonat und Väterkarenz die traditionelle Aufteilung überwinden?

Stamm: Die Forschung zu Elternzeit, Karenz und Papamonat zeigt, dass dieses Angebot eine große Chance ist. Wenn der Vater allein mit dem Kind Zeit verbringt, kann er sich als Vater entwickeln und autonom werden. Vielfach herrscht aber noch keine vätersensible Unternehmenskultur, weshalb Männer so häufig nicht länger als zwei Monate in Karenz gehen. Das deutet darauf hin, dass die Chefetagen heute häufig immer noch mit Männern besetzt sind, die ein sehr traditionelles Familienbild haben.

STANDARD: Gegenwärtig überwiegt das Modell des männlichen Familienernährers.

Stamm: In der Gesellschaft besteht die Tendenz, dass man Vollzeit arbeitende Väter abqualifiziert und als Mangelväter bezeichnet. Unsere Studien haben gezeigt, dass die Präsenz der Väter nicht das einzige Qualitätsmerkmal für eine engagierte Väterbeteiligung ist. Es gibt auch einen anderen Typ des Vaters: derjenige, der Vollzeit berufstätig ist und sich dennoch intensiv mit den Kindern beschäftigt.

Väter gibt es nur im Plural. Die Vielfalt an unterschiedlichen Modellen müsste auch in der Familienpolitik abgebildet sein. Ob sich nun Paare für eine traditionelle Aufteilung oder eine egalitärere entscheiden: Wichtig ist, dass sie über die ersten Jahre der Elternschaft hinaus in die Zukunft schauen. Denn was geschieht, wenn Frauen aus dem Berufsleben aussteigen und sich intensiv der Mutterrolle widmen – und es zehn Jahre später zu einer Trennung oder Scheidung kommt? Bei einer Scheidungsrate von mehr als 40 Prozent ist das kein so unwahrscheinliches Szenario.

STANDARD: Was müsste sich hier längerfristig ändern?

Stamm: In meinem Buch schreibe ich an einer Stelle, dass man die Buben mehr zur Fürsorge erziehen sollte. An einer anderen Stelle schreibe ich, dass Mädchen mehr als Selbstversorgerinnen sozialisiert werden sollten. Solange Frauen häufig typisch weibliche, schlecht entlohnte Berufe wählen, machen sie sich, wenn sie Familie bekommen, automatisch von einem Mann abhängig. Die Lohnschere müsste auch aus solchen Gründen endlich angegangen werden.

STANDARD: Sie plädieren dafür, dass Familienpolitik auch Männerpolitik sein soll. Wie sollte diese aussehen?

Stamm: Die Vereinbarkeitsfrage hat sich sehr lange nur an Frauen ausgerichtet. Sie betrifft aber auch Männer. Unsere Studien zeigen, dass es nicht so ist, dass Männer keine Familienarbeit übernehmen wollen. Männer haben ebenfalls viele Hürden in Betrieben, wenn sie in Karenz gehen möchten. Ich plädiere dafür, dass man sich an den Leuchttürmen orientiert. Es gibt in Deutschland, Österreich und der Schweiz einige Unternehmen, die merken, dass sie etwas verändern müssen, wenn sie weiterhin gute Leute bekommen wollen. Der Fachkräftemangel ist möglicherweise auch eine Tür, um das Vereinbarkeitsproblem der Väter anzugehen. (Christine Tragler, 5.8.2018)